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März 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

Berlin (SID) Mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 musste auch der deutsche Sport zusammenwachsen. Ein Mammutprojekt, das oft an seine Grenzen stieß.

Die Prognosen waren bestens, die Stimmung euphorisch: Als sich vor 30 Jahren auch der deutsche Sport auf den langen Weg der Wiedervereinigung begab, hatten viele das Bild von einer neuen Großmacht im Weltsport vor Augen. Doch es kam anders, Ossis und Wessis wollten nicht so schnell wie erhofft zusammenwachsen – es wurde ein steiniger Weg.

„Das Sporttreiben nach der Wende war natürlich anders als vorher. Ich musste mich nun um vieles selbst kümmern, auch um Geld“, sagte Birgit Fischer dem SID. Die Kanutin ist mit acht Goldmedaillen bis heute deutsche Rekord-Olympionikin und biss sich trotz aller Probleme in beiden Systemen durch. „Die Wiedervereinigung der beiden Staaten war grundsätzlich ein Glücksfall“, sagt die 58-Jährige.

Dass aus zwei starken Sportländern nicht automatisch eine neue Supermacht entstehen würde, hat den Sportphilosophen Gunter Gebauer nicht überrascht. Der Sport in der DDR wurde „großzügig staatlich gefördert“, die Athleten genossen „Privilegien und Prestige“. Das fiel nun alles weg. Im Westen seien Leistungssportler außerhalb des Bundesliga-Fußballs „so etwas wie Kleinunternehmer“, meinte Gebauer, „ein Handwerk, das man erst einmal beherrschen muss.“

Doch das Management blieb nicht das einzige Problem für Ost-Athleten im neuen Deutschland. Es fehlte auch an Identität. „Etwas, was sich stark aus meiner Perspektive verändert hat, war, dass man nach einem Sieg plötzlich einer anderen Nationalhymne zuhören musste“, erinnerte sich Fischer. Die Ausnahmeathletin, die bei Olympia zwischen 1980 und 2004 ihre Goldmedaillen gewann, hätte sich gewünscht, dass es „eine gemeinsame neue Hymne“ gegeben hätte.

Daraus wurde nichts, der Druck auf alle deutschen Sportler blieb dafür sehr hoch. Franz Beckenbauer hatte mit seinem berühmten Zitat von der Unschlagbarkeit der deutschen Elf nach dem WM-Sieg 1990 in Rom die Erwartungen an den deutschen Fußball und den gesamten Sport zusätzlich nach oben geschraubt.

Zunächst bestätigte die wiedervereinte deutsche Mannschaft auch die großen Hoffnungen, gewann bei Olympia 1992 in Albertville den Medaillenspiegel und überzeugte auch 1992 in Barcelona mit Rang drei. In London 2012 war man dann aber nur noch Sechster, in Rio 2016 Fünfter.

Erschwert wurde das Zusammenwachsen auch, als Ende der 90-er Jahre in den DDR-Doping-Prozessen das ganze Ausmaß des Staatsdopings im Osten ans Licht kam. Die Idee, möglichst viel von dem so erfolgreichen System des Ostens zu übernehmen, war spätestens damit überworfen. Die Gründung des Dopingopfer-Hilfevereins im Jahr 2000 war eine Konsequenz aus dem belasteten Nachlass.

Der heutige Leistungssport in Deutschland will auf der Suche nach seinen Werten aus dieser Vergangenheit lernen. „Unser nun seit drei Jahrzehnten vereintes Team Deutschland kämpft natürlich um Erfolge und Medaillen“, erklärte Präsident Alfons Hörmann vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), dies tue man aber mit der klaren Maßgabe, „dass Erfolge sauber errungen werden und Fair Play an erster Stelle steht“.

Für den DOSB-Präsidenten sind nach der Wiedervereinigung aus Rivalen in den letzten 30 Jahren Mitglieder eines gemeinsamen Teams geworden. Allerdings sind neue Probleme dazugekommen. Diese sollen durch die Leistungssportreform und die Bewältigung des riesigen Sanierungsstaus angegangen werden. So könne der Sport „seine Kraft auch in Zukunft entfalten“, wie Hörmann sagte.