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April 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

München (SID) Er hat es oft gehört. Er, Franz Beckenbauer, habe viel Glück gehabt in seinem Leben. Und er streitet es ja auch nicht ab, er hat es nie getan. „Ja, sicher“, sagte Beckenbauer deshalb in der Dokumentation, die Anfang September in der ARD ausgestrahlt wurde, „natürlich“ sei er das, ein vom Glück verwöhntes Sonntagskind. „Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint“, bestätigte er da. „Klar, wenn man so ein Leben hat, in diesen 70 Jahren, angefangen aus dem Nichts kommend.“ Glück gehabt?

Vieles von dem Glück, das ihm widerfahren ist, sofern es wirklich Glück war, hätte Beckenbauer vermutlich gerne eingetauscht in den vergangenen Wochen. Zwei Monate nach dem Ende der Dreharbeiten der Dokumentation verstarb am 31. Juli sein drittgeborener Sohn Stephan im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. Beckenbauer war mit ihm zu den besten Spezialisten gereist, doch nichts und niemand konnte helfen. Am Ende blieb dem Vater nur, den Sohn in den Tod zu begleiten. Mit Glück hat das nichts zu tun.

Sein 70. Geburtstag am 11. September war wohl der traurigste, vermutlich auch der nachdenklichste, den Beckenbauer je erlebt hat. Mit dem Tod ist er bislang eher gelassen umgegangen, „der kommt irgendwann, und keiner kann sich verstecken“, hat er gesagt, und auch: „Du musst den Tod als Freund begreifen, der dich in ein anderes Leben begleitet.“ Es ist anzunehmen, dass er den Tod des Sohnes ein wenig anders einordnet; eines Sohnes, über den und dessen Brüder er gesagt hat, er hätte ihnen ein besserer Vater sein sollen.

Wenn Beckenbauer über Glück gesprochen hat, dann meinte er in der Regel, dass er meist zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Doch es ist mitnichten so, dass ihm alles zugeflogen ist, dass aus dem begnadeten Fußballer der „Kaiser“, später der erfolgreiche Teamchef, eine „Lichtgestalt“, der OK-Chef der WM 2006 und der „Gottvater“ des „Sommermärchens“ wurde. Nur, dass während der WM 2006 fünf Wochen lang die Sonne schien, dafür konnte er trotz gegenteiliger Vermutungen nun wirklich nichts.

Tatsächlich hat Beckenbauer viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen, „Es waren immer Schritte, die ich gemacht habe, ohne darüber nachzudenken, ob es mir etwas bringt oder nicht“, beteuerte er. Für Außenstehende sah es so aus, als werde alles zu Gold, was der „Kaiser“ anfasst. Doch in Wahrheit ist Beckenbauer keiner, der einfach sagt: „Schau’n mer mal.“ Erfolg, betonte er, „ist auch vom Glück abhängig“, aber: „vor allem steckt harte, konsequente Arbeit dahinter. Glück muss man sich erarbeiten.“

Sein Leben, das hat Beckenbauer oft gesagt, sei „perfekt“ gelaufen, und wenn er wiedergeboren werden sollte, „dann als Beckenbauer“. Was häufig untergegangen ist: Dieses Leben ist auch von zahlreichen Brüchen gekennzeichnet, von zahlreichen Widersprüchen. Er hat zwei gescheiterte Ehen hinter sich und ein paar Beziehungen. „Die privaten Trennungen kann man als Scheitern bezeichnen“, gab er zu. Mit seiner dritten Frau Heidi hat er als Mittfünfziger noch zwei Kinder bekommen – zumindest ihnen will er ein guter Vater sein.

Dass er für seine Fehltritte nicht groß verurteilt wurde, hat auch mit seiner Art zu tun. Ein Spruch von Beckenbauer, Schmunzeln oder Gelächter, und alles scheint plötzlich halb so wild. „Der liebe Gott freut sich über jedes Kind“, sagte er etwa über die außereheliche Zeugung von Sohn Nummer vier. Außerdem stammt von ihm noch dieser Satz: „Ich hab mal einen Stammbaum machen lassen: Die Wurzeln der Beckenbauers liegen in Franken. Das waren lustige Familien, alles uneheliche Kinder. Wir sind dabei geblieben.“

Nein, es lief nicht alles perfekt. Als er Teamchef wurde, dachte er noch zu sehr wie ein Spieler; mit der Rolle eines Strategen, der die Dinge nur noch von außen betrachten kann, war er zu Beginn völlig überfordert. Vor und während der WM 1986 in Mexiko etwa zog er über seine Mannschaft her. Da wurde erkennbar, dass Beckenbauer bei aller Geduld, die er dem Mann von der Straße bei der Bitte nach einem Autogramm wie selbstverständlich entgegenbringt, auch so sein kann: aufbrausend, cholerisch, verletzend.

Auch ein paar seiner Entscheidungen oder Ansichten sind fragwürdig. Als Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees votierte er für Russland als Ausrichter der WM 2018. Und unterschrieb danach einen Vertrag mit den russischen Gasproduzenten. Er hält auch in Treue fest zu FIFA-Präsident Joseph S. Blatter. Und dann diese Sätze zu Katar, dem WM-Gastgeber 2022: „Ich habe noch nicht einen einzige Sklaven in Katar gesehen. Die laufen da frei rum. Ich bin oft in Katar und habe deshalb ein anderes Bild, das glaube ich realistischer ist.“

Die Schattenseiten der Lichtgestalt bleiben oft im Dunkeln. Vielleicht, weil keiner seine unvermeidlichen Fehltritte so charmant locker wegreden kann. Vielleicht aber auch, weil man ihm einfach nicht böse sein kann, weil gilt, was DFB-Präsident Wolfgang Niersbach über ihn sagt – Beckenbauer sei vor allem eines: „Ein wunderbarer Mensch.“

70 Jahre Kaiser: Franz Beckenbauer – und einige seiner Sprüche !

  • „Ich lass ihn hinten raus.“ (Auf die Frage, wie er als Trainer mit Druck umgehe)
  • „Ja mei, der Dante. Der braucht den Ball nur zu stoppen. Als Brasilianer. Wenn das jetzt ein Isländer wäre, oder wenn er vom Nordpol kommt, dann würde ich sagen, gut, der hat seine Skistiefel noch an. Aber so: fürchterlich.“
  • „Du, Rodolfo, lass es gut sein, ich bin von der anderen Fakultät.“ (Zu Avancen des homosexuellen Ballett-Stars Rudolf Nurejew)
  • „Ich freue mich auf das morgige Spiel, weil die Engländer nicht verteidigen können und die Portugiesen sowieso nicht.“ (Vor dem EM-Viertelfinale 2004)
  • „Ich habe gelesen, dass Uli Hoeneß das Amt des Aufsichtsratschefs aktiver ausüben will als ich. Da wird der Vorstand künftig nicht zu beneiden sein.“
  • „Ich würde mich als Gelegenheitsarbeiter bezeichnen.“ (Auf die Frage nach seiner genauen Berufsbezeichnung)
  • „Wissen Sie, wer mir am meisten Leid tat? Der Ball.“
  • „Geht’s raus und spielt’s Fußball.“ (Taktische Anweisung vor dem WM-Finale 1990)
  • „In einem Jahr hab ich mal 15 Monate durchgespielt.“
  • „Damals hat die halbe Nation hinter dem Fernseher gestanden.“ (Über das WM-Finale 1990 in Italien)
  • „Ja gut, es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage.“
  • „Die Schweden sind keine Holländer, das hat man ganz genau gesehen.“ (Nach einem DFB-Länderspiel gegen Schweden)
  • „So groß ist das Verbrechen nun auch nicht. Der liebe Gott freut sich über jedes Kind.“ (Über sein zunächst uneheliches Kind)
  • „Ja gut, am Ergebnis wird sich nicht mehr viel ändern, es sei denn, es schießt einer ein Tor.“
  • „Stell dir vor, der zieht wirklich mal richtige Fußballschuhe an.“ (Über Franck Ribéry, als dieser rosarote Fußballschuhe trug)
  • „Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber diese Mannschaft wird auf Jahre hinaus nicht zu schlagen sein.“ (Nach dem WM-Finale 1990)
  • „Das Einzige, was sich in der ersten Hälfte bewegt hat, war der Wind.“
  • Van Gaal ist ein Fachmann, ein Lehrer, ein Fußballlehrer, also ganz anders, genau das Gegenteil von Jürgen Klinsmann.“
  • „Johan war der bessere Spieler, aber ich bin Weltmeister.“ (Über Johan Cruyff)
  • „Erfolg ist ein scheues Reh. Der Wind muss stimmen, die Witterung, die Sterne und der Mond.“
  • „Ich mache ja nur deshalb seit 33 Jahren Fußball, weil ich nichts anderes kann. Wenn ich zum Beispiel einen Schopenhauer lese – ich verstehe ihn nicht.“
  • „Ich habe noch nie eine große Rede gehalten. Ich habe immer nur gesagt, was mir gerade eingefallen ist.“