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April 2024

Landessportbünde

Leonie weiß, was sie will: „Schneller!“ Ihre Augen leuchten. Die Vierjährige liegt im Schoß ihres Papas und düst mit ihm auf einem Rollbrett durch die Turnhalle des TV Ratingen. Zweierbob auf Rädern. Auch Vater Sebastian Hetzel, ein Mittdreißiger mit Drei-Tage-Bart, genießt sichtlich den Spaß. Jeden Samstag besucht er mit seiner Tochter das Vater-Kind-Turnen des TV. Aus gutem Grund: „Ich bin im Vertrieb einer Bank tätig und viel unterwegs“, erzählt er, „da ist es schön, am Wochenende mit der Kleinen alleine etwas zu machen.“

Als mitten im Beruf stehender Familienvater gehört Hetzel zu einer Altersgruppe, die in vielen Vereinen unterrepräsentiert ist. Laut des Deutschen Olympischen Sportbundes gab es 2015 über ein Drittel weniger Mitglieder zwischen 27 und 40 als im Jahr 2000. Zahlen des LSB bestätigen dies für Nordrhein-Westfalen. Welche Auswirkungen das im Vereinsalltag hat, schildert Eiko Rümker, Geschäftsführer der MTG Horst in Essen: „Wir machen eine intensive Jugendarbeit, doch viele junge Erwachsene verlassen den Verein in den Zwanzigern, wenn es zum Beispiel zum Studium geht. Sie sind dann erst mal weg und neu steigt in dem Alter niemand ein.“ Dabei beobachtet Rümker einen Mentalitätswechsel. „Wenn ich heute jemanden in dieser Altersstufe anfrage, ein Ehrenamt zu übernehmen, dann heißt es schnell, das schaffe ich nicht‘“, sagt er, „es ist nicht mehr selbstverständlich, aus der Jugend heraus die Bindung an den Verein aufrecht zu halten und Verantwortung zu übernehmen.“ Gleiches sieht er im Wettkampfsport: „Festen Trainingszeiten wird nicht mehr Vorrang vor anderen Bedürfnissen eingeräumt. Spieler kommen nicht mehr.“

Wer will sich schon festlegen?

Der MTG-Geschäftsführer steht mit dieser Erfahrung nicht alleine. Vereinsverantwortliche wissen um die „verlorene Mitte“. Dennoch stellt VIBSS-Beraterin Karin Schulze-Kersting fest: „Zwar wollen viele Vereine etwas für ihre Mitgliederentwicklung tun, beziehen sich dann aber lieber auf andere Zielgruppen. Es ist halt einfacher, ein weiteres Gesundheitsangebot für Ältere zu etablieren.“ Doch selbst ein Kurssystem ist kein Selbstläufer für die mittlere Generation, wie Marion Weißhoff-Günther, Vorstandsvorsitzende des TV Ratingen, weiß: „Immer mehr junge Menschen können sich nicht mehr auf einen fixen Wochentermin festlegen.“ Sebastian Hetzel klagt nicht: „Ich bin mit dem Kinderwagen in 15 Minuten hier, mit dem Rad in ein paar Minuten“, schätzt er die „Ortsbezogenheit“ des Vereins. Sport ist ihm ein Bedürfnis, er spielt noch Handball und geht ins Fitness-Studio: „Es ist ein super Ausgleich und hält mich in Form“, sieht er die Vorteile. „Meine Frau hat zum Glück Verständnis dafür. Die ist selber berufstätig und macht Yoga…“

„Die Vater-Kind-Angebote am Samstag sind Burner“, stellt Weißhoff-Günther salopp fest, „Wir haben uns darauf eingestellt. Denn unter der Woche läuft da nichts. Die Eltern arbeiten, die Kinder sind in der Kita.“ Dennoch steht der Verein gut da. Aus gutem Grund: „Bereits 1988 haben wir unser erstes Fitness-Studio eröffnet, mit dem klaren Bekenntnis, mehr Jugendlichkeit zu etablieren und moderne Angebote zu machen“, sagt Weißhoff-Günhter, „hätten wir diese Entscheidung nicht getroffen, dann hätten wir heute 2.000 Mitglieder statt 6.500.“ Die Differenz sei ausschließlich auf die Erneuerungen im Bereich Fitness und Eltern-Kind zurückzuführen. „Ein Fünftel unserer Mitglieder ist in der Alterstufe 19-40.“ Der Wunsch nach Flexibilität werde immer größer, selbst bei den Älteren. Dies müsse ein Verein in Zukunft leisten.
Den vollständigen Artikel „Die Jongleure“ von Michael Stephan und Daniela Blobel lesen Sie in der August-Ausgabe der „Wir im Sport“.

Quelle: www.lsb-nrw.de