London, Großbritannien (SID Franziska Hentke schlug mit der Faust aufs Wasser und schüttelte ungläubig den Kopf: Auf der Anzeigetafel prangte hinter ihrem Namen die „1“. Mit einer Hundertstelsekunde Vorsprung hatte die 26-Jährige gerade EM-Gold über 200 m Schmetterling gewonnen – ihre erste internationale Medaille im 50-m-Becken nach vielen Enttäuschungen.
„Einfach nur geil, endlich war mal das Glück auf meiner Seite“, sagte die Kurzbahn-Europameisterin, die nach 2:07,23 Minuten hauchdünn vor der Ungarin Liliana Szilagyi und der Spanierin Judit Ignacio Sorribes angeschlagen hatte: „Ich hätte nicht gedacht, dass es Gold wird.“
Der Sieg im Londoner Schwimm-Olympiastadion von 2012 gelang Hentke quasi im Vorbeigehen. Erst zwei Tage zuvor angereist, ohne besondere Vorbereitung, aus dem Training heraus war die WM-Vierte an den Start gegangen und hatte 75 Tage vor den Olympischen Spielen eigentlich nur Brasilien im Kopf. „Ich will die Goldmedaille jetzt nicht zu hoch hängen, letztlich zählt nur Rio und nichts anderes“, meinte sie: „Aber es ist für mein Selbstbewusstsein ein wichtiger Schritt.“
Ein paar Tage zuvor hatte Weltmeister Marco Koch leicht erkältet bei seinem „Testlauf für Rio“ Silber gewonnen. Allen anderen Olympia-Startern hatte Bundestrainer Henning Lambertz nach den schlechten Erfahrungen von 2012 statt der EM Training verordnet. Vor vier Jahren hatten die deutschen Schwimmer bei der EM in Ungarn 17 Medaillen abgeräumt, blieben dann in London aber erstmals seit 80 Jahren ohne olympisches Edelmetall.
Im Aquatics Centre in London sollten Talente für Olympia 2020 und Schwimmer aus der zweiten Reihe internationale Erfahrung sammeln. Auch am letzten Tag waren die DSV-Starter schon in den letzten Vorläufen ausgeschieden. Antonia Massone (Saarbrücken) wurde über 400 m Freistil Zwölfte, der Mainzer Kevin Wedel schlug als Vorlauf-Elfter über 400 m Lagen an.
„Wir dürfen nicht überrascht sein, dass die Jungen beeindruckt waren und nervös in die Rennen gegangen sind. Dafür sind wir ja hierhergekommen. Diesen Erfahrungsschatz brauchen wir“, sagte Lambertz. Koch und Hentke, neben Weltrekordler Paul Biedermann die einzigen realistischen Medaillenhoffnungen des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) in Rio, waren die Einzigen, die in den Endlauf schwammen.
Hentke, vor einem Jahr bei der WM in Kasan als Weltranglistenerste gestartet, als Vierte aber knapp an Edelmetall vorbeigeschrammt, hat sich erstmals für Olympia qualifiziert. „Wir sehen sie alle als eine erweiterte Medaillenhoffung“, sagte Lambertz: „Wir wissen, dass sie die Qualität mitbringt. Aber ich will sie nicht mit zu hohem Erwartungsdruck überladen.“ Nicht nur bei der WM 2015, sondern auch bei der Heim-EM 2014 hatte sie knapp ihre erste Medaille verpasst.
Mit zehnmal Gold, viermal Silber und fünfmal Bronze stellten die ungarischen Schwimmer die britischen Gastgeber (7/6/9) in den Schatten. Die Deutschen belegten am Ende mit den Medaillen für Hentke und Koch den neunten Rang. „Mit den Leistungen von der DM wären wir hier Zweite im Medaillenspiegel gewesen“, sagte Lambertz im ZDF, „das beruhigt mich.“