Tallinn/Köln (SID) Nach langen Jahren in der sportlichen Bedeutungslosigkeit haben sich die deutschen Curler erfolgreich auf dem Eis zurückgemeldet. Mit zwei Halbfinal-Teilnahmen haben beide deutsche Curlingteams bei der EM in Tallinn/Estland für eine große Überraschung gesorgt. Die Frauen gewannen sogar die erste deutsche Medaille seit neun Jahren.
Bei der EM in Tallinn/Estland hauchten Youngster Marc Muskatewitz (Rastatt) und die erfahrene Daniela Jentsch (Füssen) mit ihren Halbfinal-Teilnahmen dem in die Krise geratenen Verband DCV neues Leben ein. Jentsch gewann mit ihrem Team sogar die erste deutsche EM-Medaille seit neun Jahren.
Im Spiel um Bronze setzten sich die DCV-Frauen gegen Russland 7:4 durch, der erst 22 Jahre alte Muskatewitz unterlag mit seinen Team im kleinen Finale Italien 6:8. Im Halbfinale waren die Schweizerinnen und die Schweden für die deutschen Teams zu stark gewesen. Vor Jentsch hatte Andrea Schöpp (Rießersee) als letzte Deutsche bei den Europameisterschaften auf dem Podest gestanden. 2009 gewann sie im schottischen Aberdeen den Titel.
Im Verband hofft man nach dem unerwarteten sportlichen Höhenflug auf eine Wende an höchster Stelle. „Das hilft uns natürlich sehr in unseren Gesprächen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund im Bemühen um mehr Fördergelder„, sagte DCV-Präsident Bernhard Mayr dem SID.
Die braucht der Deutsche Curling-Verband (DCV) nach den Kürzungen 2014 dringend. Damals stand der kleinste olympische Fachverband mit nicht einmal 1000 Mitgliedern sogar vor dem Aus. Erst nach harten Verhandlungen mit dem DOSB wurde das Überleben gesichert. Dramatische Einschnitte konnten verhindert werden, allerdings verbunden mit knallharten Forderungen nach Reformen. Die sportlichen Rahmenbedingungen sollten professionalisiert und der Fokus auf junge Spieler gesetzt werden.
Vier Jahre nach dem drohenden K.o. sieht der DCV nun urplötzlich wieder Licht am Ende des Tunnels und wurde in Tallinn für seinen Mut belohnt. Ein so junges Männerteam ins Rennen zu schicken, war riskant. Doch Marc Muskatewitz bestand seine internationale Feuertaufe mit Bravour, an seiner Seite stritt an Position drei der noch fünf Jahre jüngere Junioren-Skip Sixten Totzek.
„Was die Männer geleistet haben, ist eine Sensation. Das belegt den Aufschwung„, jubelte Mayr und freute sich über den Hauptgewinn in der Besetzungslotterie, „der Aufbau ist ein Stück weit gelungen, die Mischung aus jung und alt war fruchtbar.“ Sie hätten die Mannschaften geschlagen, „die sie schlagen mussten und befinden sich mit starken Teams wie Norwegen und der Schweiz auf Augenhöhe. Das war das Maximum.“ Auch Daniela Jentsch und Co. haben Mayr überzeugt: „Sie haben sich in Europas erweiterter Spitze etabliert.“
Dass beiden Mannschaften auch die direkte Qualifikation für die Weltmeisterschaften im kanadischen Lethbridge (Männer) und im dänischen Silkeborg (Frauen) glückte, ließ bei Mayr einen weiteren Stein vom Herzen fallen. „Die WM-Qualifier wären in Neuseeland gewesen. Da wären wir bei der Finanzierung in arge Probleme geraten„, erklärte der Verbandschef, „nun können wir uns in Ruhe auf die WM-Vorbereitung konzentrieren.“ Bei der WM 2019 können beide Mannschaften auf dem Eis beweisen, was Mayr unterstellt: „Wir haben eine gute Perspektive.“