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April 2024

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Nyon (SID) Den kurzen Weg zum EM-Bankett im luxuriösen Jiva Hill Resort schwebte die deutsche Delegation um DFB-Präsident Reinhard Grindel und Philipp Lahm förmlich. Der deutliche Zuschlag für die EM 2024 befreite den Deutschen Fußball-Bund (DFB) am 27. September von der tonnenschweren Last der vergangenen Monate. Am Ufer des Genfer Sees in Nyon träumte der Verband schon von einem „Sommermärchen 2.0“.

„Ich bin sehr stolz. Es war eine unglaubliche Spannung“, sagte DFB-Ehrenspielführer Lahm, der nun vom EM-Botschafter zum Turnierdirektor aufsteigen wird: „Man weiß nie, was passiert. Wir haben uns viel vorgenommen. Wir wollen gemeinsam ein riesengroßes Fest mit ganz Europa feiern.“

Um 15.21 Uhr hatte UEFA-Präsident Aleksander Ceferin die Entscheidung verkündet. Der DFB gewann die Wahl des Exekutivkomitees der Europäischen Fußball-Union (UEFA) mit 12:4 Stimmen bei einer Enthaltung gegen die Türkei, die auch im vierten Anlauf scheiterte. Im Auditorium der schicken UEFA-Zentrale fiel Grindel erst Lahm und dann den weiteren 19 Mitgliedern der DFB-Delegation in die Arme.

„Ich bedanke mich für das unglaubliche Vertrauen. Ich weiß, was dieses Turnier für die UEFA bedeutet. Ich spüre Verantwortung“, sagte Grindel, der in den vergangenen Wochen immer wieder angezählt worden war: „Wir werden alles dafür tun, den Erwartungen gerecht zu werden.“  

Der DFB wird zum zweiten Mal nach der Endrunde 1988 das Europa-Turnier ausrichten – 18 Jahre nach dem Sommermärchen der WM 2006. „So ein Turnier ist außergewöhnlich für ein Land“, sagte Bundestrainer Joachim Löw, der allen Nachfragen, ob er selbst in sechs Jahren noch im Amt sein wolle, auswich: „Die Spannung war zu spüren, wir waren sehr aufgeregt. Jetzt sind wir sehr glücklich. Wir werden alles tun, um eine großartige EM auszurichten.“

Gespielt werden wird in Berlin, München, Düsseldorf, Stuttgart, Köln, Hamburg, Leipzig, Dortmund, Gelsenkirchen und Frankfurt/Main. Der DFB rechnet damit, dass insgesamt 2,78 Millionen Zuschauer zu den 51 Spielen in den Stadien kommen können. Wo Eröffnungsspiel und Finale steigen, wird noch festgelegt.

„Wir alle haben die Bilder und Emotionen von 2006 noch lebhaft im Gedächtnis und freuen uns auf ein weiteres internationale Fußball-Großereignis im eigenen Land“, sagte DFL-Präsident Reinhard Rauball: „Die EM 2024 wird viele Menschen für unseren Sport begeistern – in Deutschland und weit darüber hinaus.“

Aus der Heimat ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel über ihren Sprecher „herzliche Glückwünsche“ Richtung Nyon ausrichten. „Wir freuen uns auf spannende Spiele bei der EM 2024 und auf den Besuch von Fans aus ganz Europa“, lautete die offizielle Stellungnahme. Merkel empfing ausgerechnet den am selben Tag angereisten türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Staatsbesuch.

Die Delegierten des türkischen Verbands TFF verließen die Schweiz bitter enttäuscht. „Dass die UEFA trotz all unserer Stärken die Europameisterschaft nicht an unser Land vergeben hat, ist eine eine traurige Situation“, sagte Sportminister Mehmet Kasapoglu: „In dieser geographischen Lage wäre die Organisation dieses Turniers eine Win-Win-Situation gewesen.“

Für den DFB war die EM-Vergabe von fast existentieller Bedeutung. Nach den Wirren um Mesut Özil und dem WM-Debakel in Russland war der Verband in den vergangenen Monaten massiver Kritik ausgesetzt. „Natürlich fällt einem ein Stein vom Herzen, wenn man sich so für eine EM einsetzt“, sagte DFB-Vize Rainer Koch. Wäre auch noch die EM-Bewerbung gescheitert, hätte der nächste Sturm begonnen.

Der DFB war favorisiert in die geheime Abstimmung gegangen. Der Dachverband hatte der deutschen Bewerbung in seinem Evaluierungsbericht das bessere Zeugnis ausgestellt. In der türkischen Kampagne wurde unter anderem das Fehlen eines „Aktionsplans in Sachen Menschenrechte“ bemängelt.

Mit Deutschland hat sich die UEFA augenscheinlich für den „sicheren“ Bewerber entschieden. Sämtliche Stadien stehen bereits, nur Kleinigkeiten müssen verbessert oder angepasst werden. „Mit Blick auf die Ausrichtung sind spezielle Verkehrsinfrastrukturprojekte weder geplant noch nötig“, urteilte die UEFA. Bis 2024 plant der Bund von der EM unabhängig, acht Milliarden zu investieren, unter anderem in 270 neue Kilometer Autobahn.

Fakten zur EM in Deutschland…

Deutschland wird 2024 zum zweiten Mal nach 1988 eine Europameisterschaft ausrichten. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) setzt sich bei der Vergabe durch die Europäische Fußball-Union (UEFA) gegen den türkischen Verband durch. Sechs Jahre vor dem Turnier stehen mehrere Fakten bereits fest. Ein Überblick:

Städte und Stadien

Der DFB hatte bereits vor einem Jahr Berlin, München, Düsseldorf, Stuttgart, Köln, Hamburg, Leipzig, Dortmund, Gelsenkirchen und Frankfurt/Main als Spielorte ausgewählt. Der Verband rechnet damit, dass insgesamt 2,78 Millionen Zuschauer zu den 51 Spielen in den Stadien kommen können. Zudem wird es wieder großen Fanmeilen geben. Welche Stadt welche Partie bekommt, wird noch festgelegt. Bei der Heim-WM 2006 hatte München das Eröffnungsspiel ausgerichtet, Berlin das Endspiel – wahrscheinlich wird es wieder so kommen.

Spieler und Trainer

Ob Joachim Löw auch 2024 Bundestrainer sein wird, ist noch offen. Der Vertrag des 58-Jährigen läuft derzeit bis 2022, bei einer Verlängerung wäre er zwei Jahre später 18 (!) Jahre im Amt. Aus dem aktuellen Kader könnten in sechs Jahren noch mehrere Spieler dabei sein. Joshua Kimmich (heute 23), Julian Brandt (22), Leon Goretzka (23), Leroy Sane (22) und Timo Werner (22) sind dann im besten Fußballer-Alter, Megatalent Kai Havertz (19) ist sogar noch jünger.

Modus und Teilnehmer

Nach der paneuropäischen EM 2020 in zwölf Ländern (darunter Deutschland mit München) wird die EURO 2024 wieder in nur einem Land gespielt. Teilnehmen werden (Stand jetzt) 24 Mannschaften wie bereits 2016 in Frankreich. Insgesamt hat die UEFA 55 Mitgliedsverbände. Deutschland als Gastgeber wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht qualifizieren müssen. Der umstrittene Modus mit einer eher langweiligen Gruppenphase, in der auch Gruppendritte weiterkommen können, wird wohl beibehalten werden.

Organisation und Vorlaufzeit

FIFA-Präsident Gianni Infantino während der Bewertungsphase gelobt, Deutschland könne „morgen“ ein großes Turnier ausrichten – er hatte nicht ganz unrecht. An den Stadien müssen mehr oder weniger Kleinigkeiten verbessert werden, hier ein asphaltierter Parkplatz, dort ein größerer Medienbereich. Die UEFA schrieb zudem: „Mit Blick auf die Ausrichtung sind spezielle Verkehrsinfrastrukturprojekte weder geplant noch nötig.“ Bis 2024 plant der Bund von der EM unabhängig acht Milliarden zu investieren, unter anderem in 270 neue Kilometer Autobahn.

Einnahmen und Ausgaben

Die UEFA hat sich gegen die Steuerfreiheit entschieden, die in der Türkei garantiert gewesen wäre. Von etwaigen Gewinnen des Dachverbands bleiben also 15 Prozent im Land. Dazu kommen Millionen-Einnahmen im Tourismusbereich, die Wirtschaft reibt sich schon jetzt die Hände. Auch wenn im Vorlauf mehrere Millionen Euro in den Städten investiert werden, sollte sich das Großereignis für alle finanziell lohnen. Bei der Heim-WM 2006 hatte der DFB einen Netto-Gewinn von über 50 Millionen Euro erwirtschaftet, in die Kasse des Fiskus flossen insgesamt 90 Millionen Euro.

Welt- und Europameister

Deutschland hat bei der historischen EM 2020 die Chance, sich den Titel und damit das Privileg zu sichern, als Titelverteidiger bei der Heim-EM anzutreten. 2022 findet zudem die WM in Katar statt. Und weil das Turnier im Wüstenemirat erst im November angepfiffen wird, beträgt die Wartezeit nach dem Finale bis zur EM in Deutschland nur anderthalb Jahre.