Kletterhallen schießen in Deutschland wie Pilze aus dem Boden. Wer hoch hinaus will, kann auch tief fallen. Kletterer an der Wand kennen ihr Risiko. Aber kennen es auch diejenigen, die bei einer Kletterpartie auf dem Boden bleiben und für Sicherheit sorgen sollen?
Zwei erfahrene Kletterer hatten sich am 7. Dezember 2011 zum gemeinsamen Hallenklettern verabredet. Der eine kletterte eine Route bis kurz vor dem Umlenkpunkt (es handelt sich um den höchsten Punkt der Route), während der andere ihn vom Boden aus mittels eines Seils sicherte, das durch eine sogenannte Tube, Typ ATC XP, verlief. Bei der Tube handelt es sich um ein dynamisches Sicherungsgerät, das dem Sichernden als Kraftverstärker fungiert. Kurz vor dem Umlenkpunkt klippte der Kletterer sein Sicherungsseil in zwei gegengleiche Karabiner ein. Als er den letzten Zug zum Umlenkpunkt klettern wollte, um die von ihm gewählte Kletterroute zu beenden, stürzte er ungebremst aus ca. zehn Meter Höhe auf den Boden. Hierdurch erlitt er eine beidseitige Calcaneusfraktur (Fersenbein) sowie eine Kieferköpfchenprellung. Das Resultat war eine siebentägige stationäre Behandlung.
Der gestürzte Kletterer behauptete, dass der zur Sicherung Eingeteilte ihn aus Unachtsamkeit nicht abgefangen habe. Deshalb sei dieser ihm zur Zahlung von Schadenersatz dem Grunde nach verpflichtet. Nachdem die ärztliche und physiotherapeutische Behandlung noch andauere, er nach wie vor Schmerzen habe und die Gefahr von Dauerschäden bestehe, verlangte er die Feststellung der Verpflichtung auf Schadenersatz dem Grunde nach.
Der so in Anspruch Genommene wandte sich gegen den Feststellungsantrag. Ein solcher sei unzulässig, da die Bezifferung des Schadens bereits jetzt möglich sei. Zudem habe der Verunglückte den Unfall letztlich selbst verschuldet, da sich dieser wissentlich auf die Sicherung mittels Tube eingelassen hatte, obwohl es andere,wesentlich bessere Sicherungsgeräte gebe. Er habe jedenfalls nichts falsch gemacht.
Die Feststellungsklage war zulässig und begründet
Eine Feststellungsklage ist bereits dann zulässig, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger seinen Anspruch deshalb ganz oder teilweise noch nicht beziffern kann. Ein Kläger hat insofern ein Wahlrecht, ob er in einem solchen Fall den bereits bezifferbaren Teil seines Anspruchs durch Leistungsklage geltend macht und einen ergänzenden Feststellungsantrag stellt oder stattdessen den gesamten Anspruch im Wege der Feststellungsklage geltend macht.
Da sich der Unfall erst am 7. Dezember 2011 ereignet hatte, ging das Gericht aufgrund der durch den Arztbericht belegten schweren Verletzung der Fersenbeine, die einen einwöchigen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten, davon aus, dass die Schadensentwicklung bei Klageerhebung im März 2012 noch nicht abgeschlossen war.
Die Klage war auch in vollem Umfang begründet
Der beklagte Kletterer war zum fraglichen Zeitpunkt verabredungsgemäß dafür verantwortlich, den Kletterer bei dessen Tour vom Boden aus zu sichern. Er hatte damit eine Garantenstellung aufgrund einer tatsächlichen Übernahme von Schutzpflichten übernommen. Zwischen den beiden Kletterern wurde dabei eine Gefahrengemeinschaft begründet. Aufgrund der Garantenpflicht hatte der sichernde Kletterer den anderen vor dem Abstürzen zu bewahren.
Ursächlich für die erlittenen Verletzungen des abgestürzten Kletterers war die zumindest zum Zeitpunkt des Sturzes fehlende Sicherung seitens des hierfür Verantwortlichen.
Diese Rechtsgutverletzung hatte der sichernde Kletterer grob fahrlässig verursacht.
Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist.
Grundsätzlich trägt der Geschädigte als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale. Vorliegend trat jedoch eine Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten ein. Höchstrichterlich ist anerkannt, dass die Möglichkeit des Nachweises von den subjektiven Voraussetzungen erheblich davon abhängt, inwieweit der Geschädigte den objektiven Geschehensablauf in seinen Einzelheiten überhaupt aufklären kann. So kann bei typischen Geschehensabläufen am äußeren Hergang der Schadensentstehung auf einen Sorgfaltspflichtverstoß geschlossen werden. Dieser Ansatz, von der Rechtssprechung entwickelt und der Literatur überwiegend geteilt, muss auch im vorliegenden Fall Geltung beanspruchen.
Dem zur Sicherung eingeteilten Kletterer fiel zum fraglichen Zeitpunkt die Aufgabe zu, den Kletterer mittels Seil unter Zuhilfenahme des Sicherungsgerätes Tube vor einem Absturz zu bewahren. Der Absturz des Kletterers wurde unstreitig durch eine zum fraglichen Zeitpunkt unterlassene Sicherung verursacht. Dieser äußere Ursachenzusammenhang indiziert eine Pflichtverletzung auf Seiten des am Boden stehenden Kletterers.
Dem Kletterer, der zum Zeitpunkt des Absturzes logischerweise nicht bemerken konnte, wieso ihn der andere nicht sicherte, war es praktisch nicht möglich, Feststellungen zum Verschulden des Kletterpartners zu treffen.
Mangels Vortrag und Beweisangebot ging das Gericht daher von dessen Verschulden aus. Da der Kletterer sich zum Zeitpunkt des Absturzes in besonders gefährlicher Höhe befand, war der Pflichtverstoß des untätigen Sicherers als gravierend einzuordnen.
Ein Mitverschulden des Verunglückten war nicht anzunehmen. Er war in der Kletterhalle eine Route bis zu einer Höhe von ca. zehn Meter geklettert, wobei er vom Boden aus gesichert wurde. Zur Sicherung diente dabei eine sogenannten Tube. Bei der Tube handelt es sch um ein dynamisches Sicherungsgerät. Die Funktionsweise beruht auf Reibungskräften. Konkret funktioniert sie so, dass das Seil durch vorgesehene Metallösen des Geräts gezogen wird, und dadurch dem Sichernden ermöglicht, den Kletterer mit einem Kraftaufwand von nur etwa einem Zehntel gegenüber den normal erforderlichen Aufwand zu halten.
Die Tube ist sowohl für das sogenannte Toprope-Klettern, als auch für das Vorsteigsklettern geeignet. Kennzeichen des Toprope-Kletterns ist, dass das Seil über den höchsten Punkt der Kletterwand verläuft, und den Kletterer somit ständig potenziell sichert. In dieser Situation besteht grundsätzlich keine freie Fallgefahr, da immer eine direkte Seilverbindung zwischen Kletterer und Sicherndem besteht.
Beim Vorstiegsklettern ist das Seil hingegen nicht am höchsten Punkt der Kletterwand eingehängt. Vielmehr klettert der Kletterer von unten los und hängt das Seil immer in sogenannten Zwischensicherungen, die an der Kletterwand in den Kletterhallen bereits vorhanden sind. Hier besteht eine Sturzgefahr, da der Kletterer die doppelte Entfernung zum letzten Sicherungspunkt fallen kann.
Landgericht Nürnberg-Fürth vom 19.11.2012 – 6 O 2345/12 –