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Dezember 2024

Sport und Verein
Ein fünfjähriges Mädchen war beim Kinderturnen eines Turnvereins verunglückt. Die von den Kindern zu turnende Übung bestand darin, im Rahmen eines Hindernisparcours auf einer an einen Kasten angelegten Turnbank die Schräge herunter zu rutschen. Dabei verletzte sich das Mädchen an einer Hand, als es von der schräg angelegten Turnbank fiel. Die Einzelheiten des Unfallhergangs blieben im Unklaren.
 
Das verunglückte Mädchen bzw. dessen Eltern machten den Turnverein bzw. die beiden Übungs-leiterinnen der Kinderturnstunde für den Unfall verantwortlich und verklagten sie als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Vor Landgericht und Oberlandesgericht blieb die Klage jedoch ohne Erfolg.
 
Dem Mädchen standen die geltend gemachten Schadensersatzforderungen weder auf vertrag-licher bzw. vertragsähnlicher Grundlage noch aus unerlaubter Behandlung der Beklagten zu.
 
Es kämen hier überhaupt vertragsähnliche Ansprüche gegen den Turnverein in Betracht, für die die beklagten Übungsleiterinnen nur tatsächlich gegenüber dem verunglückten Mädchen fungierten.
 
Durch die Ausrichtung der Turnstunden kommt kein darauf bezogener Dienstvertrag mit den Teilnehmern bzw. deren Eltern zustande; vielmehr setzt, wie allen Beteiligten bekannt ist, der Turnverein insoweit seinen satzungsmäßigen Zweck zur Förderung des Sports und der sportlichen Jugendhilfe gegenüber dem Mädchen als seinem Mitglied um, indem er dafür ehrenamtlich tätige Vereinsmitglieder mit besonderer Erfahrung und Befähigung als Übungsleiter einsetzt.
 
Das Mitgliedschaftsverhältnis begründet allerdings Treue- und Förderpflichten mit der Verpflichtung des Turnvereins, bei der Auswahl der Übungsleiter die die verkehrsübliche Sorgfalt zu beachten, also fachlich und persönlich geeignete Personen dafür herzuziehen. Ob diese im Hinblick auf die wiederholt abgehaltenen Turnstunden auch stichprobenhaft zu überwachen waren, ließen die Gerichte auf sich beruhen, Denn hier war eine Pflichtverletzung, die Schadensersatzansprüche auslösen könnte, nicht anzunehmen.
 
Von einer sorgfältigen Auswahl war auszugehen, da beide Übungsleiterinnen ordnungsgemäß durch die C- bzw. B-Lizenz qualifiziert waren und über jahrelange Erfahrung verfügten. Der Rechtsstreit konnte in 2. Instanzen nicht klären, ob die Übungsleiterinnen in der hier interessierenden Turnstunde Pflichten verletzt hatten, sodass auch keine Aufsichtspflichtverletzung zum Tragen kam.
 
Niemand hatte den Unfallhergang gesehen und die Fünfjährige selbst hatte keine genaue Erinnerung. Das von der Klägerin bzw. ihren Eltern beantragte unfallanalytisch-medizinisch Sachverständigen-Gutachten wurde vom Oberlandesgericht als ungeeignet zurückgewiesen, weil mangels Beweissicherung die Endlage des Mädchens wie auch der mit ihr umgestürzten Turnbank nicht mehr genau nachvollziehen ließen, sodass es an einem zuverlässigen tatsächlichen Anknüpfungspunkt fehlte.
 
Dem Mädchen kam auch keine Beweiserleichterung zugute. Es gibt keinen Anscheinsbeweis, dass der Aufbau des Turngeräts fehlerhaft oder die Aufsicht unzureichend gewesen ist, weil das Mädchen gestürzt ist und sich verletzt hat.
 
Nur wenn die Gefährdungssituation durch fehlerhaften Aufbau und/oder Aufsicht erwiesen wäre, würde ein Anschein dafür sprechen, dass sich die unmittelbare Gefahrenlage in dem Unfall verwirklicht hat.
 
Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Turnbank zusammen mit dem Mädchen abgestürzt ist. Für ihre Folgerung, dass das Gerät nicht ordnungsgemäß aufgebaut und/oder die Übung des Mädchens nicht zureichend beaufsichtigt gewesen sei, unterstellt die Klägerin unzulässigerweise, dass ein Absturz der Bank eine Ursache für ihren Sturz gewesen sei.
 
Von einer solchen Reihenfolge kann aber nicht ausgegangen werden, da wegen des ungeklärten Hergangs auch möglich ist, dass das Umstürzen der  Bank erst eine Folge des Sturzes des Mädchens war und dieses von dieser mitgerissen wurde.
 
Den Nachweis, dass der Aufbau fehlerhaft oder die Turnaufsicht nicht ordnungsgemäß war, hat das klagende Mädchen nicht erbracht.
 
Die Sorgfaltsanforderungen richten sich abhängig vom Einzelfall nach der tatsächlichen Situation und den berechtigten, gegebenenfalls durch Regelwerke konkretisierten, Sicherheitserwartungen der Teilnehmer.
 
Der Aufbau des Geräts entsprach den einschlägigen Vorgaben des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen. Dass die zur Stütze gegen das Wegrutschen der Bank angelegten Turnmatten nicht ausgereicht hätten, wurde durch die vorgelegten Fotos nicht bewiesen.
 
Dass es heutzutage moderne Turnbänke gibt, die gegen Abrutschen mit Haken in den Kasten einge-hängt werden können, ergibt nichts anderes, weil es auf den technischen Stand beim Unfall am 07.04.2008 ankommt. Zu dem Zeitpunkt war die Bank wie aufgebaut zulässig und in über 80 Prozent der öffentlichen Sportstätten im Einsatz.
 
Die Übungsleiterinnen durften das Mädchen allein von der auf den Kasten schräg aufgelegten Bank hinunter rutschen lassen. Die Übung war für die konkrete Gruppe altersbedingt und leistungsstand-gerecht, zudem bereits eingeübt und auch von dem Mädchen unproblematisch bewältigt worden.
 
Die Fünfjährige  beherrschte  aufgrund eigener Erfahrung, die Bank hinunter zu rutschen, was sie häufig  nicht nur in vorherigen Übungsstunden, sondern gerade auch am Unfalltag mehrfach absolviert hatte, bevor es zum Unfall kam.
 
Ohne vorliegenden Anhalt durften die Übungsleiterinnen weiter davon ausgehen, dass das Mädchen in der Lage war, die Übung sicher zu bewältigen. Es würde die Sicherheitsanforderungen überspan-nen, darüber hinaus zu verlangen, dass die Übungsleiterinnen auch für den Fall eines nur augen-blicklich auftretenden Missgeschicks Vorsorge in jede Rechnung zu treffen und somit jedem Übungs-teilnehmer praktisch ständig eine Eins-zu-Eins-Betreuung zur Seite zu stellen hatten.
 
Ein solcher Schutz vor jedweder Gefahr war unter den gegebenen und allseits bekannten Umständen, in denen es nicht etwa um eine Einzeltherapie, sondern um die Sportförderung von gut 20 Kindern durch zwei ehrenamtliche Übungsleiterinnen im Rahmen eines Vereinsturngruppe ging, redlicherweise nicht zu erwarten.
 
Oberlandesgericht Hamm vom 10.05.2011 – 19 U 171/10 –