München (SID) Er war einmalig, unerreicht. Hintern raus, kurze Drehung, Schuss – dann machte es bumm! Gerd Müller gilt als bester Stürmer, den Deutschland je hatte. „Ohne die Tore vom Gerd wären wir noch immer in unserer alten Holzhütte an der Säbener Straße“, würdigte Kaiser Franz Beckenbauer die Verdienste seines Weggefährten um Bayern München. Deutschland wäre 1974 ohne Müllers unnachahmliches 2:1-Siegtor wohl auch nicht Weltmeister geworden. Doch die Jubelbilder sind verblasst. Um den „Bomber der Nation“ ist es längst still geworden.
Anfang Oktober machte der FC Bayern öffentlich, was als eines der am besten gehüteten Geheimnisse im deutschen Fußball galt: Gerd Müller, der ewige Torjäger, ist an Alzheimer erkrankt und lebt seit Februar in einem Pflegeheim. Der große Gerd Müller kämpft einen letzten, schweren Kampf: den gegen das Vergessen. Eine große, öffentliche Feier zu seinem 70. Geburtstag am 3. November, wie sie diese Seele von Mensch verdient gehabt hätte, wird es nicht geben. Müller hätte sie auch nicht gewollt – nicht einmal, als er noch gesund war.
Müller war immer der Stille, der schüchterne und bescheidene Star, der auf all den Trubel um seine Person verdruckst reagierte. Als ihn der FC Barcelona in den 1970er-Jahren mit dem astronomischen Jahresgehalt von 600.000 Mark köderte, lehnte er verständnislos ab. „I mog ned, i kann doch ned mehr als ein Schnitzel am Tag essen“, sagte er. Das Geheimnis seiner vielen Tore war für ihn selbst auch eines. „I hau‘ halt immerzu aufs Tor“, sagte er, „wenn I drei Sekunden zum Überlegen hätte, wär’s vorbei.“
Während Beckenbauer oder Uli Hoeneß nach der Karriere im Rampenlicht blieben, scheute Müller die Öffentlichkeit. Der gelernte Weber war kein Charismatiker, er hatte Probleme mit dem Leben außerhalb des Fußballs. In den 1980er-Jahren verfiel er dem Alkohol, auch finanziell und privat soll er damals in Not geraten sein. Seine Spezln – der Franz und der Uli – fingen ihn auf, gaben ihm eine Aufgabe als Co-Trainer und wieder Halt. „Ohne die Hilfe meiner Freunde hätte ich es wohl nicht geschafft“, sagte Müller einmal.
Auch jetzt stehen die Bayern ihrem „Gerdchen“, wie ihn der kürzlich verstorbene Erfolgscoach Dettmar Cramer nannte, zur Seite. „Wir helfen Gerd, wo es nur geht“, wird Hoeneß in der Biografie „Der Bomber der Nation“ zitiert, die kürzlich im riva-Verlag erschien. Vor allem kümmere sich Müllers Frau Uschi „aufopferungsvoll um Gerd“, betonte Hoeneß, sie stehe ihrem Mann „Tag und Nacht“ zur Seite.
Hoeneß nannte die akuten Probleme seines Kumpels „furchtbar“; überhaupt war und ist die Anteilnahme für „kleines, dickes Müller“ (der frühere Bayern-Trainer Zlatko Tschik Cajkovski) groß. „Das berührt mich sehr. Er war wohl der allergrößte Stürmer, den wir hatten – ein Stürmer, den wir so nie mehr sehen werden“, sagte Bundestrainer Joachim Löw.
Uwe Seeler meinte betroffen: „Das Ganze macht mich einfach nur traurig.“ Und Bayern-Star Thomas Müller, der die Tradition des Tore-„müllern“ fortsetzt, sagte bestürzt: „Die Krankheit von Gerd geht mir an die Nieren. Gerds Torquote wird in Deutschland niemand mehr erreichen, dennoch ist er total bescheiden und hat sich nie darauf etwas Besonderes eingebildet.“
Dabei hätte ihm das niemand krumm genommen. Gerd Müller erzielte 365 Bundesliga-Tore, allein 40 in der Saison 1971/72. In der Nationalmannschaft, wo er nach dem WM-Finale gegen die Niederlande seine Karriere viel zu früh beendete, waren es unglaubliche 68 Treffer in 62 Spielen. Seine Taten besang er selbst eher unbeholfen in „Dann macht es bumm“.
Ob er sich noch daran erinnert? Bei einem seiner letzten Besuche habe er Müller Grüße seiner früheren Schützlinge überbracht, erzählt Hermann Gerland in besagter Biographie. Von Thomas Müller, David Alaba oder Bastian Schweinsteiger. „Da kamen Gerd die Tränen. Er hat geweint.“