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April 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

Lissabon (SID) Das Zelluloid hat ausgedient, die Tischtennis-EM in Portugal war die erste große Meisterschaft, bei der Plastikbälle zum Einsatz kommen. Kein Grund zur Aufregung, meinte Timo Boll.

Das Geräusch ist unverkennbar. Es macht „kling, klang“ oder auch „ping, pong“, wenn man so will. Keine Frage, es handelt sich um Tischtennis, das in der riesigen MEO Arena von Lissabon gespielt wurde. Dabei hatte das Spielgerät der Profis bei der Europameisterschaft nur noch entfernt mit dem vergangener Tage zu tun.

Der gute, alte Zelluloidball hat ausgedient. Nach mehr als 88 Jahren und ungezählten Schmetterschlägen. In der portugiesischen Hauptstadt fand erstmals eine große Meisterschaft statt, bei der der neue Plastikball zum Einsatz kam. Der, das bestätigen die Experten, ist in der Produktion ungefährlicher, immerhin galt das leicht entflammbare Zelluloid stets als Gefahrengut.

Zudem erhöhe der Plastikball, und das bestätigen die Experten an den Tischen, die Attraktivität ihres ungemein schnellen Sports. Weniger Rotation gleich längere Ballwechsel, dieses Gesetz gilt seit dem 1. Juli bei internationalen Turnieren, in der Bundesliga und beim ersten Großereignis, der Team-EM in Lissabon.

Die Zweifel vor der Umstellung waren groß, zu sehr hat sich das Zelluloid, ein im 19. Jahrhundert erfundenes Thermoplast aus Cellulosenitrat und Campher, ins kollektive Gedächtnis der Sportart eingebrannt. Tischtennisspieler sind penible Perfektionisten, jede Regelanpassung bedarf einer ausgiebigen Testphase. Die hatte es vor der EM nicht gegeben, zumindest nicht mit vergleichbaren Bällen. Verkommt der kontinentale Höhepunkt der Saison damit zu einer Materialschlacht um ein unbekanntes Flugobjekt?

Timo Boll hat dazu eine deutliche Meinung: „Ach was. Das ist kein riesiger Unterschied“, sagte der 16-malige Zelluloidball-Europameister: „Und außerdem haben doch alle die gleichen Bedingungen.“ Sein Bundestrainer Jörg Roßkopf, Deutschlands „Mr. Tischtennis“, meint: „Gute Spieler werden auch weiterhin gut spielen. Klar, es gibt weniger Spin, dann muss die Qualität der Schläge besser werden.“

Bolls Qualität ist seit mehr als einer Dekade unbestritten hoch, zudem sei er „ein Typ, der sich nicht so schnell verrückt machen lässt. Es gibt bestimmt andere, die sich mehr damit beschäftigen“, so Roßkopf.

Einer davon ist Deutschlands Nummer eins Dimitrij Ovtcharov. Bereits in der Vorbereitung auf die EM hatte sich „Dima“ intensiv mit den Eigenheiten des Plastikballs auseinandergesetzt. Die EM-Bälle, ein japanisches Fabrikat, „stoppen viel mehr, die haben viel mehr Kreide, die sind viel härter, die wurden anders verklebt, die wurden verkeilt, nicht aufeinander gepresst. Die haben eine viel bessere Naht, die werden wie ein Puzzleteil zusammengesetzt und haben eine Latexschicht.“

Was Ovtcharov mit seinem Fach-Chinesisch sagen will: Es gibt in der Produktion des Plastikballs noch gravierende Unterschiede. Mit der Premium-Ware, die bei der EM ausgeteilt wurde, sind die Profis vorerst zufriedengestellt. Bis der Plastikball allerdings im gesamten Tischtennis-Universum seinen Vorgänger aus Zelluloid verdrängt hat, wird noch einige Zeit vergehen.