sid

Dezember 2024

Top-Thema

Neu-Isenburg (SID) Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will die Sommerspiele 2024 nach Hamburg oder Berlin holen – geht auf dem Weg dahin aber ein enormes Risiko ein. Wie das DOSB-Präsidium Ende Oktober in Neu-Isenburg beschloss, wird das wohl entscheidende Bürgerreferendum für oder gegen eine deutsche Olympiabewerbung erst nach der Kür der Bewerberstadt durchgeführt werden. Es droht damit ein ähnliches Szenario wie bei der klaren Ablehnung von „München 2022“ im vergangenen Jahr.

Zwar präsentierten DOSB-Präsident Alfons Hörmann und sein Generalsekretär Michael Vesper Ende Oktober durchaus Zahlen, die für eine Olympia-Begeisterung sprechen. „Die generelle Zustimmung zum Projekt Olympia liegt in beiden Städten bei der Größenordnung von rund 80 Prozent – ein aus unserer Sicht unglaublich positiver Wert“, sagte Hörmann dem SID.

Bei der Frage aber, ob die Spiele in der eigenen Stadt stattfinden sollen, deutet selbst die vom DOSB initiierte Forsa-Umfrage auf ein 50:50-Ergebnis hin. Das versteht der DOSB als „Arbeitsauftrag“. Ob die Berliner oder Hamburger tatsächlich den Daumen heben würden, steht in den Sternen.

Zunächst wird das DOSB-Präsidium seinen Beschlussvorschlag für die grundlegende Bewerbung für 2024 und gegebenenfalls 2028 in die Mitgliederversammlung am 6. Dezember 2014 in Dresden einbringen. Am 21. März 2015 – kurz nach der Hamburger Bürgerschaftswahl am 15. Februar – fällt dann die Entscheidung für eine der beiden Städte. Einen Vorschlag will das Präsidium zusammen mit „erfahrenen Mitgliedern der Sportfamilie sowie Vertretern aus Politik und Gesellschaft“ am 16. März erarbeiten.

„Wir sind fest davon überzeugt, dass es eine große Chance für die dann eine Stadt und für den gesamten deutschen Sport ist“, sagte Hörmann: „Und dass das Projekt Olympia gut für unser Land sein kann und sein wird.“

Bis Ende des Jahres 2015 muss der DOSB seinen Antrag auf den Status einer Kandidaten-Stadt beim IOC stellen. Das Szenario, eine Stadt gewählt zu haben, deren Bürger doch nicht wollen, kommentierte das Präsidium ausweichend. Ein Referendum vor der Wahl mache wenig Sinn, meinte Hörmann, weil den Bürgern schließlich ein handfestes Konzept an die Hand gegeben werden müsse. Vergeben werden die Spiele 2024 am 15. September 2017 durch das Internationale Olympische Komitee (IOC).

Entscheidend für den DOSB-Fahrplan sind wohl die zurzeit noch unsicheren politischen Verhältnisse in den Bewerberstädten. In Berlin räumt der Regierende Bürgermeister und Olympia-Befürworter Klaus Wowereit am 11. Dezember sein Amt, in Hamburg gibt es am 15. Februar Neuwahlen. Die Bestätigung von Bürgermeister Olaf Scholz gilt als sicher, doch könnte der SPD-Mann auf einen neuen Koalitionspartner angewiesen sein. Sollten das die Grünen sein, dürfte es die Hamburger Bewerbung deutlich schwerer haben.

Deutschland ist bisher sechsmal mit seinen Bewerbungen um Olympische Spiele gescheitert. Zuletzt platzte der Traum von Winter-Olympia 2022 in München an einem Bürgerbegehren, als sich in München, Garmisch-Partenkirchen, den Landkreisen Berchtesgaden und Traunstein jeweils über 50 Prozent der Abstimmenden gegen die Spiele aussprachen. 2011 war das Projekt „München 2018“ am klaren Wahlsieg des südkoreanischen Pyeongchang gescheitert.

Fragen und Antworten zum DOSB-Beschluss für eine Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele 2024

Was hat das DOSB-Präsidium beschlossen?

Es traf den „Grundsatzbeschluss, dass der DOSB sich mit einer der beiden interessierten Städte Berlin und Hamburg um die Spiele der XXXIII. Olympiade im Jahr 2024 bewerben wird“. Dieser Beschluss wird der 10. Mitgliederversammlung des DOSB am 6. Dezember in Dresden zur Abstimmung vorgelegt. Zur Beschlussfassung genügt die einfache Mehrheit. Die Zustimmung gilt als sicher.

Wie sieht der weitere Zeitplan aus?

  • März 2015: Präsidiumssitzung zur Vorbereitung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung.
  • März 2015: Außerordentliche DOSB-Mitgliederversammlung mit dem einzigen Tagesordnungspunkt „Entscheidung über die Bewerberstadt“.
  • Herbst 2015: Abgabe der Interessensbekundung beim IOC.
  • März 2016: Abgabe des „Mini Bid Book“ beim IOC. Es enthält konkrete Planungen für die Sportstätten, das Olympische Dorf, die Unterbringung der olympischen und paralympischen Familie sowie der Medienvertreter und für die Infrastruktur.
  • Juni 2016: Entscheidung der IOC-Exekutive über die „Candidate Cities“ 2024.
  • Sommer 2017 (voraussichtlich 15. September, Ort steht noch nicht fest): Entscheidung der IOC-Vollversammlung über die Ausrichterstadt der Sommerspiele 2024.
  • Wann hat es in Deutschland Olympische Spiele gegeben? 1936 in Berlin (Sommer) und Garmisch-Partenkirchen (Winter), 1972 in München (Sommer). 2022 wäre Deutschland also 50 Jahre ohne Spiele und damit eigentlich mal wieder dran“ – ein großes Pfund einer möglichen Bewerbung.

Welche deutschen Olympia-Bewerbungen sind gescheitert?

Garmisch-Partenkirchen für 1960 (Winter), Berchtesgaden für 1992 (Winter), Berlin für 2000 (Sommer), Leipzig für 2012 (Sommer), München für 2018 (Winter), München für 2022 (Winter – vor offizieller Bewerbung durch negatives Bürgervotum). Garmisch-Partenkirchen war auch 1940 als Ausrichter der Winterspiele vorgesehen. Die Absage erfolgte nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

Welche möglichen Konkurrenten gibt es für 2024?

Noch hat niemand offiziell den Hut in den Ring geworfen. Zu erwarten sind aber Bewerbungen aus den USA (mit Boston, Washington, Los Angeles oder San Francisco), Istanbul, Doha/Katar und Paris. Im Gespräch sind auch Rom, Baku/Aserbaidschan, Melbourne, Casablanca/Marokko und Durban/Südafrika. Wegen der potenziell starken Konkurrenz sieht der Beschluss des DOSB-Präsidiums eine mögliche weitere Bewerbung um die Spiele 2028 vor.

Welche Risiken geht der DOSB ein?

Eine Bewerbung wird nur eingereicht, wenn sich die Bürger in Berlin bzw. Hamburg in einem Votum dafür aussprechen. Ein negatives Bürgervotum hat bereits eine Bewerbung Münchens um die Winterspiele 2022 verhindert. Der DOSB setzt dennoch weiter alles auf die eine Karte Olympia. In Zeiten schwindenden Erfolgs (bei den Winterspielen in Sotschi wurde selbst die untere Grenze des DOSB-„Medaillenkorridors“ nicht erreicht) und ungewisser Finanzierung (Curling soll als erster DOSB-Mitgliedsverband aus der Sportförderung fallen) erwartet der DOSB von Olympia einen riesigen Konjunkturschub.

Im DOSB-Beschluss liest sich das wie folgt: „Für den Sport sind die Olympischen und Paralympischen Spiele das wichtigste Ereignis überhaupt. Sie bieten die Chance, das Thema Sport in der ausrichtenden Gesellschaft entscheidend neu zu positionieren und schon in der Bewerbungsphase, umso mehr nach einem möglichen Zuschlag, Kräfte für das ganze Spektrum des Sports freizusetzen, die ohne einen solchen Katalysator nicht zu generieren wären.“

Wie stehen die Chancen für ein positives Votum?

Das ist völlig unklar. Die grundsätzliche Zustimmung für Olympische Spiele in Deutschland ist hoch. Bei einer DOSB-Umfrage im September sprachen sich in Hamburg 80 Prozent und in Berlin 79 Prozent dafür aus. Die Begeisterung für Olympia vor der eigenen Haustür hält sich in Berlin (48 Prozent) und Hamburg (53 Prozent) aber in Grenzen. Auch in München und den Partnergemeinden gab es bezüglich einer Bewerbung um die Spiele 2022 bis kurz vor dem Votum in den Umfragen positive Zahlen – im Votum selbst scheiterte die Bewerbung dann krachend.

Wieso gibt es in Hamburg und Berlin verhältnismäßig viele Skeptiker?

Es ist unklar, wie teuer die Spiele werden würden. Den operativen Kosten von angeblich jeweils gut zwei Milliarden Euro steht eine bislang nicht abzuschätzende Summe gegenüber, die für zusätzliche Investitionen im Zuge der Spiele aufgebracht werden müsste. Ausufernde Großprojekte (Flughafen BER bzw. Elbphilharmonie) drücken in beiden Städten auf die Stimmung. Zudem herrscht in Teilen der Bevölkerung große Skepsis gegenüber dem IOC.

Welche Rolle spielen das IOC und dessen deutscher Präsident Thomas Bach?

Bach will die Spiele mit seiner „Agenda 2020“ billiger machen und den Ausrichtern mehr Mitbestimmung einräumen. Auf der IOC-Session in Monaco gilt es auch, Vertrauen zurückzugewinnen. Das schlechte Image des IOC hat zu den negativen Bürgervoten in München und zuletzt in Oslo beigetragen. Da die Entscheidung über die Olympia-Austragung in Deutschland am 6. Dezember fällt und damit drei Tage vor den entscheidenden Abstimmungen in Monaco, ist dem DOSB ein möglicherweise vernünftiger Rückzugsweg verbaut: Nein zu sagen zu Olympischen Spielen in Deutschland.