Paris/Lahti (SID) Die fünf Tage in der Arrestzelle des Pariser Flughafens waren das Schlimmste, was Adrian Solano in seinem jungen Leben widerfahren ist. So schien es ihm jedenfalls. Allerdings kannte er da die WM-Loipe von Lahti noch nicht. Vielleicht, mag Solano kurz gedacht haben, als er schnaufend im Krebsgang und mit gebrochenem Stock hangauf stapfte, war es da in Paris doch gar nicht zu übel. Zumindest wärmer.
Der Reihe nach: Adrian Solano ist 22 Jahre alt, stolzer Venezolaner, noch nicht sehr lange Skilangläufer – und war der erste tragische Held der nordischen Weltmeisterschaften in Finnland, die Ende Februar mit den Ausscheidungsrennen aus exotischen Wintersportnationen begonnen hatten. Die Bandbreite reichte dabei von Armenien (recht exotisch) über Indien (sehr exotisch) bis Solano (um Himmels willen!).
Dass Solano überhaupt in Finnland aufkreuzte, war ein mittleres Wunder. Den Flug von Caracas nach Paris hatte er sich noch leisten können. Dort wurde er aber festgesetzt, weil er nur noch den Gegenwert von 20 Euro in Bargeld mit sich führte – nicht weiter verwunderlich, wenn man in einem Land lebt, das so pleite ist, wie man als Land nur pleite sein kann.
Venezuela hat aber erstaunlicherweise ein Skiteam, und Solano somit einen Teamkollegen. Jener, César Baena namentlich, konnte somit einer schwedischen Tageszeitung vom Schicksal Solanos berichten: Die französischen Grenzer hätten den armen Tropf aus Übersee zunächst voller Grimm düsterer Terrorpläne verdächtigt, ihm dann Drogenschmuggel unterstellt und seien schließlich nach der Einlassung Solanos, auf dem Weg zur Ski-WM zu sein – als Sportler wohlgemerkt – mit einem mehrtägigen Lachkrampf beschäftigt gewesen.
Solano wanderte in Untersuchungshaft, kam auf Intervention der venezolanischen Botschaft jedoch frei und wurde zurück nach Caracas verfrachtet. Im ärmsten Land Südamerikas lernt man aber früh, ein zäher Hund zu sein: Solano schaffte es zurück nach Europa und schließlich irgendwie nach Lahti.
So stand er also pünktlich parat, um zu seiner Odyssee durch den finnischen Wald anzusetzen. Solano, der bereits bei Iksu Umea in Schweden für seinen Auftritt, na ja: trainiert hatte, war als erster Starter aus dem Starthäuschen gejagt worden, und nach knapp sieben Sekunden wurde ihm gewahr, dass die Idee mit dem Langlauf wohl bestenfalls eine mittelgute gewesen sei.
Die Ausrichter hatten nämlich früh eine tückische Kurve eingebaut, die Solano trotz größter Langsamkeit erstmals niederstreckte. Nach zehn Metern – von zehn Kilometern. Und so mäanderte Solano fortan in einer Weise bergauf und bergab, die – schwarzweiß gefilmt und mit entsprechender Musik unterlegt – erstklassig in einen Streifen von Laurel und Hardy gepasst hätte. Stürzte hier, stoppte da, lag im Schnee, saß im Schnee, sortierte seine Ski, seine Stöcke, seine Arme, seine Beine.
Irgendwann war Solano nicht nur der Erste auf der Strecke, sondern auch der (nahezu) Letzte. Und irgendwann verließ er sie schließlich. Stolz, mit erhobenen Kopf, mit Landesfahne. Denn das Rennen seines Lebens, jenes von Caracas nach Lahti nämlich, hatte er längst gewonnen.