Laut Polizeibericht handelte es sich um eine sogenannte „Lenkmatte“, die die Kinder dabei hatten. Lenkmatten – das sind Drachen, wie sie eigentlich von Kite-Surfern verwendet werden. Mit einem kleineren, kindgerechteren Drachen wäre die Geschichte vielleicht weniger schlimm ausgegangen.
Der TSV hatte zur Jugendfreizeit in den Herbstferien an die Nordsee eingeladen. Weil es dort eine riesengroße Wiese gibt, auf der man hervorragend Drachen steigen lassen kann, stand in der Ausschreibung: „Wer einen Drachen besitzt, kann diesen gerne mitbringen.“
Als die zwölfjährigen Zwillinge Jan* und Kathrin* das gelesen hatten, verschwanden sie augenblicklich im Keller, um den Drachen ihres großen Bruders zu holen. Der war in Ferien und konnte leider nicht gefragt werden. So kam es, dass der Drachen mit einer Fläche von vier Quadratmetern mit auf die Jugendreise durfte.
Am Ankunftstag herrschte an der Nordsee Windstärke 5, das bedeutet umgerechnet: eine mittlere Windgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern und optimale Bedingungen zum Drachensteigenlassen. Da wollten die Kinder sich kaum noch die Zeit zum Koffer auspacken nehmen.
Reiner* und Orhan*, die beiden Betreuer, wurden bedrängt, noch am selben Tag mit der Gruppe auf die Wiese zu gehen und die bunten Drachen steigen zu lassen. Die beiden Betreuer ließen sich trotz einiger Bedenken wegen des ziemlich starken Windes überreden. Sie mahnten die Kinder allerdings zur Vorsicht: Die Wetterlage sei nicht zu unterschätzen, der Wind war unbeständig und erreichte in Böen eine Windgeschwindigkeit bis zu 50 Stundenkilometern, also Stärke 7.
Leinen los
Jan und Kathrin waren mit Feuereifer bei der Sache. Jan kannte sich aus: „Wenn der Wind stark genug ist, braucht man gar nicht mitzulaufen. Man stellt sich mit dem Rücken zum Wind und wickelt die Schnur ab.“
Kathrin nahm ihrem Bruder die Haspel aus der Hand und ging rückwärts, bis die Schnur sich spannte. Im selben Moment erfasste ein Windstoß den Drachen und riss das Mädchen fünf Meter in die Höhe. Beim Sturz erlitt das Kind schwere Kopf- und Brustverletzungen.
Die Betreuer hatten die Gefahr unterschätzt. Drachen mit derart großen Spannweiten sind keine Kinderspielzeuge, sondern echte Sportgeräte. Selbst bei drei bis vier Quadratmeter großen Lenkdrachen ist es bei stärkerem Wind fast normal, dass sogar kräftige Erwachsene mehrere Meter mitfliegen. Für unerfahrene Nutzer – erst recht für Kinder – ist das ein gefährliches Hobby. Als Vorsichtsmaßnahme sollten zudem unbedingt Handschuhe und ein Schutzhelm getragen werden.
Orhan hatte sofort nach dem Sturz einen Notruf abgesetzt, die verletzte Kathrin wurde umgehend mit dem Hubschrauber in die Klinik gebracht.
Durch die Sorglosigkeit der Betreuer war es zu dem schweren Unfall gekommen. Die ARAG Sporthaftpflicht- wie auch die Sport-Unfallversicherung traten für den entstandenen Schaden ein.
Kathrin erholt sich erfreulicherweise schnell und wird schon bald wieder mit den anderen Kindern toben können.
Wenn Sie, wie die beiden jungen Männer, Kinder und Jugendliche beim Drachensteigenlassen begleiten, machen Sie sich unbedingt vorher mit den Gefahren vertraut.
* Namen von der Redaktion geändert