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März 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

Kaliningrad (SID) Aberglaube ist im Fußball weit verbreitet. Auch bei der WM in Russland lassen sich eigenartige Rituale beobachten, die mit Logik nichts zu tun haben.

Mario Gomez pinkelt links außen, Jordi Alba setzt auf besondere Mundhygiene und Dele Alli kann ohne seine uralten Schienbeinschoner nicht auflaufen: Der Aberglaube der Fußball-Stars treibt auch bei der WM in Russland merkwürdige Blüten.

Kurz vor dem Anpfiff spielen wissenschaftliche Prinzipien in den Köpfen der Profis keine Rolle mehr. Dann zeigen sie Verhaltensmuster, die mit Logik auf den ersten Blick kaum zu erklären sind – und doch irgendwie Sinn machen.

„Rituale vermitteln den Sportlern das Gefühl, Kontrolle über bestimmte Situationen zu haben, die sich an sich nicht beeinflussen lassen“, sagt Mentalcoach Matthias Herzog dem SID: „In der Psychologie sprechen wir hier von Kontrollillusion.“ Wenn ein Sportler an die Kraft eines Glücksbringers glaubt, hilft ihm das in der Regel tatsächlich, erklärt der Experte.

Die Fußballer finden in den immer gleichen Handlungen vor dem Spiel eine gewisse Sicherheit – auf ihre ganz persönliche Art und Weise. Englands Alli greift zu denselben Schienbeinschonern, seit er elf ist. „Ich habe ein halbes Jahr lang andere benutzt, aber das war kein gutes Gefühl“, sagte der 22-Jährige. Belgiens Thibaut Courtois zelebriert seinen Spleen während der Nationalhymne. Wenn die TV-Kamera vor dem Keeper steht, fasst er sich kurz ans Kinn. Spaniens Linksverteidiger Alba ist zu dem Zeitpunkt schon mit seiner Marotte durch: Er putzt sich wenige Minuten vor dem Gang in die Arena noch einmal die Zähne.

Der Fußball hat sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Im Training geht es mittlerweile hochtechnisch zu – Joachim Löws Co-Trainer Thomas Schneider trägt während des Spiels neuerdings ein Headset. In der Vor- und Nachbereitung werden Daten und Statistiken bis ins kleinste Detail ausgewertet. Doch persönliche Rituale der Spieler blieben bei allem Fortschritt nicht auf der Strecke, es gibt sie seit eh und je.

Der niederländische Held Johan Cruyff spuckte vor dem Anpfiff gerne sein Kaugummi in die Hälfte des Gegners, Laurent Blanc setzte vor jedem Spiel bei Frankreichs WM-Triumph 1998 ein dickes Bussi auf die Glatze seines Torwarts Fabien Barthez. Und Englands Stürmer Gary Lineker verzichtete beim Warmmachen aufs Toreschießen. Er wollte keinen Treffer unnötig verschwenden.

„Während die Trainingswissenschaft auf Wahrscheinlichkeiten sowie statistischen Analysen basiert und sich Verbesserungen oft wissenschaftlich nachweisen lassen, ist dieses Ursache-Wirkung-Prinzip bei Ritualen nicht so einfach nachweisbar“, sagte Herzog: „Das ist Trainern wie Sportlern aber egal. Sie glauben daran, und das ist oft entscheidend.“

Und so vertraute Gomez wie vor dem Spiel gegen Schweden wieder auf seinen gewohnten Ablauf. „Ich ziehe mir immer erst den linken Stutzen an, danach den rechten, zuerst den linken Schuh, dann den rechten“, erklärte der Stürmer der deutschen Nationalmannschaft einst dem Magazin Mens Health: „Oder ich gehe auf der Toilette immer ans Pissoir ganz links außen.“