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April 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

Rio de Janeiro (SID) Nie wieder Wembley? Insgeheim hoffe er schon auf eine Wiederholung des wohl umstrittensten (Nicht-)Tores in der Geschichte des Fußballs, sagt Dirk Broichhausen – dann jedoch mit anderem Ausgang. Und dafür will er höchstpersönlich sorgen. Seine Firma testete beim Confed Cup in Brasilien im Auftrag des Weltverbandes FIFA ihre Torlinientechnik GoalControl. Die Frage „Tor oder nicht?“ soll dort im Zweifel nicht wie 1966 ein Linienrichter aus Aserbaidschan, sondern der Computer beantworten.

Broichhausen mag es nicht recht zugeben, aber „irgendwie hoffen wir doch auf eine Bewährungsprobe für unser System“. Es wäre doch „grandios“, meint er, wenn es eine strittige Szene klären könnte. Für den Geschäftsführer eines Unternehmens aus Würselen bei Aachen würde sich dann der zweite große Traum nach der Zulassung für das „Festival der Champions“ erfüllen: Der von der WM 2014 an gleicher Stelle. „Wir sind überzeugt, dass wir unseren Job erledigen, und sehen realistische Chancen, auch die WM ausstatten zu dürfen“, sagt Broichhausen. Sein Kollege Jürgen Philipps ergänzt: „Wir haben alle Tests bestanden und sind zu 100 Prozent einsatzbereit.“

Dabei war es eine Überraschung, dass GoalControl Anfang April den Zuschlag erhielt. Mitbewerber war neben den Systemen Cairos und Goalref, die mit Sensor oder Chip im Ball arbeiten, das im Tennis bewährte Hawk-Eye, das von einem FIFA-Sponsor (Sony) entwickelt wurde. Der Weltverband teilt mit, dass „insbesondere die Fähigkeit, sich den lokalen Gegebenheiten bei den beiden Turnieren in Brasilien anzupassen“, den Ausschlag gegeben habe.

Broichhausen konkretisiert, die „herausragende Flexibilität und Genauigkeit“ von GoalControl sei entscheidend gewesen. Das System kann mit jedem Ball arbeiten, auch an den Toren sind keine Um- oder Anbauten nötig. 14 Hochgeschwindigkeitskameras, die etwa unter dem Stadiondach angebracht werden, erfassen die Position des Balles in drei Dimensionen – das gesamte Spiel über. Überquert der Ball die Torlinie komplett, empfängt die Uhr des Schiedsrichters in weniger als einer Sekunde ein verschlüsseltes Signal.

Die FIFA erlaubte bei der Vergabe drei Zentimeter Messtoleranz – und damit Restzweifel. Die schließt Broichhausen aus. „Wir schaffen fünf Millimeter“, sagt er stolz. GoalControl kann die Position des Balles sogar errechnen, wenn der von Spielern verdeckt wird. Dabei kommt dem nordrhein-westfälischen Unternehmen seine Erfahrung in industrieller Bildverarbeitung zugute. Bevor es sich mit Fußball befasste, führte es Qualitätskontrollen etwa bei Dichtungen und Schläuchen in der Automobilbranche durch.

Die FIFA hat das überzeugt, die Deutsche Fußball Liga (noch) nicht. „Nicht vor dem 1. Juli 2015“ will die DFL Torlinientechnik einführen. Und das, obwohl sich in einer Umfrage des Fachblattes kicker Mitte Juni fast 80 Prozent der teilnehmenden Profis für GoalControl aussprachen. Die Europäische Fußball-Union (UEFA) setzt in Champions und Europa League weiter auf Torlinien-Assistenten, die Schalke-Manager Horst Heldt einst „Pappnasenheinis“ schimpfte. Die Premier League in England und die Ehrendivision in den Niederlanden sind da etwas weiter: Sie nutzen ab der kommenden Saison Hawk-Eye.

Besonders die Engländer wissen, warum. Ihr Motto aber lautet: No more Bloemfontein! Dort blieb den Three Lions im WM-Achtelfinale 2010 gegen Deutschland der Treffer zum 2:2-Ausgleich verwehrt, weil es da noch keinen Piepton für den Schuss von Frank Lampard gab. Für FIFA-Präsident Joseph S. Blatter war der Vorfall nach langem Zögern der Beweis: „Torlinientechnik ist eine Notwendigkeit.“

Bei der Klub-WM 2012 testete der Weltverband Goalref und Hawk-Eye – nun soll GoalControl alle Zweifel beseitigen. „Die Schiedsrichter sind alle glücklich, dass sie diese Hilfe haben“, sagte Blatter in Rio: „Ich bin sehr gespannt, wie es funktioniert und hoffe, dass es zum Einsatz kommt.“ In Würselen denken sie derweil schon an die nächste Revolution: Ein ähnliches System, sagt Broichhausen, könnte auch Abseitsstellungen anzeigen.