Lausanne (SID) Italien jubelt ausgelassen über den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2026, doch Erinnerungen an Turin 2006 lassen auch Zweifel an einem großen Sportfest aufkommen.
Ein „italienisches Wunder“, ein „Traum wird wahr“ und natürlich das unvermeidliche „Mamma Mia“: Italien hat den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2026 ausgiebig gefeiert. Nach dem Erfolg über Stockholm bei der Abstimmung (47:36) durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) wurden Hoffnungen auf eine neue nationale Vision geweckt.
„Mit diesem Triumph verliert Italien sein Gesicht vom schönen, aber streitsüchtigen Land ohne klare Perspektiven für die Zukunft“, schrieb der Corriere della Sera. Der Sieg über Stockholm drängte in der Tat den Frust über politische Probleme in den Hintergrund und versetzte ein ganzes Land in Partylaune. „Italien hat Schweden, Heimat von ABBA, besiegt. Italien ist die ‚Dancing Queen'“, meinte La Repubblica.
Trotz aller Streitigkeiten in den letzten Monaten beim Thema Olympia war die Begeisterung in Italien größer als in Schweden. Das habe nach Einschätzung von IOC-Präsident Thomas Bach auch den Ausschlag zugunsten der Italiener gegeben. „Der Unterschied von 83 zu 55 Prozent an Zustimmung im Land war für viele IOC-Mitglieder wohl entscheidend“, mutmaßte Bach.
Dass Mailand aber auch finanziell besser aufgestellt ist, verwunderte viele. Anders als beim Konkurrenten fehlten keine staatlichen Garantien, ein Referendum ist zunächst nicht zu befürchten, die Bewerbung war im Ganzen sicherer. Zudem schießt das IOC 812 Millionen Euro zum 1,3 Milliarden-Euro-Etat hinzu. Landesweit hofft man auf eine Steigerung das Bruttoinlandsproduktes bis 2028 um gut zwei Milliarden Euro.
Bach erklärte, dass Mailand und Cortina d’Ampezzo sparsam mit dem Geld umgehen werden und sogar zu über 90 Prozent auf bestehende Wettkampfanlagen setzen. Diese müssen allerdings zum Teil in Schuss gebracht werden. So benötigt die Bob- und Rodelbahn in Cortina eine Modernisierung, für die rund 50 Millionen Euro vorgesehen sind. Das Geld soll aber nicht aus dem offiziellen Olympia-Etat fließen.
Derlei Extrakosten waren bei den Olympischen Spielen in der Vergangenheit an der Tagesordnung und könnten auch in Italien für ein böses Erwachen sorgen, wenn der erste Jubel verhallt ist. Die Negativerfahrungen mit Turin 2006 sind noch sehr präsent. Das Event vor 13 Jahren ging als Olympia der langen Wege und fehlenden Stimmung in die Geschichte ein.
Und noch immer hat das Land mit den Bausünden von damals zu kämpfen. Viele Wettkampfstätten sind bis heute verwahrlost. Das negativste Beispiel ist das Olympische Dorf in Turin, das 145 Millionen Euro gekostet hat und eigentlich in Wohnungen und Geschäfte umgewandelt werden sollte. Doch das gelang nicht wie geplant, auf dem Gelände grassieren heute Prostitution und Drogenhandel.
Ein weiteres Mahnmal mangelnder Nachnutzung ist die Bob- und Rodelbahn in Cesana. Die 140 Millionen Euro teure Anlage wurde 2010 wegen der hohen Betriebskosten geschlossen. Aus den gleichen Gründen musste die 27,3 Millionen Euro teure Skisprung-Anlage in Pragelato zumachen. Man sieht: Olympia kehrt trotz aller Feierlichkeiten um Mailand und Cortina d’Ampezzo auch in ein Land zurück, das bis heute ein Musterbeispiel für olympischen Gigantismus samt weißer Elefanten ist.