Berlin (SID) Kristina Vogel hat Mitte September bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt über ihren Gesundheitszustand gesprochen. Ihren Optimismus hat die Bahnrad-Olympiasiegerin trotz ihrer Querschnittslähmung nicht verloren.
Nur für einen kurzen Moment verlor Kristina Vogel die Fassung. Ruhig, offen und geduldig hatte die Bahnrad-Olympiasiegerin am 12. September beim ersten öffentlichen Auftritt über ihre Querschnittslähmung und das unfreiwillig neue Leben im Rollstuhl gesprochen. Doch bei der Antwort auf die Frage nach der Bedeutung ihres Lebensgefährten Michael Seidenbecher übermannten sie die Gefühle.
„Ich habe in ihm einen unheimlichen Halt. Er ist immer für mich da“, sagte Vogel und wischte eine Träne aus dem rechten Auge. Die 27-Jährige, die die vielen Tiefen in den „härtesten Wochen meines Lebens“ nach ihrem schweren Trainingsunfall am 26. Juni mit beispielhafter Stärke durchschritt, wirkte plötzlich verletzlich.
Sie sei keine Maschine, sagte Vogel vor etwa 70 Medienvertretern in einem Hörsaal des Unfallkrankenhauses Berlin. Es habe in den vergangenen Wochen Momente gegeben, „wo ich lernen musste, Tränen zuzulassen. Ich habe nie viel geweint. Es ist ein krasser Einschnitt ins Leben, eine Wendung um 180 Grad.“
Radfahren wird Vogel nicht mehr, auch selbstständiges Laufen wird ihr nicht mehr möglich sein. „Das ist Fakt“, sagte Vogel. Resignation? Bedauern? Selbstmitleid? Mitnichten. Die Botschaft, die sie vermittelte, war durchweg positiv. „Was soll ich bedauern? Die Situation ist, wie sie ist. Ich bin auf zwei Rädern genauso wie auf vier Rädern. Ich muss mich nicht verstecken. Ich möchte unabhängig sein“, sagte Vogel.
Die Erfurterin wirkte gefasst, sie lächelte viel und geizte nicht mit lockeren Sprüchen. „Ich habe keine Schmerzen, eher Muskelkater“, sagte Vogel, die bereits erste Reha-Maßnahmen absolvierte. Sie sei im Bewegungsbad schwimmen gewesen, auch ein erstes Rollstuhltraining habe sie absolviert. „Ich bin gleich mal rausgeplumpst, aber das Fallen gehört dazu“, sagte Vogel.
Vieles ist neu für die einstige Weltklasse-Athletin. Dass ihre positive Lebenseinstellung hilfreich für ihren Genesungsprozess ist, glauben auch die Mediziner. „Sie ist schwer zu bremsen und sehr weit im Rehabilitationsprozess“, sagte Andreas Niedeggen, Chefarzt des Behandlungszentrums für Rückenmarkverletzte (RMV), der von einer „schweren Wirbelsäulenverletzung“ sprach. Das Rückenmark sei hochgradig verletzt, dennoch werde Vogel „eigenständig“ werden.
Vogels Rückenmark ist am siebten Brustwirbel durchtrennt. Trotzdem sprach Vogel in Gedanken an den Unfall von Schutzengeln, die sie vor einem härteren Schicksal bewahrt hätten. „Ich hätte tot sein können. Ich hatte verdammt viel Glück“, sagte Vogel.
Im Juni war sie beim Training auf der Betonbahn in Cottbus bei voller Geschwindigkeit mit einem niederländischen Fahrer kollidiert, der sich ebenfalls auf der Radrennbahn befand. Eine Kontaktaufnahme des Fahrers oder des niederländischen Verbandes hat es laut Vogel noch nicht gegeben.
Pläne hat Vogel viele. Sie wolle dem Radsport erhalten bleiben. „Ich möchte etwas zurückgeben“, sagte Vogel, die sich von ihrem Traum, mit einem zwölften WM-Titel alleinige Rekordhalterin zu werden, verabschiedet hat: „Aber vielleicht gewinne ich meine zwölfte Goldmedaille einfach woanders.“
Ein großes persönliches Ziel konnte sie schon ein Wochenende später angehen. Da durfte sie erstmals in ihre Erfurter Heimat reisen, wo auch die notwendigen Umbaumaßnahmen an ihrem Haus besprochen wurden. „Ich freue mich unheimlich, wieder im eigenen Bett zu liegen, selbst zu kochen, das erste Mal die eigenen Wände zu spüren, allein zu sein mit meinem Lebensgefährten“, sagte Vogel.