Rostock (SID) Wasserspringer Martin Wolfram (Foto Mitte, deepbluemedia) hat sein traumhaftes Comeback vom Turm mit dem EM-Gold gekrönt. Sollte das Riesentalent gesund bleiben, hat das deutsche Team einen Siegspringer mehr in seinen Reihen.
Nach einer kurzen Nacht mit der geliebten Goldmedaille im Bett hatte sich „Turminator“ Martin Wolfram noch immer nicht ganz gefangen. „Ich bin froh, dass ich wieder stehen kann. Gestern hatte ich ganz wacklige Beine, jetzt geht es besser, aber der Flash ist immer noch da“, sagte der frisch gekürte Wassersprung-Europameister einen Tag nach seinem triumphalen Comeback vom Turm.
Wolfram hatte bei der Heim-EM Mitte Juni in Rostock durch seinen grandiosen Finalsieg mit 575,30 Punkten nicht nur die Weltelite geschockt und Deutschland den ersten Olympia-Quotenplatz beschert, er entschädigte sich außerdem für drei Jahre Leidenszeit mit schweren Verletzungen. „Diesen Titel kann mir keiner mehr nehmen“, sagte der 23-Jährige und fügte mit Blick auf die Top-Turmspringer aus China hinzu: „Ich denke, ich habe einigen Angst gemacht.“
Mit der in der Neptun-Schwimmhalle ersprungenen Punktzahl wäre Wolfram bei den Sommerspielen in London Olympiasieger geworden. Stattdessen war London für ihn der Beginn einer Tortur. Im Olympia-Finale kugelte sich der Dresdner die Schulter aus, ließ sie wieder einrenken und sprang den Wettkampf unter großen Schmerzen zu Ende.
Es folgten eine erste Operation und der Zwangsumstieg auf das Brett, da die Belastungen aus zehn Metern zu groß waren. Vor zwei Jahren gewann Wolfram ebenfalls in Rostock völlig überraschend EM-Silber vom 1-m-Brett, doch erneut warf ihn eine Schulterverletzung zurück. Das Riesentalent musste sich wieder unters Messer legen, verpasste sogar die Heim-EM 2014 in Berlin.
„I’ll be back“, postete Wolfram nach der zweiten Operation auf seiner Facebook-Fanseite. In Rostock löste er dieses Versprechen nun ein. „Da habe ich ein ziemlich großes Ding gerissen. Von meinem ersten Titel habe ich immer geträumt“, sagte der Stabsunteroffizier der Bundeswehr. Bei der Siegerehrung wurde er von seinen Gefühlen übermannt: Die Tränen schimmerten, die Unterlippe zitterte – und die Augen strahlten mit der Goldmedaille um die Wette.
Auch der gestandene Bundestrainer Lutz Buschkow konnte sich ein paar Tränen nicht verkneifen. „Wir haben ihn in London rausgefischt. Das ist schon beeindruckend“, sagte Buschkow, der für die WM im August in Kasan/Russland und für Olympia ein Jahr später in Rio plötzlich zwei Medaillenkandidaten in seinen Reihen hat: Wolfram und den WM-Dritten Sascha Klein.
Klein hatte wegen chronischer Rückenbeschwerden auf einen EM-Einzelstart verzichtet. „Er hat gesagt, dass er sich so gefreut hat, als ob er selbst gewonnen hätte“, berichtete Wolfram über seinen Freund und Zimmerkollegen. Unter anderem aus Rücksicht auf Kleins Wettkampf am Sonntag im Turm-Synchronspringen verzichtete Wolfram auf eine große Siegerparty – aber nicht nur deswegen: „Ich habe mich nicht nach Feiern gefühlt. Ich war emotional und körperlich kaputt.“
Nachts fand der viermalige deutsche Meister dann kaum Schlaf. „Die ganze Zeit ist mir der Wettkampf durch den Kopf gegangen, was alles passiert ist“, sagte Wolfram. Das Handy war zu diesem Zeitpunkt bereits aus, etliche Anrufe und SMS hatten den Akku geleert. „So viele SMS bekomme ich nicht mal zum Geburtstag“, sagte Wolfram. Das ungläubige Lächeln verriet: So ganz glauben konnte der Überraschungs-Europameister seinen Triumph noch nicht.