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April 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

Köln (SID) Nach Sicht des ehemaligen DFL-Geschäftsführers Andreas Rettig entfernt sich der Profifußball immer weiter von der Basis. Eine Studie von FanQ bestätigt ihn in dieser Einschätzung.

Andreas Rettig hat im Profifußball einiges erlebt. Er leitete die Geschicke der Deutschen Fußball Liga (DFL) und war Manager bei einigen Bundesligisten – und doch bereitet ihm die aktuelle Entwicklung im Fußball große Sorgen. Entfernt sich die Volkssportart Nummer eins immer mehr von seinen Fans?

„Früher gab es eine Politikverdrossenheit, jetzt haben wir eine Fußballverdrossenheit“, sagte Rettig dem SID und bezog sich dabei auf eine Studie von FanQ, die den 57-Jährigen in seinen Einschätzungen bestätigt. Aus dieser geht hervor, dass immer mehr Fans das Hochglanz-Geschäftsmodell Profifußball mit wachsender Skepsis betrachten.

Dies sei, so Rettig, das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses. Von der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 über die Einführung von Trikotwerbung, dem Verkauf der Stadionnamen, dem Bosman-Urteil hin zu teils fragwürdigen Entscheidungen einiger Spitzenfunktionäre in der aktuellen Zeit.

Dreht sich diese Spirale weiter, könnte es Schäden geben. „Es ist wesentlich, dass eine Branche, die mit Fußball ihr Geld verdient, auch gesellschaftliche Akzeptanz benötigt“, sagte Rettig und nahm die DFL und den Deutschen Fußball-Bund (DFB) in die Pflicht: „Aus meiner Sicht müssen DFB und DFL umdenken. Sie müssen ihre Popularität und Reichweite nutzen, nicht um Vermarktungserlöse zu steigern, sondern um gesellschaftlichen Nutzen zu stiften.“

Als früherer Geschäftsführer weiß Rettig natürlich um wirtschaftliche Zwänge. „Ich bin kein Träumer“, gleichzeitig dürfe man der „Umsatzmaximierung nicht alles unterwerfen“, forderte er. Denn sollten sich immer mehr Fans und Partner abwenden, könnte dies den Fußball empfindlich treffen.

„Es geht um das Ausschütten einer emotionalen Rendite und nicht um eine monetäre Rendite für Kapitalgeber“, sagte Rettig. Schwindet die gesellschaftliche Anerkennung „hätte das zur Folge, dass Erlöse im Bereich der Medien und Sponsoren bröckeln“, so der früherer Bundesligamanager: „Es wird sich kein Unternehmen mit jemandem ins Bett legen, der gesellschaftlich keine Anerkennung hat.“

Es gebe jedoch auch einige positive Beispiele für Nähe zum Fan und Glaubwürdigkeit, Rettig nannte dabei den SC Freiburg und den FC St. Pauli, für die er selbst früher tätig gewesen war. Auch sei die 2. Bundesliga grundsätzlich auf einem guten Weg, dort gelinge vielen Vereinen der Spagat zwischen wirtschaftlichen Erfolg und Nahbarkeit.

Eine besondere Rolle nimmt weiterhin die DFL ein, deren Verteilerschlüssel bei den TV-Erlösen Rettig jüngst bereits kritisiert hatte. Die DFL könnte ihren Teil dazu beitragen, dass die Schere zwischen arm und reich nicht noch weiter auseinandergeht.

Zudem müsste man auch jüngere Fans im Blick haben, die man mit dem aktuellen Kurs verlieren würde. Die Generation Z der unter 23-Jährigen „kann man aus meiner Sicht emotionalisieren – aber eben nicht durch goldene Steaks, sondern durch soziale und ökologische Themen“, sagte Rettig.