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März 2024

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Moskau (SID) Ohne den bundesdeutschen Verzicht auf eine Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau gäbe es den Sportpolitiker Thomas Bach nicht – und somit auch am 10. September in Buenos Aires nicht den deutschen Favoriten auf die Nachfolge von Jacques Rogge, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Das verriet Bach in einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP.

„1980 wurde ich zum Aktivensprecher im deutschen Sport gewählt. Als es durch den enormen Druck der Bundesregierung zum Boykott der Spiele kam, war das für mich der Wendepunkt. Ich nahm den Vorschlag an, Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees zu werden. Ich wollte helfen zu vermeiden, dass zukünftige Athleten-Generationen in gleicher Weise leiden müssen. Ziel eines jeden Sportlers ist die Olympiateilnahme, für einige war es 1980 die letzte Chance.“

Bach sagt im Rückblick auf 1980: „Es war offensichtlich, dass die Athleten keinerlei Einfluss auf das NOK hatten. Es war genauso in Bezug auf Politik und Gesellschaft im Allgemeinen. Ich hatte vor dem Boykott Diskussionen mit dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt und Bundespräsident Karl Carstens, und ich hatte immer das Gefühl, sie hatten kein Interesse an Sport.“

Bach hatte 2010 zum 30. Jahrestag des deutschen Boykottbeschlusses im SID-Interview gesagt: „Der Olympiaverzicht auf die Sommerspiele in Moskau war die größte Fehlentscheidung in der deutschen Sportpolitik.“

Anlass dafür waren Ende 1979 Russlands Einmarsch in Afghanistan und die Boykott-Empfehlung durch die USA gewesen. Nach den Terroranschlägen 2001 in New York marschierten die USA und ihre Bündnispartner 22 Jahre nach Moskau in Afghanistan ein. Bach vor drei Jahren: „Heute verteidigen deutsche Soldaten unsere Freiheit am Hindukusch. Dies ist die makabre Ironie der Weltgeschichte.“

 

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur 125. IOC-Session in Buenos Aires

…zusammengestellt vom SID

WAS STEHT AN ?

Eine IOC-Session, die Vollversammlung der Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees. Die erste IOC-Session war 1894 in Paris, nun ist Buenos Aires Gastgeber der 125. Ausgabe. Seltener veranstaltet werden IOC-Kongresse, eine Art Forum der olympischen Bewegung. Bislang gab es nur 13 Ausgaben seit 1894, als die Olympischen Spiele in der Pariser Sorbonne wiedergeboren wurden. Der letzte Kongress 2009 in Kopenhagen stand unter dem Motto „Olympismus und Jugend“.

WER RICHTET AUS ?

Buenos Aires setzte sich bei der Wahl des Austragungsorts vor drei Jahren gegen Kuala Lumpur/Malaysia durch. 2018 finden in der argentinischen Hauptstadt auch die Olympischen Jugendspiele statt. Eröffnet wird die Session am 6. September im Teatro Colon, dem weltberühmtem Opernhaus. Die Session wird vom 7. bis 10. September im Buenos Aires Hilton fortgeführt. Das Fünf-Sterne-Hotel steht dem IOC komplett zur Verfügung. Am 4. und 5. September trifft sich dort auch das 15-köpfige IOC-Exekutivkomitee.

WIEVIELE IOC-MITGLIEDER GIBT ES ?

103 „normale“, darunter zwei Deutsche, neben Bach noch die ehemalige Fechterin Claudia Bokel, die als Vorsitzende der Athletenkommission auch (wie Vizepräsident Bach) Mitglied der Exekutive, der IOC-„Regierung“, ist. Zu diesen 103 Mitgliedern kommen 31 Ehrenmitglieder (u.a. zwei Deutsche: Günther Heinze und Walther Tröger) und ein „Mitglied ehrenhalber“ (Henry Kissinger). Wahlberechtigt sind diese Mitglieder aber nicht. Das gilt auch für die neun Kandidaten, die durch die Exekutive vor der Session zu Mitgliedern ernannt werden sollen. König Willem Alexander der Niederlande trat Anfang Juli nach seiner Thronbesteigung als Mitglied zurück.

WELCHE PROGRAMMPUNKTE GIBT ES ?

Drei wichtige: Die Wahl der Olympiastadt für die Sommerspiele 2020 am 7. September. Bewerber sind Madrid, Istanbul und Tokio. Einen Tag später wählen die IOC-Mitglieder eine zusätzliche Sportart für das Programm der Spiele 2020 – Ringen, Baseball/Softball oder Squash. Zum krönenden Abschluss wird am 10. September der neunte IOC-Präsident und Nachfolger des Belgiers Jacques Rogge gekürt. Zur Wahl stehen sechs Kandidaten, so viele wie nie zuvor: Thomas Bach (Deutschland), Ng Ser Miang (Singapur), Richard Carrion (Puerto Rico), Wu Ching-Kuo (Taiwan), Denis Oswald (Schweiz) und Sergej Bubka (Ukraine).

WELCHE STADT IST FAVORIT ?

Schwierig. Madrid hat finanzielle Probleme, aber angeblich mächtige Unterstützer im IOC-Wahlvolk. Tokio wäre wirtschaftlich gesehen die sicherste Lösung. Istanbul, schon bei vier Bewerbungen gescheitert, gilt erneut nur als Außenseiter. Übrigens: Rom zog seine Bewerbung wegen der Finanzkrise zurück. Die Exekutive kürte am 24. Mai Tokio und Madrid (jeweils 12:0-Stimmen) sowie Istanbul zu offiziellen Bewerberstädten. Abgelehnt wurden Doha (3:9) und Baku (0:12). In Buenos Aires dürfen sich alle drei Städte wenige Stunden vor der Wahl noch einmal jeweils 45 Minuten lang präsentieren.

WELCHE SPORTART IST FAVORIT ?

Alles andere als die Wahl von Ringen ins Programm 2020 wäre eine große Überraschung. Nachdem die IOC-Exekutive die Traditionssportart (seit 1896 mit einer Ausnahme – 1900 – immer dabei) im Februar zunächst aus dem Programm gestrichen hatte, fegte ein Proteststurm durch die Sportwelt und einte sogar politische Gegner in den USA, Iran und Russland. Weil sich das Ringen zudem nach dem ersten Schock erfolgreich dringend notwendigen Reformen unterzog, gilt eine Wiederaufnahme ins Kernprogramm als sicher. Baseball/Softball und Squash sind mit hoher Wahrscheinlichkeit chancenlos.

WELCHER PRÄSIDENTSCHAFTSKANDIDAT IST FAVORIT ?

Thomas Bach! Seit dem IOC-Kongress 1981 in Baden-Baden hat der Tauberbischofsheimer eine Musterkarriere in der Weltregierung des Sports hingelegt, er ist hervorragend vernetzt und hat sich auf vielfältige Weise das Vertrauen sehr vieler IOC-Mitglieder erarbeitet. Alle Skandale in der olympischen Familie hat er unbeschadet überstanden. Sollte er bis zum 10. September nicht noch über eine Affäre stolpern, geht er als Favorit ins Rennen; auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die IOC-Mitglieder schon häufig als völlig unberechenbar erwiesen haben. Der bisherige IOC-Schatzmeister Richard Carrion dürfte ihm beim Votum am nächsten kommen.

WIE LAUFEN DIE WAHLEN AB ?

Erwartet werden jeweils mehrere Runden bei der Abstimmung. Die Stadt, die Sportart oder der Kandidat mit der geringsten Stimmenzahl scheiden aus. Sieger ist, wer die absolute Mehrheit erlangt. Wahlberechtigt sind grundsätzlich alle IOC-Mitglieder. Nicht votieren dürfen bei der Wahl des Austragungsortes Mitglieder aus der Bewerberstadt bzw. bei der Präsidentenwahl Landsleute des Kandidaten. Sobald eine Stadt/ein Kandidat ausgeschieden ist, können die betreffenden Mitglieder wieder mitwählen. Der scheidende Präsident Jacques Rogge wählt seinen Nachfolger nicht mit und entscheidet nur im Falle eines Patts bei zwei noch verbliebenen Kandidaten.

WAS WÜRDE PASSIEREN, WENN BACH IOC-PRÄSIDENT WÜRDE ?

Er würde mit seiner Frau Claudia in die olympische Hauptstadt Lausanne ziehen. Fast alle seine Ämter würde er abgeben: Natürlich das des DOSB-Präsidenten, aber auch Wirtschaftsposten wie sein umstrittenes Präsidentenamt beim arabischen Handels-Dienstleister Ghorfa. Ausnahme: Aufsichtsratschef der Weinig AG will er bleiben, einer in seiner Heimat Tauberbischofsheim agierenden und weltweit operierenden Firma für Holzverarbeitungsmaschinen.

WER WÜRDE BACHS NACHFOLGER ALS DOSB-PRÄSIDENT ?

Völlig offen. Hans-Peter Krämer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe, würde als DOSB-Vizepräsident Wirtschaft und Finanzen satzungsgemäß Übergangspräsident. Ambitionen auf eine dauerhafte Bach-Nachfolge hat der 72-Jährige nicht. Die Mitgliederversammlung am 7. Dezember wäre die erste Gelegenheit für die Wahl eines Bach-Nachfolgers. Niemand hat bislang offiziell Interesse an einer Kandidatur gezeigt, hinter den Kulissen wird aber bereits gerangelt. Insider erwarten bei der möglichen Suche nach einem Nachfolger von „Oberboss“ Bach ein Hauen und Stechen.

WAS WÜRDE PASSIEREN, WENN BACH DIE WAHL VERLIERT ?

Ebenfalls völlig offen. Er wäre noch IOC-Vize und DOSB-Präsident (jeweils bis 2014 gewählt). Doch eine Niederlage bei der Wahl, auf die er seit Jahren hingearbeitet hat, würde ihn ins Mark treffen. Nicht auszuschließen, dass er in dem Fall die Brocken hinwirft.