Hochmoderne Stadien, neue Hotelanlagen sowie kostenlose Anreise und Unterbringung für alle 6000 Athleten – Aserbaidschan hat viel Geld ausgegeben, um die ersten Europaspiele der Geschichte austragen zu können. Die hessischen Sportler waren dabei durchaus erfolgreich: Turner Fabian Hambüchen holte Gold und Silber, Sportschütze Christian Reitz freute sich über Gold mit der Schnellfeuerpistole. „Dennoch muss man eine kritische Bilanz ziehen“, findet Dr. Rolf Müller, Präsident des Landessportbundes Hessen e.V. (lsb h).
Unter anderem stellt der Sportbund-Chef ein sinnvolles Verhältnis von Kosten und (sportlichem) Nutzen dieser Veranstaltung in Frage. „Viele unserer Topathleten sind schließlich gar nicht erst nach Baku gereist. Bei den Schwimmern waren beispielsweise nur die Nachwuchssportler am Start“, so Müller. Dass die Premiere der Europaspiele „übers Knie gebrochen“ worden sei, zeige auch die ungünstige Terminierung: Für die Wildwasserrennsportler liegen sie zum Beispiel direkt vor der Weltmeisterschaft.
„Die drängendste Frage ist jedoch, ob sich der Sport mit diesen Spielen erneut zum Handlanger eines menschenverachtenden Systems gemacht hat“, kritisiert Dr. Müller. Er befürchtet, dass internationale Sportveranstaltungen sukzessive zu einer Leistungsschau autokratischer Regime verkommen könnten.
„Es passt nicht zusammen, dass wir unsere Spitzenathleten in ein Land schicken, in dem die Werte nichts zählen, die wir Tag für Tag in unseren Sportvereinen leben und vermitteln: Fairness etwa, das Einhalten von Regeln, die Gleichbehandlung und Wertschätzung aller“, so der lsb h-Präsident. Trotz toller Erfolge der hessischen Sportler könne man nicht von gelungenen Spielen sprechen, wenn im Hintergrund Dinge passierten, die den Idealen des Sports zuwiderliefen.
Die Europaspiele in Baku seien dabei nur ein Beispiel von vielen. Sie stehen für Müller in einer Reihe mit den Olympischen Spielen in Peking oder Sotschi. Mit der Handball- und Fußball-WM in Katar. Oder mit Formel-1-Rennen in Abu Dhabi. „Es sind Veranstaltungen, die die sicher geglaubte Verbindung zwischen Sport und Demokratie aufbrechen. Die den Olympischen Gedanken, dass Sport eine Bewegung des Friedens ist, bei der Menschen jeder Herkunft sich fair miteinander messen, ad absurdum führen“, beklagt er.
Russland, Katar oder Aserbaidschan verbinde, dass dort Menschrechte verletzt und politische Gegner sowie kritische Journalisten inhaftiert werden. Und dass die Infrastruktur unter ökologischen wie sozialen Bedingungen entstanden ist, die man im Westen als nicht tragbar betrachte. „Die Milliarden Euro, die Aserbaidschan in die ersten Europaspiele der Geschichte investiert hat, zeigen deutlich, wie attraktiv sportliche Großveranstaltungen im 21. Jahrhundert für Diktaturen geworden sind“, warnt der lsb h-Präsident. Herrscher wie Ilham Aliyev sähen darin eine Chance, sich der Welt so zu präsentieren, wie sie gerne gesehen werden möchten. „Diese Chance dürfen wir ihnen nicht geben“, findet Dr. Müller.
„Ja zu Hamburg. Ja zu Olympia. Und Ja zu Spielen, die verbinden anstatt zu spalten“
In der Satzung des Landessportbundes und anderer Sportorganisationen sei die Bekenntnis zur Freiheit in demokratischen Gesellschaften als Leitsatz festgeschrieben. „Es reicht deshalb nicht, nur die schlechten Verhältnisse in Aserbaidschan oder Katar anzuprangern. Vielmehr muss der organisierte Sport in Deutschland, müssen wir als Gesellschaft bereit sein, selbst Verantwortung zu übernehmen.“
Es sei daher folgerichtig und konsequent, dass Hamburg wie Berlin Bereitschaft bekundet haben, die Olympischen Spiele 2024 auszurichten. Wenn es der Hansestadt als deutschem Bewerber nun gelinge, ein stimmiges Konzept vorzulegen – ein transparentes, kluges, nachhaltiges und insgesamt kostengünstigeres –, sei es an der deutschen Bevölkerung, Ja dazu zu sagen. „Ja zu Hamburg. Ja zu Olympia. Und Ja zu Spielen, die verbinden anstatt zu spalten“, so der Landessportbund-Präsident.
Gerade Deutschland – als Ausrichter der Olympischen Spiele 1936 in Berlin – habe eine historische Verantwortung. „Damals waren es die Nationalsozialisten um Adolf Hitler, die den Sport instrumentalisierten und sich mit erheblichem Geld- und Personalaufwand als Großmacht inszenierten. Wir müssen alles daran setzen, dass sich so etwas in Zukunft nicht wiederholt“, lautet Müllers Mahnung.
Quelle: www.landessportbund-hessen.de