München (SID) Mit einer blutenden Wunde unter dem rechten Auge und einem lädierten Oberschenkel saß Bastian Schweinsteiger beim WM-Finale 2014 schwer gezeichnet an der Außenlinie. Doch er raffte sich trotz aller Schmerzen noch einmal auf, er warf sich in Zweikämpfe, er grätschte – und er stieg schließlich zur umjubelten Symbolfigur des WM-Triumphes auf. Das 1:0 gegen Argentinien war das Spiel seines Lebens. Ende Juli hat der von den Fans als „Fußball-Gott“ verehrte Schweinsteiger nach 120 Einsätzen mit vielen Höhen, aber auch etlichen Tiefen genug von der Nationalmannschaft. Eine Ära, die am 6. Juni 2004 mit einem 0:2 gegen Ungarn begonnen hatte, geht zu Ende.
„Mit dem Gewinn des Weltmeistertitels 2014 ist uns historisch und auch emotional etwas gelungen, was sich in meiner Karriere nicht mehr wiederholen lässt. Deshalb ist es richtig und vernünftig, nun Schluss zu machen“, schrieb der 31-Jährige in seiner 23-zeiligen Abschiedserklärung bei Twitter. Zuvor hatte er Bundestrainer Joachim Löw in dessen Sardinien-Urlaub über seinen Entschluss informiert und gebeten, ihn künftig „nicht mehr zu berücksichtigen“.
Warum genau, erklärte er wenig später auf dfb.de. „Im vergangenen Jahr fehlte mir ein wenig die Spielpraxis und der Rhythmus, trotzdem hat Jogi Löw fest auf mich gebaut, was mich natürlich gefreut hat. In Frankreich haben wir dann alle unser Bestes gegeben. Erstmals haben wir Italien aus einem großen Turnier geworfen, doch das Ausscheiden gegen Frankreich in Marseille war dann schon ein sehr bitterer Moment. Es sollte nicht sein. Nach dem Turnier habe ich natürlich über mein Karriereende in der Nationalmannschaft nachgedacht. Es war also eine Entscheidung, die sich zwar angebahnt hat, die ich aber trotzdem jetzt auch sehr kurzfristig getroffen habe“, so Schweinsteiger.
Der Schritt von Schweinsteiger kam dennoch wenig überraschend. Schon nach dem Halbfinal-Aus bei der EURO in Frankreich hatte einiges auf einen Rücktritt des England-Legionärs von Manchester United hingedeutet. In den Flitterwochen mit Ana Ivanovic, die er Mitte Juli in Venedig geheiratet hatte, stellte er endgültig die Weichen in Richtung Abschied – und er hinterlässt eine Lücke.
„Es verabschiedet sich ein ganz Großer“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel. Löw stellte das „absolute Vertrauen“ zu seinem Kapitän heraus: „Durch sein Verhalten hat er die Mannschaft geprägt. Ich als Trainer habe viel von ihm profitiert.“
Für Teammanager Oliver Bierhoff hat Schweinsteiger nach der enttäuschenden EM 2004 gar „den Aufbruch des deutschen Fußballs entscheidend mitgestaltet“, mit dem Höhepunkt 2014: „Da hat er all seine Qualitäten gezeigt – unbedingter Einsatz, Mannschaftsgeist, Härte gegen sich selbst und einen absoluten Siegeswillen.“ Nationalelf-Kollege Thomas Müller schrieb bei Twitter von „vielen großartigen, gemeinsamen Stunden“. Er werde immer „ein Idol bleiben“, ergänzte Grindel.
Schweinsteiger kann das DFB-Team erhobenen Hauptes verlassen, mit einer beeindruckenden Bilanz und mit 120 Einsätzen als Nummer vier der ewigen Rangliste. Er habe in seinen zwölf Jahren als Nationalspieler Momente erlebt, „die unbeschreiblich schön und erfolgreich waren“, betonte er. Es sei „immer eine Ehre“ gewesen, die Nationalelf eine „wertvolle Familie“.
Ein perfektes Ende mit dem erhofften EM-Triumph war dem früheren Münchner aber nicht vergönnt. Im EM-Halbfinale gegen Frankreich (0:2) wurde er durch sein Handspiel im eigenen Strafraum vor dem 0:1 sogar zur tragischen Figur. „Jogi Löw wusste, wie viel mir die EM 2016 in Frankreich bedeutet hat, denn ich wollte diesen Titel, den wir seit 1996 nicht mehr nach Deutschland holen konnten, unbedingt gewinnen“, sagte er.
Nach der WM 2014 war Schweinsteiger zum DFB-Kapitän aufgestiegen, als Nachfolger von Philipp Lahm, der im Gegensatz zu seinem Kumpel auf dem Höhepunkt zurückgetreten war. Schweinsteiger verpasste diese Chance – und er erlebte zwei Jahre, die hauptsächlich von Verletzungen geprägt waren. Auch sein EM-Einsatz war lange Zeit fraglich gewesen.
2004 hatte Schweinsteiger bei der EURO in Portugal als 19-Jähriger gemeinsam mit Lukas Podolski den Sprung in den EM-Kader geschafft. Zwei Jahre später wurden „Schweini“ und „Poldi“ bei der Heim-WM zu den Symbolfiguren des Sommermärchens. Auch Podolski verabschiedete sich am Freitag: „Danke. Ich werde Dich vermissen.“
Im Verein war Schweinsteiger bis zu seinem Wechsel nach Manchester jahrelang das Gesicht des FC Bayern gewesen. Mit den Münchnern wurde er achtmal Meister und siebenmal DFB-Pokal-Sieger, 2013 gewann er die Champions League und den Weltpokal. Er war stets Publikumsliebling, Führungsspieler und Liebling seiner Trainer. Für Jupp Heynckes war Schweinsteiger in München „die Seele und das Herzstück der Mannschaft“, für Ottmar Hitzfeld und Löw der „emotionale Leader“, der im DFB-Team nun von Bord geht.