Köln (SID) Weltmeister mit Spätfolgen – mehr als die Hälfte der 23 Helden von Rio de Janeiro kämpften im vergangenen Halbjahr mit Problemen aller Art. Am 5. Dezember saßen sie alle nebeneinander, in dicken Winterjacken: vier Weltmeister. Ohne WM-Einsatz zwar, allesamt, aber dennoch: vier Weltmeister. Roman Weidenfeller, Matthias Ginter, Kevin Großkreutz und Erik Durm. Alle durften zunächst einmal nicht spielen gegen 1899 Hoffenheim an diesem Freitagabend, und spöttisch ließe sich leicht sagen: Die Bank der BVB-Weltmeister – das ist ja wie in Brasilien.
Es hat eine feine Ironie, dass jene, die beim Triumph der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Nebenrollen spielten, nun die größten Probleme haben. Während Manuel Neuer hält, als habe er Arme wie ein Oktopus, Toni Kroos weltklasse ist und Jerome Boateng spielt, als habe es diese WM nie gegeben, hat es die Dortmunder Fraktion und auch die vier „Engländer“ im Team kollektiv erwischt.
Sie haben ein schwieriges Halbjahr hinter sich, sind verletzt, sitzen auf der Bank, sind umstritten – oder sie wollten ihren Verein verlassen wie Lukas Podolski, dessen Wechsel vom FC Arsenal zu Inter Mailand in dieser Woche vollzogen wurde.
Für den Bundestrainer ist die Krise vieler Weltmeister offenkundig keine Überraschung. „Damit habe ich gerechnet“, sagte Joachim Löw im SID-Interview, „das ist doch normal nach solch einem intensiven Turnier mit einer so großen Willensleistung. Es ist mental auch nicht so einfach, einen so großen Erfolg zu verarbeiten.“
Nimmt man die fünf Dortmunder (inklusive Mats Hummels), die in England spielenden Podolski, Per Mertesacker, Mesut Özil und André Schürrle, dazu noch Julian Draxler, Sami Khedira, Christoph Kramer, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose, hatten sich mindestens 14 der 23 Weltmeister die vergangenen fünfeinhalb Monate sicherlich anders vorgestellt. Erklärungen gibt es viele. Doch der Verdacht WM-Belastung liegt nahe.
Einige kämpften mit Spätfolgen oder Verletzungen, die mit einer Sommerpause vielleicht nicht oder nicht so schlimm aufgetreten wären. Außenbandanriss (Özil) oder Knieprobleme (Schweinsteiger, Khedira), Sehnenriss (Draxler) oder Beckenschiefstand (Hummels), Knöchelbruch (Philipp Lahm). Häufig aber lautete die „Diagnose“: Formschwäche.
Weidenfeller war vor Monaten noch der „beste Torhüter der Welt ohne Länderspiel“, nun genügt Australiens Nummer zwei (Mitch Langerak), ihm den Stammplatz zu klauen. Weidenfeller akzeptierte ohne Murren. Beim Sturz des BVB wurden auch Durm und Großkreutz mitgerissen, Ginter kam in Dortmund erst gar nicht an. Sein Ex-Klub SC Freiburg ist 18., der BVB 17. – das sagt alles. Ginter war völlig von der Rolle.
Miroslav Klose, der beste WM-Torschütze jemals, klagt offen über mangelnde Einsätze. „Ich habe bei Lazio Rom verlängert, weil ich spielen will. Wenn ich aber nur maximal eine Hälfte zum Einsatz komme, genügt das nicht. Da fehlt der Rhythmus“, sagte er. Wechseln will der 36-Jährige nach seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft dennoch nicht.
Immer spielen – das tut Per Mertesacker beim FC Arsenal, zumeist als Kapitän. Weil die Abwehr jedoch häufig wackelt und Mertesacker in schwachen Szenen leicht ein wenig tapsig wirkt, gab es Kritik im Überfluss. Teammanager Arsène Wenger sprang ihm zur Seite: „Er ist auf dem richtigen Weg.“
Das können fast ein halbes Jahr nach dem Finale gegen Argentinien nicht viele von sich behaupten. Christoph Kramer schoss das Eigentor des Jahres, zudem hat er seine Geschichte vom vergessenen Endspiel wohl ein paar Mal zu oft erzählt: Er kam plötzlich etwas abgehoben rüber.
Und der Held von Rio? Fast neigt man dazu, Mario Götze zu vergessen, weil er häufig unauffällig ist. Doch die Bilanz stimmt. 7 Tore in 16 Bundesliga-Spielen hätten andere gern – bis auf Thomas Müller, der hat sie. Und noch sieben Vorlagen zu Toren. Fünf mehr als sein Münchner Teamkollege.