Das Beispiel SV Eidelstedt zeigt, wie wichtig ausländische Netzwerkerinnen sind, die den Kontakt zu Geflüchteten herstellen – und halten. An diesem Morgen, und auch schon am Abend davor, steckt Yumiko Haneda mittendrin im bunten Thema Integration. Sie nennt es gut gelaunt „Murphy’s law“, jene Gesetzmäßigkeit also, nach der manchmal alles schief geht, was schiefgehen kann. Gut, wenn man dann wie sie a) die Nerven behält und b) grundsätzlich lösungs- und nicht problemorientiert ist.
Aber der Reihe nach.
Wegen eines Trauerfalls in der Familie hat ihr eine wichtige Helferin signalisiert, nicht zum Selbstverteidigungs-Kurs des SV Eidelstedt am Wochenende zu kommen. Sie geht normalerweise in die nahe Unterkunft Schmiedekoppel und holt dort einige aus Syrien und Afghanistan geflüchtete Frauen zu diesem Angebot ab. Jemand wie diese Afghanin, die die Sprachen spricht, ist als vertraute Ansprechpartnerin und Netzwerkerin ungemein hilfreich, um überhaupt einen Draht zwischen Verein und Geflüchteten zu finden. Nur: weil sie verständlicherweise nicht kommen kann, fehlen am Samstagmorgen im Kurs auch sieben Frauen aus der Unterkunft. „Dass sie eine ganz wichtige Brückenperson für uns ist, sieht man heute“, sagt Yumiko Haneda, die 38 Jahre alte Flüchtlings-Koordinatorin des SVE und lächelt. Stimmt: wir stehen zehn Minuten vor Beginn allein im Gymnastikraum des zweiten Stocks am Redingskamp.
Der Regen peitscht gegen die Scheiben. Grauer Himmel. Es stürmt. Herzlich willkommen im Hamburger November. Haneda hat über soziale Netze noch für den zweitägigen Kurs geworben. Letztlich kommen vier Frauen, darunter auch Nadeen Alabaza, eine 29 Jahre alte Syrerin, Schwarzgurt im Karate. Sie ist seit 20 Monaten in Deutschland und als Trainerhelferin in diesem Kurs eingesetzt. Später einmal soll sie selbst solche Kurse leiten. Zusammen mit Minna Ojala, einer resoluten Finnin, die vom Taekwondo kommt und den Kurs mit Ausstrahlung, Können und Witz leitet, bildet die stille Nadeen das Kraftzentrum des Vormittags. Es hilft eben, Migrantinnen als Multiplikatoren im Verein zu haben.
Am Ende trauen sich die anderen drei Teilnehmerinnen, richtig hart auf die Pratzen zu hauen und das Ganze mit einem schönen Kampfschrei zu verzieren. Es sind zwei junge Frauen, eine mit Kopftuch, und eine ältere Dame aus Eidelstedt, die sich im Viertel manchmal unsicher fühlt und deshalb herkam. Minna Ojala findet das gut. Sie sagt: „In unserer Sportart sagen wir nicht: Das kann ich nicht. Sondern: das kann ich noch nicht.“ Später gibt sie einen sinnvollen Ratschlag: „Wenn euch einer gegenübersteht, und er will euer Handy haben, euer Portemonnaie – gebt es ihm! Es hat keinen Wert. Einen Wert hat nur euer Leben.“
Yumiko Haneda, seit Jahresbeginn für den SVE im Einsatz, überlegt derweil schon, ob solch ein Kurs wiederholbar ist. „Wir wollen uns in unseren Angeboten herantasten an das, was sinnvoll ist“, sagt sie. Bedarfsgerecht, nennt man das. Der SVE ist als Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“ seit Jahrzehnten eine feste Stadtteil-Stütze im Sport. „Der Verein ist offen dafür“, sagt Yumiko Haneda, „das erleichtert uns vieles. Woanders mag die Bindung zur Flüchtlingsarbeit fehlen. Bei uns ist sie sehr ausgeprägt.“ Das heißt nicht, dass sich hier jemand auf Erreichtem ausruht. Gerade geht es darum, wie man junge Männer aus den Unterkünften bekommt. Yumiko Haneda schwebt eine Art „Boot Camp“ im nahen Niendorfer Gehege vor. Sport im Wald – das dürfte für sie so spannend wie fremd sein.
Sie selbst geht mit dem jungen SVE-„Botschafter des Sports“ Hasib Aziz zu den Geflüchteten. Hasib, 17 Jahre alt, floh aus Kabul. Seine Eltern sind noch dort, und Yumiko Haneda ist inzwischen sein Vormund. Sie hat zuvor für das DRK in Erstaufnahmeunterkünften und als Sportkoordinatorin für den HSB gearbeitet und wohnt mit ihrer Familie in Lokstedt. Yumiko Hanedas Mutter stammt aus Japan. Gemeinsam mit Hasib sind die beiden eine Mischung, die den Erstkontakt gerade mit Männern aus Syrien und Afghanistan enorm erleichtert. Sie werde oft sogar für „eine von ihnen“ gehalten, erzählt sie. „Ich finde viel schneller einen Zugang zu ihnen.“
Irgendwie fühle sie sich auch als Migrantin, und so spricht Yumiko Haneda auch ein paar unbequeme Wahrheiten aus. „Mir hilft es in meinem Job, dass ich mit solchen Themen hart ins Gericht gehen kann, ohne dass mir jemand gleich Rassismus vorwirft. Wir wollen die Geflüchteten abholen und sacht an unsere Kultur heranführen. Das ist gut. Aber wir sollten nicht zu viel verändern. Ich finde, geschützte Räume sind viel verlangt, wenn man dafür bauliche Veränderungen vornehmen muss. Der Raum, in dem gerade der Kurs stattfindet, ist auch geschützt, weil er oben liegt und keiner reinschauen kann. Als Verein kann man nicht allen gerecht werden“, sagt sie, „und unsere neuen Mitglieder dürfen wir auch fordern, nicht nur fördern.“
Dazu gehöre eine zumutbare Kursgebühr, nach dem Motto: was nichts kostet, ist nichts Wert. Wenn die Kurse gut seien, kämen auch genug Teilnehmerinnen. Und manche finden das SVE-Angebot sogar so gut, dass sie oder er als Trainerhelfer oder Übungsleiter bliebe. Rückmeldung aus den Kursen sei ebenfalls sehr wichtig, Stichwort: bedarfsgerecht. „Oft geht der Trend darin, Kurse kompakter zu machen, also am Wochenende stattfinden zu lassen statt einmal abends pro Woche.“
Das Thema Integration durch Sport ist tatsächlich hochkomplex, und jeder Fall ist anders gelagert. Yumiko Haneda sagt: „So eine große Schublade, dass alle Geflüchteten reinpassen, kann es gar nicht geben.“ Gerade deshalb sind bedarfsgerechte Angebote so wichtig. Am Ende des Kurses haben sich die ältere Teilnehmerin aus Eidelstedt und Nadeen angefreundet. Nadeen, die in Halstenbek in einer Unterkunft wohnt, will die Eidelstedterin jetzt mal auf einen Kaffee besuchen. Ein bisschen plaudern. Und dabei ihr Deutsch verbessern.
(Interview: Frank Heike – Foto: Frank Molter)
Quelle: www.hamburger-sportbund.de