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April 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

30° C im Sommer – ab an den Badesee? Wir würden sagen: Rauf auf die Gletscher! Für die Skiindustrie ist das ganze Jahr über Winter angesagt. Womit sich die Kollegen aktuell beschäftigen und was uns in den kommenden Jahren erwartet, haben sie uns im Interview verraten. Ein Gespräch mit Andreas Mann (Produktmanager bei Völkl), Martin Traninger (Ski-Entwickler und -Tester bei Atomic) und Heiko Klein (Produkt-Verantwortlicher für den Bereich Wintersport bei INTERSPORT Deutschland).

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Andreas Mann, Produktmanager bei Völkl

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DSV aktiv: Skisportler werden im Sommer gemacht – gilt das auch für das reine Produkt, die Ski?
Andreas Mann:
„Nicht direkt. Die Entwicklung neuer Modelle zieht sich über das gesamte Jahr. Da wir für das Testen auch tatsächlich immer Schnee brauchen, ist für uns damit auch das ganze Jahr über Winter.“

DSV aktiv: Kein Schnee weit und breit. Wo werden denn im Hochsommer Ski getestet?
Andreas Mann:
„Wir sind jede Woche ein bis zwei Tage auf dem Gletscher, in der Regel am Stilfser Joch. Wenn viele breite Freeride-Ski getestet werden müssen, dann geht’s auch schon mal nach Argentinien, Chile oder Neuseeland. Wenn sich die Wettersituation in Mitteleuropa so entwickelt wie zuletzt Anfang August, können die Reisen auch schon mal relativ kurzfristig nötig werden.“

DSV aktiv: Auf welche Feinheiten kommt es beim Testen ganz besonders an?
Andreas Mann:
„Das Ziel des Testens ist es, die Prototypen der neuen Modelle zu bewerten, und zu bestimmen, inwieweit sie verändert werden müssen, um die Ansprüche der Zielgruppe zu treffen. Dieser Prozess ist dreistufig zu sehen. Im ersten Schritt bewerten wir die Geometrie des Skis, etwa die jeweiligen Radien. Anschließend steht das Innenleben mit Merkmalen wie Kantengriff oder Torsionssteifigkeit im Fokus. In diesem Schritt geht es konkret um das verarbeitete Material und darum, ob die daraus resultierenden Fahreigenschaften zur Zielgruppe passen. Abschließend geht’s an die Feinabstimmung: Härtetest, Drehhandling, Balance, Tempostabilität – immer in Bezug auf die Zielgruppe.“

DSV aktiv: Inwieweit beeinflusst die Zielgruppe die Entwicklung neuer Modelle?
Andreas Mann:
„Um unsere Ski in großer Stückzahl verkaufen zu können, müssen wir Marktpotenziale erkennen und uns auf die verschiedenen Zielgruppen einstellen. Das steht in jedem Entwicklungsschritt im Fokus! Marktanalysen sind dafür ein wichtiges Tool, um die Ansprüche der Endverbraucher richtig einzuschätzen. Ich persönlich bin über das Testen hinaus viel unterwegs. Etwa vier, fünf Mal pro Jahr treffe ich mich in den USA mit Händlern und Endverbrauchern, um up-to-date zu bleiben, in welche Richtung sich der Markt entwickelt. Völkl ist eine der wenigen Ski-Marken, die beidseits des Atlantiks präsent sind.“

DSV aktiv: Was beeinflusst darüber hinaus die Entwicklung?
Andreas Mann:
„Der Wintersport verändert sich im Allgemeinen. Wir fahren mehr und mehr auf ‚Kunstschnee‘. Kurzurlaube nehmen zu und die Skifahrer konzentrieren sich damit an wenigen Tagen auf den Pisten. Die Skigebiete sind zu Urlaubszeiten also besonders voll, was wiederum einen großen Einfluss auf die Pistenbeschaffenheit hat. Es geht deshalb um die Frage: Wie muss ein Ski ausgelegt sein, um den Skifahrer in der heutigen Zeit bestmöglich zu unterstützen?“

DSV aktiv: Haben Sie auch mal Sommer?
Andreas Mann:
„An den Nachmittagen, wenn ich vom Gletscher ins Tal komme, dann ist auch für mich Sommer!“

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Martin Traninger, Ski-Entwickler und -Tester bei Atomic

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DSV aktiv: Herr Traninger, denken Sie und Ihre Kollegen bei Sommerwetter tatsächlich schon wieder an Schnee, Kälte, Skifahren?
Martin Traninger (Atomic): „Auch bei 30 Grad an den Badeseen sind wir in der Regel wöchentlich am Mölltaler Gletscher beim Skitesten. Nur Anfang August war das Skifahren dort aufgrund der hohen Temperaturen unmöglich. Bei solchem Wetter müssen wir dann in die Skihallen wechseln, mal nach Neuss, mal nach Holland (Skihalle Landgraaf).“

DSV aktiv: Im Sommer dem Winter hinterherfahren, das klingt für viele seltsam. Was steht denn aktuell konkret bei Atomic an?
Martin Traninger:
„Wir stellen gerade die Kollektion 2018/19 fertig. Die Modelle werden zur ISPO im Februar 2018 vorgestellt. Für jedes Projekt bzw. Modell entwickeln wir vier bis fünf Skilängen. Für zwei Längen stehen die endgültigen Formen schon fest. Aktuell testen wir die unterschiedlichsten Prototypen.“

DSV aktiv: Wie nah sind die Prototypen schon am Endprodukt dran?
Martin Traninger:
„Bis auf das Design sind die Ski an sich fertig. Aus Kostengründen arbeiten wir bei den Prototypen mit einer transparenten Oberfläche. Wir prüfen die Modelle darauf, ob sie die nötigen Anforderungen erfüllen. Unseren Testbericht gehen wir dann gemeinsam mit der Entwicklung und dem Produktmanagement durch. In seltenen Fällen muss die Form überarbeitet werden. In der Regel wird versucht, kleine Abweichungen über die Verwendung anderer Materialien im Ski auszugleichen. Wir können auf eine Reihe von Materialien zurückgreifen, die alle einen extremen Einfluss auf die Fahreigenschaften des Skis haben.“

DSV aktiv: Was passiert alles, bis das fertige Modell in den Sportgeschäften steht?
Martin Traninger:
„Produktmanagement und Entwicklung sitzen bei uns im Büro nebeneinander. Im Frühjahr, gut eineinhalb Jahre vor der entsprechenden Saison, diskutieren die Kollegen aus dem Produktmanagement mit unseren Vertretern aus den Ländern die Trends in den verschiedenen Märkten. Auf dieser Basis erstellt die Entwicklung Formen mit entsprechenden Breiten, Taillierungen etc. Die Zielgruppen in den unterschiedlichen Ländern sind sehr verschieden. Eine 90-Millimeter-Mittelbreite ist in den USA das, was bei uns der 75er-Ski ist. Entsprechend müssen wir uns anpassen. Wenn die USA als Markt wegbräche, würden wir einige 100.000 Ski weniger verkaufen. Nach dem Test geht’s ans Design. Nach noch einmal einem halben Jahr ist der Ski schließlich fertig.“

DSV aktiv: Können Sie uns einen kurzen Einblick in die Zukunft geben?
Martin Traninger:
„In Europa hat sich der Markt ziemlich eingependelt. Die Mittelbreiten werden sich nicht groß verändern. Wenn überhaupt, dann werden die Ski eher wieder minimal schmaler. Auch was die Rocker-Technologie betrifft, ist der Trend rückläufig. Das beobachten wir häufig, dass ein Trend erst extrem gepusht wird und sich dann wieder etwas zurück entwickelt.“

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Heiko Klein, Produkt-Verantwortlicher für den Bereich Wintersport bei INTERSPORT Deutschland
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DSV aktiv: Bei sommerlichen Temperaturen hängen sicher kurze Hosen und Tops in den Regalen der Sportgeschäfte. Womit beschäftigen Sie sich dann im Berufsalltag?
Heiko Klein (INTERSPORT Deutschland): „Bei uns stand im August eine große Messe für die Kollektion Frühjahr/Sommer 2018 an. Neben der Kategorie ‚Ski‘ bin ich auch für die Sparten Wassersport und Outdoor verantwortlich. Außerdem gibt es für die Wintersport-Saison 2017/2018 noch viel vorzubereiten. Im März wurden die ersten Kollektionen und Produkte bestellt. Jetzt kommt es auf eine planmäßige Lieferung an. Wir stehen im ständigen Kontakt mit den Marken-Vertretern und erörtern gemeinsam, welche Ware für unsere Kunden am besten geeignet wäre. Das geschieht in enger Abstimmung mit der Industrie, vor allem hinsichtlich unserer Sondermodelle. Außerdem müssen wir Infos über Kampagnen und neue Technologien für die Händler zusammenstellen und weitergeben. Die Händler müssen natürlich perfekt vorbereitet sein, wenn die Kunden in die Läden kommen. Ab November beschäftigen wir uns dann schon wieder mit dem darauffolgenden Winter.“

DSV aktiv: Worauf kommt es Ihnen bei der Produktauswahl an?
Heiko Klein:
„Mit Hilfe von Marktanalysen und den Verkaufszahlen unserer Händler achten wir ganz genau darauf, welche Produkte unsere Zielgruppe ansprechen. Jeder Skihersteller bzw. jede Marke hat ihre Stärken und Schwächen. Manche sind eher im Race-, andere eher im Allmountain-Bereich besonders stark. Diese Vorteile müssen so ausgeschöpft werden, dass wir in jeder Kategorie die stärksten Produkte anbieten können. Dabei dürfen wir die Preise nicht aus den Augen verlieren. Die müssen für die Zielgruppen auch funktionieren. Es bringt nichts, einen Top-Ski im Regal stehen zu haben, der aber so teuer ist, dass ihn niemand kauft.“

DSV aktiv: Wie können wir uns die Zusammenarbeit mit den Herstellern vorstellen?
Heiko Klein:
„Die Skihersteller melden sich in der Regel mit ersten Entwürfen. Gemeinsam beurteilen wir, ob die Entwicklung in die richtige Richtung geht. Unsere Meinung ist den Kollegen wichtig. Schließlich wollen auch sie für den Kunden und Endverbraucher produzieren. Anschließend geht die Industrie in die konkrete Produktion. Die Hochphase der Zusammenarbeit ist im Winter. In der Zeit telefonieren wir wöchentlich. Aber auch im Sommer sind wir immer im Austausch. Wie in den vergangenen vier Wintern gehen wir auch in der kommenden Saison außerdem eine Kooperation mit DSV aktiv ein: Beim Kauf eines Skisets ab 499,99 € gibt’s bei allen teilnehmenden INTERSPORT-Händlern eine DSV aktiv-Skiversicherung Basic kostenfrei dazu.“

DSV aktiv: Auf welche Produkthighlights können wir uns freuen? Was ist in den kommenden Jahren ‚in‘?
Heiko Klein:
„Der Endverbraucher bekommt aktuell so viel Technologie wie noch nie – und das für ein super Preisleistungsverhältnis. Klar, Skifahren ist nicht günstig. Aber das, was der Kunde in den Geschäften bekommt, hat den höchsten Standard. Die Digitalisierung kommt auch in der Entwicklung neuer Modelle immer mehr ins Spiel, wie zum Beispiel Geschwindigkeitsanzeigen auf dem Ski. Da ist noch einiges drin. Was (beheizbare) Skischuhe betrifft, stehen die Themen Leichtigkeit und Komfort nach wie vor an vorderster Stelle. Im Detail lässt natürlich kein Hersteller die Katze aus dem Sack. Spielerisches Skifahren, auch durch leichte, angenehme Skischuhe, ist das Ziel. Was die Trends betrifft, kann ich schon so viel verraten, als dass das Design insgesamt etwas ruhiger wird – weniger knallige Farben, mehr ‚edele‘ Farbtechnik mit Matt- oder Shiny-Effekt.
Insgesamt geht der Trend weg vom Snowboard, hin zum Ski. Die Kids fangen heutzutage gleich mit Twintips an, das ist cool und ‚in‘. Die Snowboard-Industrie wird’s in Zukunft schwer haben.“

DSV aktiv: Betreffen die Entwicklungen auch das Kinder-Segment?
Heiko Klein:
„Die Zielgruppe ist das große Problem. Unser Ziel muss es sein, mehr Kinder zum Skifahren zu bringen. Wir müssen aufpassen, dass sich die Innovationen nicht zu sehr auf den Erwachsenenbereich fokussieren. Das Thema Skifahren muss auch für die jüngere Generation präsent bleiben. Die Kids sollen ihre Eltern animieren wollen: ‚Ich will in den Skiurlaub fahren!‘ Da fehlt es noch an weiteren Konzepten, wie zum Beispiel ‚Dein Winter. Dein Sport.‘ oder das Skitauschsystem.“

Quelle: www.ski-online.de