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November 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

Köln (SID) In den Tagen zuvor hatte es unaufhörlich geregnet. Keiner dieser kräftigen englischen Landregen zwar, aber immer wieder nieselte es, und ein fast schwereloser feuchter Teppich legte sich über das heilige Grün. Kein Wetter für Rasentennis, und ein Dach hatte der Centre Court von Wimbledon, dieses mythische, stets ein wenig düster wirkende, sagenumwobene Bauwerk in London SW19 damals noch nicht. Immerhin liegt die Geschichte ja auch schon 25 Jahre zurück.

Kurzum: Am 8. Juli 1989, einem Samstag, konnte nicht gespielt werden. Steffi Graf und Martina Navratilova, die beiden Finalistinnen im Dameneinzel, brachen nach endlosen Stunden des Wartens ihre Zelte auf der Anlage ab und kehrten in ihre Häuser zurück. Boris Becker und Stefan Edberg hatten die ihren gar nicht erst verlassen, ihr Finale war ohnehin erst für Sonntag angesetzt.

An jenem 9. Juli 1989 hatte der exzentrische englische Wettergott dann ein Einsehen. Es war kein strahlender Sonnentag, aber die Plätze waren trocken, der finale Showdown konnte über die Bühne gehen, und er dauerte gar nicht mal so lange. Um 15.40 Uhr deutscher Zeit war Teil eins beendet: „Game, set, match Miss Graf.“ Keine drei Stunden später wieder die magische Formel: „Game, set, match Becker.“ Gemeinsam hatten die Königskinder des deutschen Tennis, damals 20 und 21 Jahre alt, ihr Gipfelkreuz errichtet.

Es war in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Tag. Steffi Graf, die Beherrschte, Unterkühlte, sie rang die große Navratilova mit ungezügelter Leidenschaft und deutlich sichtbaren Emotionen nieder. Mehrmals schrie „Miss Vorhand“ laut auf, nach besonders gelungenen Punkten zeigte sie fast so etwas wie die Becker-Faust – normalerweise undenkbar in ihrem mit überlegener Präzision geführten Spiel. Nach dem Matchball zum 6:2, 6:7, 6:1 saß Steffi Graf schluchzend auf ihrem Stuhl, und als sie den Silberteller für die Fotografen in die Höhe reckte, hatte sie immer noch feuchte Augen.

Die Tränen kamen Boris Becker wenige Stunden später zwar nicht, aber zu einem Lächeln mochte sich der eigentlich so hochemotionale Champion auch nicht hinreißen lassen. Der Mann, der in Wimbledon die Becker-Faust und den Becker-Hecht erfand, der die Menschen mit seiner ungezügelten Wildheit und seinen offen ausgelebten Gefühlen auf dem Platz faszinierte, wirkte an diesem Tag noch um einige Grad kühler als der ohnehin stets überdisziplinierte Stefan Edberg.

Als Becker mit einem klassischen Service-Winner das 6:0, 7:6, 6:4 perfekt gemacht hatte, hockte er endlose Minuten lang in sich zurückgezogen auf seinem Stuhl, faltete die Hände und blickte zum Himmel – vielleicht ahnte er da schon, dass sein dritter zugleich sein letzter Wimbledon-Titel bleiben sollte. Die Wolken hatten sich mittlerweile dick und schwarz über dem Centre Court zusammengerottet, genau fünf Minuten nach dem Matchball setzte der Regen ein.

In der Dämmerung dieses historischen Tages strahlten Graf und Becker dann aber doch noch mal um die Wette. Im Blitzlicht der „viewing line“, der traditionellen Wimbledongasse für die Schaulustigen direkt vor den von Efeu umrankten Mahagoni-Türen des All England Club, ließen sie sich gefühlt stundenlang geduldig von den begeisterten Zuschauern ablichten. SMS, Mails, all das war noch ferne Zukunft, und so tickerten die Glückwünsche von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl im Telegrafenraum des Klubs ein.

Fast wäre allerdings dann das „dinner for two“ am Ende jenes denkwürdigen 9. Juli 1989 zum „finner for one“ geworden, denn es ging bereits auf Mitternacht zu, als Boris Becker im Smoking und mit gestylter James-Dean-Frisur endlich zum Champions Dinner anrückte. Und weil es eben schon so spät war, blieb dem jungen Traumpaar des Abends der bei nahezu allen Siegern bis heute höchst verpönte Ehrentanz erspart. Zum Glück, wie beide versicherten.