Recife/Cuiaba (SID) Das bevorzugte Mittel der Trainer heißt Offensive. Das Turnier in Brasilien ist auf dem besten Weg, die torreichste WM seit 44 Jahren zu werden. „Die Null muss stehen“ – davon können die meisten Torhüter bei der WM nur träumen. Statt sattelfester Defensive dominieren auch nach dem zweiten WM-Wochenende die Angriffsreihen: Tore sind in Brasilien weiter Trumpf. Anstatt sich hinten rein zu stellen und auf Konter zu lauern, kämpfen die Teams vom Anpfiff an mit offenem Visier.
„Es wurde viel darüber spekuliert, dass die hohen Temperaturen und die speziellen Bedingungen in Brasilien wie eine Handbremse wirken könnten“, sagte FIFA-Präsident Joseph S. Blatter: „Doch jetzt erleben wir das Gegenteil. Die Trainer sind bereit, Risiken einzugehen und ihren Kreativspielern freien Lauf zu gewähren.“
So umstritten der skandalumwitterte Chef des Fußball-Weltverbandes auch sein mag, diesmal hat er recht: die Trainer setzen tatsächlich mehr auf Offensive. Statt mit dem noch vor vier Jahren von fast allen Mannschaften bevorzugten 4-2-3-1-System, spielen viele Länder mittlerweile wieder mit zwei oder sogar drei Stürmern.
„Das ist eine Tendenz, die schon jetzt absehbar ist“, sagte Gerard Houllier. Der frühere französische Nationaltrainer ist einer der Spielbeobachter aus der Technical Study Group (TSG), der Gruppe der Chef-Analytiker des Fußball-Weltverbandes FIFA: „Unser erster Eindruck ist, dass die Teams schon vom Turnierstart an das Toreschießen in den Vordergrund stellen. Alle scheinen hier wirklich auf Angriff spielen zu wollen.“
Zwar ging die Torquote in den letzten Begegnungen etwas zurück, dennoch ist sie weiter so hoch wie seit 44 Jahren nicht mehr. In den ersten 54 Vorrundenspielen fielen 150 Tore – ein Schnitt von 2,78 Toren pro Spiel. Sollte es so weiterlaufen, käme man fast an das Ergebnis der WM 1970 in Mexiko heran. Damals fielen im Schnitt 2,97 Tore pro Spiel.
Die fast schon unheimliche Trefferquote ist zu einem großen Teil der Verdienst der Superstars. Wenn diese Spieler ihre Topleistung abrufen können, das haben die ersten Turnierwochen ganz klar gezeigt, dann sind Tore auch von den besten Abwehrspielern nur schwer zu verhindern.
Und nicht zu vergessen die äußeren Umstände: Standfußball, Langeweile, Hitzekollaps – die Horrorszenarien waren allgegenwärtig. Doch die zumeist heißen Temperaturen wirken sich meist ganz anders aus. Bis die Teams die ersten Anzeichen der Müdigkeit spüren, spielen sie auf Sieg. Danach schwinden Kondition und Konzentration – und dadurch verursachte Fehler führen zu weiteren Treffern.
Dass es aber auch ganz anders kommen kann, bewiesen Nigeria und Bosnien-Herzegowina bei tropischen Temperaturen in Cuiàbá. Nach einer temporeichen ersten Halbzeit waren beide Mannschaften stehend K.o. – und hatten für weiteren Tempofußball in den zweiten 45 Minuten einfach keine Kraft mehr. Es blieb beim 1:0.
Jahr | Austragungsort | Gesamtzahl | Spiele | Durchschnitt pro Spiel |
1930 | Uruguay | 70 | 18 | 3,89 |
1934 | Italien | 70 | 17 | 4,12 |
1938 | Frankreich | 84 | 18 | 4,67 |
1950 | Brasilien | 88 | 22 | 4,00 |
1954 | Schweiz | 140 | 26 | 5,38 |
1958 | Schweden | 126 | 35 | 3,60 |
1962 | Chile | 89 | 32 | 2,78 |
1966 | England | 89 | 32 | 2,78 |
1970 | Mexiko | 95 | 32 | 2,97 |
1974 | Deutschland | 97 | 38 | 2,55 |
1978 | Argentinien | 102 | 38 | 2,68 |
1982 | Spanien | 146 | 52 | 2,81 |
1986 | Mexiko | 132 | 52 | 2,54 |
1990 | Italien | 115 | 52 | 2,21 |
1994 | USA | 141 | 52 | 2,71 |
1998 | Frankreich | 171 | 64 | 2,67 |
2002 | Japan und Südkorea | 161 | 64 | 2,52 |
2006 | Deutschland | 147 | 64 | 2,30 |
2010 | Südafrika | 145 | 64 | 2,26 |
2014 | Brasilien (nach 54 Spielen) | 150 | 54 | 2,78 |
(Stand: 30. Juni)