Eine Stadt in Westfalen ist Eigentümer eines seit Jahrzehnten als Sportplatz genutzten Grundstücks. Der Sportplatz wird ausschließlich auf der Grundlage eines Nutzungsvertrages vom Sportverein genutzt. Die Sportanlage besteht aus zwei Spielflächen, die bis zum Jahr 2007 als Rasensportplätze genutzt wurden. Der eine Platz ist mit einer Flutlichtanlage ausgestattet und wurde in der Vergangenheit überwiegend für den Trainingsbetrieb genutzt (Platz A), während der andere Platz über keine Flutlichtanlage verfügt und in der Vergangenheit ausschließlich dem Spielbetrieb diente.
Zum Sportplatzgelände gehören daneben noch ein Umkleidegebäude mit Sanitäranlagen sowie einige Parkplätze.
Die Sportplätze liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zur angrenzenden Wohnbebauung, die westlich und südlich an das Sportplatzgelände angrenzt. Diese Bebauung ist im Jahre 2000 entstanden. Zuvor waren diese Grundstücke unbebaut. Möglich wurde die Bebauung aufgrund einer Änderung des in diesem Bereich geltenden Bebauungsplanes. Der Bebauungsplan setzt für den Bereich des Sportplatzes „öffentliche Grünfläche“ mit der Zweckbestimmung „Sportplatz“ und für die Bereiche der angrenzenden Grundstücke ein „allgemeines Wohngebiet“ mit einer zulässigen eingeschossigen Bebauung fest.
Ziel der Änderung des Bebauungsplanes war, den „potenziellen Immissionskonflikt zwischen Wohnbebauung und Nutzung des Sportplatzes durch den ansässigen Fußballverein durch die Festsetzung von Schallschutzmaßnahmen zu vermeiden“. Da die im bestehenden Bebauungsplan betroffenen Festsetzungen nicht ausreichten, bzw. nicht hinreichend konkret seien, um auf der einen Seite einen angemessenen Spiel- und Sportbetrieb zu ermöglichen, auf der anderen Seite die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Spannungsfeld zwischen Sportlärm und Wohnnutzung, setzt der Bebauungsplan für die Wohnbebauung passive Schallschutzmaßnahmen verbindlich fest. Die Wohnbebauung ist seit 2000 unter Beachtung dieser planungsrechtlichen Festsetzungen entstanden.
Zunächst gab es in den Folgejahren keine Beschwerden aus der Nachbarschaft.
Nachdem sich der Zustand der Rasenplätze im Laufe der Zeit verschlechtert und der Platzzustand zu deutlichen Nutzungseinschränkungen für den Sportverein geführt hatte, erneuerte der Verein im Laufe des Jahres 2007 den Rasenplatz A und gestaltete ihn in einen Kunstrasenplatz um. Gleichzeit wurde entlang der Grundstückgrenze zu den Nachbarn in einem Abstand von drei Metern ein Ballfangzaun in einer Höhe von fünf Metern erstellt. Das Spielfeld des Kunstrasenplatzes hat einen Abstand von fünf Metern zur Grenze der Grundstücksnachbarn.
Nach der Umgestaltung des Sportplatzes kam es zu Veränderungen der Nutzungszeiten des Platzes A. Der Sportverein nutzte diesen Platz nunmehr auch zur Durchführung seiner Meisterschaftsspiele. Daneben fand auf diesem Platz auch weiterhin der Trainingsbetrieb statt.
Erstmals im September 2008 wandten sich die Anwohner an die Stadt und beanstandeten insbesondere eine gesteigerte Lärmbelästigung durch die Veränderung des Sportplatzes sowie durch die veränderte Nutzung des Platzes.
Die Stadt beauftragte daraufhin ein Sachverständigenbüro mit der Erstellung eines Schallgutachtens, um die Nutzungsbedingungen auf dem Sportplatz im Hinblick auf die Immissionsgrenzwerte der 18. BImSchV (SportanlagenlärmschutzVO) ermitteln zu lassen.
In ihrem Gutachten legten die Sachverständigen im Einzelnen dar, welche Bedingungen erfüllt sein müssten, damit Werte für ein allgemeines Wohngebiet an den Grundstücken der Anwohner eingehalten werden.
2010 beantragte der Sportverein die Baugenehmigung zur Umgestaltung eines Rasensportplatzes zum Kunstrasenplatz. Das Gutachten des Sachverständigenbüros fügte er dem Antrag bei.
Im August erteilte die Stadt dem Sportverein die Baugenehmigung. Gleichzeitig erteilte die Stadt dem Verein eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes, was die Teilflächen mit Pflanzgebot betrifft, die durch die Anlegung des Kunstrasenplatzes in Anspruch genommen werden.
Gegen diese Baugenehmigung klagten Anwohner. Sie machten geltend, die Baugenehmigung und die erteilte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes seien rechtswidrig und verletzten sie in nachbarlichen Rechten.
Das der Baugenehmigung zugrunde liegende Schallgutachten sei nur aufgrund von statistischen Durchschnittswerten von Lärmbelästigungen auf Sportplätzen und nach Erfahrungsätzen entstanden. Konkrete Messungen seien nicht vorgenommen worden. Tatsächlich gebe es außerhalb der im Gutachten zugrunde gelegten Nutzungszeiten Lärmbelästigungen, die vom Sportplatz ausgingen. Lärm entstehe, weil Spieler bereits 30 Minuten vor Trainingsbeginn zum Training erschienen und erst 60 Minuten nach Trainingsende wieder wegführen.
Bei Heimspielen würden die umliegenden Straßen, insbesondere die Straße der Kläger, regelmäßig zugeparkt, so dass sie teilweise ihre Grundstücke weder verlassen noch anfahren könnten.
Die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung und des Befreiungsbescheides ergebe sich daraus, dass die im Bebauungsplan vorgesehene Bepflanzung und ein Abstand von zehn Metern zwischen Wohnbebauung und Kunstrasenfläche nicht eingehalten würde. Rechtswidrig deshalb, weil die diesbezüglichen Festsetzungen des Bebauungsplanes nachbarschützend seien.
Die Klage des Nachbarn wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Die dem Sportverein erteilte Baugenehmigung sowie die erteilte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes nach § 31 Abs. 2 BauGB sind rechtmäßig und verletzen die klagenden Anwohner nicht in ihren Rechten ( vgl. § 113 Abs. 1 VWGO).
Ein Rechtsanspruch von Nachbarn auf Aufhebung einer Baugenehmigung besteht nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Hinzukommen muss, dass der Nachbar durch die rechtswidrige Baugenehmigung zugleich in eigenen Rechten verletzt wird. Dies setzt voraus, dass die Baugenehmigung gegen Rechtsnormen verstößt, die nachbarschützenden Charakter haben, und der jeweilige Nachbar auch im Hinblick auf seine Nähe zu dem Vorhaben tatsächlich in seinen eigenen Rechten, deren Schutz die Vorschriften zu dienen bestimmt sind, verletzt wird.
Zunächst verstößt die Baugenehmigung zu Lasten der Anwohner nicht gegen das dem Nachbarschutz dienende bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Welche Anforderungen dabei an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellen sind, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden.
Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.
Der genehmigte Kunstrasenplatz A ist hinsichtlich der mit der Nutzung verbundenen Schallimmission den Anwohnern gegenüber nicht rücksichtslos. Geht es um eine mögliche Beeinträchtigung benachbarter Grundstücke durch Lärmimmissionen, kommt es – was die Beachtung des Rücksichtnahmegebots betrifft – maßgeblich auf die Zumutbarkeitsschwellen an, die sich aus den Maßstäben der SportanlagenlärmschutzVO ergeben.
Sie konkretisiert das vom Normgeber für erforderlich gehaltene Lärmschutzniveau differenzierend nach dem Gebietscharakter, nach Tages-, Nacht- und Ruhezeiten und nach Werktagen sowie Sonn- und Feiertagen, durch Festlegung bestimmter Immissionsrichtwerte und des Verfahrens für die Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen.
Die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmimmissionen knüpft an die Schutzbedürftigkeit des Immissionsortes an, hier also die Grundstücke der Nachbarn. Die Schutzbedürftigkeit ihrer Grundstücke zum Kunstrasenplatz A hin richtet sich nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes. Dieser setzt für das Grundstück der klagenden Nachbarn ein allgemeines Wohngebiet (WA-Gebiet) fest. Dementsprechend hat die Stadt in der angefochtenen Baugenehmigung verfügt, dass beim Betrieb des Sportplatzes die Richtwerte der SportanlagenlärmschutzVO für ein allgemeines Wohngebiet einzuhalten sind. Einen höheren Schutz als für ein allgemeines Wohngebiet können die Nachbarn aber keinesfalls beanspruchen.
Die Stadt hatte durch Nebenbestimmungen in der Baugenehmigung in ausreichendem Maße sichergestellt, dass beim Betrieb des benachbarten Sportplatzes an den Grundstücken der Nachbarn die für ein WA-Gebiet höchst zulässigen Werte eingehalten und die Grenzen der Zumutbarkeit für die Anwohner nicht überschritten werden.
In dem Schallgutachten der Sachverständigen war detailliert dar- und festgelegt, zu welchen Zeiten werktags und Sonntags innerhalb und außerhalb der Ruhezeiten auf den den Anwohnergrundstücken zugewandten Sportplätzen, insbesondere auf dem neuen Kunstrasenplatz A, gespielt und trainiert werden darf. Gleichzeitig haben die Gutachter festgelegt, wie viele Zuschauer ein Spiel verfolgen dürfen und wie viele Parkvorgänge erfolgen können, damit die WA-Werte am Grundstück der klagenden Anwohner eingehalten werden. An diese Vorgaben aus dem Gutachten ist der Sportverein gebunden.
Die Annahmen im Gutachten der Sachverständigen sind realistisch und kontrollierbar. Die Zahl der Zuschauer lässt sich anhand der verkauften Eintrittskarten kontrollieren, die Zahl der zumutbaren Parkvorgänge ist so hoch bemessen, dass eine Überschreitung unrealistisch erscheint.
Dass die Sachverständigen an den Grundstücken der Nachbarn keine konkreten Schallmessungen durchgeführt haben, sondern die jeweiligen Werte berechnet haben, ist rechtlich nicht zu beanstanden, den die SportanlagenlärmschutzVO sieht nur eine Berechnung der Immissionen vor. Dies deshalb, weil im Regelfall ein Lärmschutzgutachten vor der Erteilung einer Baugenehmigung und deren Umsetzung eingeholt wird, ein Emissionsgegenstand zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung also noch gar nicht existiert und eine Messung ins Leere ginge.
Die dem Sportverein von der Stadt zugleich mit der Baugenehmigung erteilte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes, hier von der Verpflichtung, zwischen den Grundstücksgrenzen zu den Nachbarn und dem angrenzenden Kunstrasenplatz A flächenhafte Anpflanzungen vorzunehmen, verletzt keine nachbarlichen Rechte der Anwohner.
Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes befreit werden, wenn u.a. die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Dabei ist davon auszugehen, dass bei einer fehlerhaften Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben ist. Die von der Stadt erteilte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans, in einem zehn Meter breiten Streifen zwischen Sportplatz und den Grundstücken der Anwohner flächenhafte Anpflanzungen vorzunehmen, berührt nicht die Grundzüge der Planung.
Die Anpflanzungen sollten zwar nach der Begründung des Bebauungsplanes aus Gründen des Immissions- und Landschaftsschutzes erfolgen, die Festsetzung ist jedoch ungeeignet, die benachbarten Grundstücke vor Immissionen durch den Sportbetrieb auf dem angrenzenden Kunstrasenplatz A zu bewahren und allein schon aus diesem Grund nicht nachbarschützend.
Die durch die Baugenehmigung und die Befreiung legalisierte Reduzierung der Breite der Freifläche zwischen Nachbargrundstücken und Kunstrasenplatz A von ca. zehn auf drei Meter hat unter Immissionsschutzgesichtspunkten keine Auswirkungen auf die Grundstücke der Nachbarn, denn ein um 7 Meter verringerter Abstand zwischen Anwohnergrundstücken und Spielfeld hat keine messbaren Auswirkungen auf die Immissionsituation.
Da die Stadt dem Sportverein eine Befreiung von im Ergebnis nicht nachbarschützenden Vorschriften des Bebauungsplanes erteilt hat, kommt es lediglich auf die Frage an, ob die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Diese Frage ist zu bejahen, denn wenn der Sportverein die Auflagen beachtet, die die Stadt der Baugenehmigung beigefügt hatte, werden die in einem allgemeinen Wohngebiet höchstzulässigen Beurteilungspegel nicht überschritten. Mehr können die Nachbarn nicht verlangen.
Verwaltungsgericht Minden vom 31.01.2012 – 1 K 2469/10 –