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März 2024

Sport und Verein

Im Juni 2011 kam es anlässlich eines ländlichen Reitturniers in Baden zu einem tragischen Unfall, der den ausrichtenden Reitsportverein in die Haftung und finanziell erheblich in die Pflicht nahm. Der Streitwert dieses Verfahrens betrug 566.692,00 €. Und ein Ende ist noch nicht absehbar.

Kläger dieses Verfahrens waren die Halterin eines Reitpferdes, die für das Turnier gemeldet hatte, sowie eine Versicherung. Beklagter war besagter Reitsportverein.

Geschädigte des Unfalls war ein noch nicht einmal dreijähriges Mädchen, das mit seinen Eltern das Reitturnier besucht hatte. Das Mädchen hatte sich abseits des Turniergeschehens einem Pferdetransporter genähert, der, wie andere auch, auf einem Teil des Turnierplatzes abgestellt war. Im Pferdetransporter wurde das Mädchen von dem Pferd schwer am Kopf verletzt, und wird zeitlebends ein Pflegefall bleiben.

Die Halterin des Unglückspferdes hatte die Eltern des Mädchens unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht in Regress genommen.

Die Klage gegen den Reitsportverein war abgewiesen worden. Begründung: Deliktische Ansprüche wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten seien zu Lasten des Vereins nicht gegeben. Bezüglich solcher Gefahren, die sich in dem Unfallgeschehen ausgewirkt hätten, seien Verkehrssicherungspflichten des Vereins durch die Aufsichtspflicht der erwachsenen Begleitpersonen des Kindes, auf die der Verein als Veranstalter Beklagte vertrauen durfte, gewissermaßen „neutralisiert“. Zur Abwehr solcher Gefahren, die Kleinkinder aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit drohten, sei zuallererst der Aufsichtspflichtige berufen; dies gelte nicht nur für die Verkehrssicherungspflicht auf Privatgrundstücken, sondern auch zugunsten des Veranstalters einer öffentlichen Reitsportveranstaltung.

Die Berufung führte dann zu einem anderen Ergebnis.

II Der von dem Mädchen erlittene Unfall war in gleichem Maße durch das Verschulden der Pferdehalterin, des Vereins als Veranstalter sowie der als Haftungseinheit zu betrachtenden Eltern des Kindes verursacht worden. Diese Personen haften gemäß §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner und haben untereinander einen Anspruch auf einen Ausgleich entsprechend dem Maß des Verschuldens der anderen (§ 426 Abs. 1 BGB).

1. Die Haftung des Vereins ergab sich gemäß § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt eines fahrlässigen Verstoßes gegen die ihn treffende Verkehrssicherungspflicht.

a) Derjenige, der eine Gefahrenlage gleich welcher Art schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vor­sichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Insofern kann nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden. Der für eine öffentliche Freizeitveranstaltung Verantwortliche muss die Besucher gegen Gefahren durch den allgemeinen Verkehr, also gegen diejenigen, die nicht typischerweise mit einer Freizeitanlage der jeweiligen Art verbunden sind, sichern. Dabei hat der Verkehrssicherungspflichtige auch in Betracht zu ziehen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich unbesonnen zu verhalten; deshalb kann sich die Verkehrssicherungspflicht auch auf die Vorbeugung gegenüber solchem Verhalten erstrecken. Welche Maßnahmen im Einzelnen zutreffend sind, bestimmt sich nach den jeweiligen Umständen der Veranstaltung, vor allem nach der Intensität und Häufigkeit der sich für die Zuschauer ergebenden Selbstfährdung; dabei kommt der finanziellen Belastbarkeit des Veranstalters bei Abwägung der Zumutbarkeit eine eher untergeordnete Bedeutung zu.

Dass Kleinkinder ständiger Aufsicht bedürfen, damit sie sich nicht Gefahren in ihrer Umgebung aussetzen, die sie aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit noch nicht erkennen und beherrschen können, ist allgemein anerkannt. Dies bedeutet, dass ein noch nicht drei Jahre altes Kind beim Besuch eines Reitturniers wie dem vorliegenden praktisch ständig an der Hand gehalten wird. Auch bei etwas größeren Kindern ist eine Aufsicht erforderlich, aber – je nach Alter – in etwas geringerem Umfang. Ein etwas älteres Kind kann sich durchaus einmal kurzfristig von den Eltern entfernen, um sich zum Beispiel von einem in unmittelbarer Nähe der Aufsichtspflichtigen stehenden Eisstand ein Eis zu holen. Gerade bei einem Kind in diesem Alter kann es dann auch vorkommen, dass es sich plötzlich der Aufsicht völlig entzieht. Aber auch bei noch älteren Kindern im Alter ab etwa neun Jahren sind spontane Verhaltensweisen möglich, die das Kind in eine von ihm nicht einzuschätzende Gefahr bringen können.

Das Turnier war zum maßgeblichen Zeitpunkt von vielen Personen besucht. Unter den Besuchern befanden  sich auch viele Kinder unterschiedlichen Alters. Ferner stand fest, dass aufgrund der herrschenden Temperaturen alle Pferdeanhänger, in denen sich Pferde befanden, zum Schutz der Pferde geöffnet waren und dies den für den beklagten Verein handelnden Personen bekannt war. was bei der Planung nicht vorgesehen war.

Im Bereich des Unfallorts waren auf den Abstellwiesen ein Mitsubishi-PKW sowie verschiedene Landmaschinen ausgestellt, weshalb anzunehmen ist, dass auch nach der Vorstellung des Veranstalters Besucher durchaus auch diese Bereiche des Turnierplatzes betreten sollten. Deshalb musste damit gerechnet werden, dass Kinder, die den PKW und die Landmaschinen besichtigten, auch in den angrenzenden Bereich kommen würden, in dem Pferde in dem Transporter bzw. Anhänger untergebracht waren. Ein solches Verhalten der Kinder wurde umso wahrscheinlicher, sobald die Pferdeanhänger wegen der Temperaturen geöffnet wurden. Während ein geschlossener Anhänger, auch wenn sich darin ein Pferd befindet, keine besondere Anziehungskraft auf Kinder ausübt, sind die Pferde nämlich dann, wenn die vordere und/oder die hintere Klappe geöffnet sind, gut sichtbar. Es ist im Rahmen des Vorhersehbaren, dass Kinder dadurch, wie im gegebenen Fall, dazu angeregt werden können, Kontakt zu den Tieren aufzunehmen, etwa sie zu füttern oder streicheln. Ein solches Verhalten von Kindern war aufgrund der Gefahr, die von den in geöffneten Anhängern stehenden Pferden bei einem Kontakt mit nicht sachkundigen Personen ausgeht, geeignet, erhebliche Risiken für sie zu begründen.

Eine Absperrung in irgendeiner Form zwischen dem Ausstellungsbereich und den abgestellten Gespannen gab es unstreitig nicht. Der Verein hatte auch keine Helfer damit beauftragt, in diesem Bereich nach dem Rechten zu sehen und Besucher ggfls. darauf hinzuweisen, dass dieser Bereich nicht betreten werden durfte.

Es hätte hierzu genügt, wenn der Verein eine Aufsichtsperson vorgesehen hätte, die im Bereich der abgestellten, offenen Pferdeanhänger ihren Standort öfters gewechselt hätte, so dass sie den fraglichen Bereich kontrollieren und bei der Annäherung von Kindern hätten eingreifen können.

c) Der durch diese Pflicht geschützte Personenkreis umfasst alle Kinder, bei denen aufgrund ihres jungen Alters damit gerechnet werden musste, dass sie aufgrund ihres unbesonnenen und impulsiven Verhaltens einerseits und der durch die Pferde gegebenen Attraktion andererseits dazu neigen könnten, sich in die Nähe der Pferde zu begeben.

Das verletzte Kind war aus diesem geschützten Personenkreis nicht auszugrenzen. Wenn eine Verkehrssicherungspflicht unter dem Gesichtspunkt des unbesonnenen Verhaltens von Kindern, die sich in Bereiche begeben könnten, wo ihnen Gefahren drohen, begründet ist, ist es nicht gerechtfertigt, aus diesem Schutzbereich solche Kinder auszugrenzen, die sich zwar ebenso unbesonnen verhalten und ähnlich schnell bewegen können, aber eigentlich von den Eltern so intensiv beaufsichtigt werden müssten, dass bereits diese Aufsichtspflicht die Gefahr vermeiden sollte. Der Umstand, dass der Veranstalter grundsätzlich davon ausgehen durfte, dass kleine Kinder im Alter des geschädigten Kindes lückenlos beaufsichtigt wurden, führte deshalb auch nicht zu einer „Neutralisation“ der Verkehrssicherungspflicht. Der Veranstalter musste zum einen aufgrund der Gesamtumstände die Möglichkeit einkalkulieren, dass sich kleinere Kinder der Aufsicht ihrer Eltern entziehen könnten, und zum anderen berücksichtigen, dass auch ältere Kinder anwesend waren, bei denen man sich nicht darauf verlassen konnte, dass sie lückenlos beaufsichtigt werden

d) Der Verein hatte in Bezug auf die oben dargestellten Verkehrssicherungspflichten keine Vorkehrungen getroffen hat. Auch dann, als den Verantwortlichen des Vereins bekannt war, dass aus Gründen der Gesundheit der Tiere alle Anhänger geöffnet blieben, wurden keine Maßnahmen ergriffen.

e) Bei Einhaltung der zumutbaren  Sicherheitsvorkehrungen, insbesondere durch eine Überwachung der Abstellplätze durch Vereinsmitglieder oder andere Hilfspersonen, hätte der von dem Mädchen erlittene Unfall vermieden werden können. Der Reitsportverein war daher dem Kind gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.

2. Bei der Bemessung der von dem Verein im Innenverhältnis zu tragenden Quote war zu berücksichtigen, dass auch die Eltern des verletzten Kindes unter dem Gesichtspunkt der Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet waren.

a) Die Aufsichtspflicht der Eltern über ein minderjähriges Kind richtet sich nach dem jeweiligen Aufsichtsanlass; dieser bestimmt sich nach den Eigenschaften des Aufsichtsbedürftigen sowie der Schadensgeneigtheit des Umfelds bzw. der Situation. Auf dieser Grundlage ist zu bestimmen, welche Maßnahmen der Aufsicht erforderlich und verhältnismäßig sind, um der Pflicht zur Schadensverhinderung zu genügen.

b) Unter Anlegung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs waren die Eltern des Mädchens unter dem Gesichtspunkt, dass das Kind erst zwei Jahre und zehn Monate alt war, unter den gegebenen, oben beschriebenen Umständen verpflichtet, das Kind lückenlos zu beaufsichtigen. Es war für die Eltern erkennbar, dass ein nicht beaufsichtigtes Kind in diesem Alter bei der Begegnung mit Pferden erheblichen Gefahren ausgesetzt war.

c) Die Eltern des Kindes hatten ihre Aufsichtspflicht verletzt. Dies ergab sich schon unter dem Gesichtspunkt, dass bei der gebotenen, lückenlosen und engen Beaufsichtigung des Kindes das tatsächlich geschehene Entweichen unterblieben wäre

3. Die Halterin des Pferdes war unter dem Gesichtspunkt der Pflichtverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

a) Sie selbst haftete gemäß § 833 BGB als Halterin des Pferdes, das das Kind verletzt hat. Bei einer Abwägung mit der Haftung eines Dritten, der aufgrund eines Verschuldens haftet, tritt diese Tierhalterhaftung jedoch gemäß § 840 Abs. 3 BGB zurück.

b) Die Pferdehalterin hatte daneben jedoch auch gemäß § 823 Abs. 1 BGB für ein eigenes Verschulden einzustehen. Aus der Tatsache, dass sie nicht nur Halterin des Pferdes war, sondern zur Zeit des Unfalls auch die tatsächliche Gewalt über das Tier ausgeübt hatte, ergaben sich auch für sie Pflichten, die dahin gingen, andere Personen vor möglichen Gefahren, die von dem Pferd ausgingen, zu schützen. Auch für die Pferdehalterin war erkennbar, dass die Veranstaltung ein hohes Besucheraufkommen hatte, zahlreiche Kinder anwesend waren und in relativ geringer Entfernung zu ihrem abgestellten Pferdeanhänger eine Ausstellung von PKWs bzw. Landmaschinen stattfand , die geeignet war, Kinder anzuziehen. Aufgrund der Gegebenheiten war auch für sie vorhersehbar, dass sich Kinder unbesonnen verhalten könnten und von dem Umstand, dass die Pferde in geöffneten Anhängern standen, angezogen werden könnten. Während ein geschlossener Anhänger, auch wenn sich darin ein Pferd befindet, keine besondere Anziehungskraft auf Kinder ausübt, sind die Pferde dann, wenn die vordere und/oder die hintere Klappe geöffnet sind, gut sichtbar.

Die danach gebotenen Verhaltensweisen sind denen des Veranstalters ähnlich. Die Pferdehalterin hätte sich nur dann von ihrem geöffneten Anhänger entfernen dürfen, wenn sie sich darauf hätte verlassen können, dass seitens des veranstaltenden Vereins durch eine Aufsicht oder eine sichere Absperrung dafür gesorgt worden wäre, dass sich Unbefugte den Hängern nicht näherten. Nachdem dies nicht der Fall war, hätte sie den geöffneten An­hänger nicht unbeaufsichtigt lassen dürfen. Diese Sorgfaltspflicht stellte auch keine unzumutbaren Anforderungen, da mehrere Personen vorhanden waren, die das Pferd hätten beaufsichtigen können.

4. Die Pferdehalterin, die Eltern (als Haftungseinheit) sowie der Verein hafteten im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen.

Wenn mehrere Ersatzpflichtige vorhanden sind, richtet sich die Verteilung des Schadens im Rahmen des § 426 Abs. 1 BGB nach § 254 BGB. Im Zweifel haften sie zu gleichen Teilen. Unter Berücksichtigung des jeweiligen Verschuldens waren letztlich wesentliche Unterschiede beim Gewicht der Verursachungsbeiträge, die eine andere Verteilung der Haftung als zu gleichen Teilen rechtfertigen würden, nicht gegeben. Dabei ist zu sehen, dass die jeweiligen Pflichten, die die Verantwortlichen verletzt haben, unterschiedlicher Natur sind.  Es erscheint insbesondere nicht gerechtfertigt, den Eltern unter dem Gesichtspunkt, dass sie einer besonders strengen Aufsichtspflicht unterlagen, einen höheren Verursachungsanteil zuzuschreiben. Die Pflicht des Vereins, die Besucher der von ihm ausgerichteten öffentlichen Veranstaltung zu schützen, wog nicht geringer. Auf Seiten der Pferdehalterin war zu sehen, dass sie die Verantwortung für das Pferd trug, dessen typische, in diesem Zusammenhang besonders hohe Tiergefahr, sich in dem Unfall verwirklicht hatte.

Oberlandesgericht Karlsruhe vom 20.04.2018 – 14 U 173/16 –