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April 2024

Landessportbünde

LSVBW-Präsidentin Elvira Menzer-Haasis beleuchtet im Interview das Sportjahr 2021 mit Corona-Pandemie und Olympischen Spielen, Solidarpakt IV und Prävention sexueller Gewalt. Der Sport in Baden-Württemberg wurde in Bewegung gehalten. Und wird dies auch 2022 bleiben.

Frau Menzer-Haasis, war 2021 aus Ihrer Sicht ein gutes Jahr für den organisierten Sport?
Elvira Menzer-Haasis: „Diese Frage kann ich mit ja und nein beantworten, je nachdem welche Perspektive ich einnehme.“

Dann lassen Sie uns mit dem Positiven beginnen.
Elvira Menzer-Haasis: „Wir haben den besten Solidarpakt Sport aller Zeiten unterzeichnet. Und die Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio konnten stattfinden, wenn auch unter ganz besonderen Bedingungen.“

Was lief nicht so gut?
Elvira Menzer-Haasis: „Die Corona-Pandemie hat viele sichtbare und unsichtbare Narben hinterlassen. Ich denke dabei an die Sportvereine, aber auch an die Kinder, Jugendlichen und Senioren, denen das Sportangebot extrem gefehlt hat. Die Sportvereine und -verbände stehen nach wie vor vor großen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie.“

Gab’s einen Lichtblick?
Elvira Menzer-Haasis: „In der ganzen Gemengelage hat sich die Landesregierung als zuverlässiger Partner gezeigt und mit der Soforthilfe Sport den Vereinen in dieser schwierigen Phase mit circa 25 Millionen Euro finanziell geholfen. Trotz allem bleibe ich zuversichtlich, da unsere Sportvereine in Krisen immer ihre Stärke bewiesen haben! Gerade diese besondere Lage hat aus meiner Sicht die gewichtige Rolle der Vereine für die Gesellschaft unterstrichen, sowohl unter gesundheitlichen als auch sozialen Gesichtspunkten.“

Welche Langzeitfolgen hat Corona für die Vereine und Verbände?
Elvira Menzer-Haasis: „Sportvereine und -verbände sind sicherlich mehr denn je gefordert, ihre Angebotspallette zeitgemäß und attraktiv zu gestalten. Der gesamte Sport in Baden-Württemberg braucht einen langen Atem, um alle Menschen wieder in Bewegung zu bringen. Ich wünsche mir sehr, dass Vereinsvorstände, Übungsleiter, Betreuer, Sportler und Mitglieder sich dabei gegenseitig unterstützen. So sehr die Pandemie uns Distanz abverlangt hat, wir brauchen den Gemeinschaftssinn, der unsere Sportvereine ausmacht. Im Sportverein findet man eben “Mehr als Sport”, wie die Baden-Württemberg-weite Kampagne treffend thematisiert!“

Von den Lockdowns war auch der Sport betroffen, weil die Sportvereine ihren Betrieb einstellen mussten. Besonders betroffen waren davon Kinder, Jugendliche und Senioren. Braucht der Sport mehr Gehör bei der Gesundheitspolitik?
Elvira Menzer-Haasis: „In vor-pandemischen Zeiten hatte der Sport sowohl in der allgemeinen Gesundheitsprävention als auch spezifischen Rehabilitation – ich denke dabei an Sport nach Krebs, Herzsportgruppen, etc. – einen guten Stand. Während der Pandemie hätten wir uns eine offenere Haltung gegenüber den Sportangeboten gewünscht. Wir hatten damals im politischen Raum geworben, Sport als dritte Impfung anzusehen und ihn daher solange wie möglich zuzulassen. Die hinlänglich bekannten positiven Effekte des Sporttreibens hätten vielen geholfen. Mir scheint, dass die Politik das mittlerweile erkannt hat!“

Als Erfolg 2021 kann die Fortschreibung und das Ergebnis des Solidarpaktes angesehen werden.
Elvira Menzer-Haasis: „Der Solidarpakt Sport IV ist das beste Ergebnis, das wir jemals erzielt haben. In erster Linie gibt er ein hohes Maß an Planungssicherheit für die Sportvereine und –verbände im Land. Wir haben eine zuverlässige Förderzusage und sind nicht von schwankenden Glücksspiel- bzw. Steuereinnahmen im Landeshaushalt abhängig. Mit der Zusicherung der Landesförderung für den Sport lässt sich Sportentwicklung viel geplanter und auf Dauer qualitativ besser anlegen und umsetzen. Das ist Anerkennung und Würdigung der Leistungen unserer Sportvereine. Über die Laufzeit des Solidarpakts Sport IV von 2022 bis 2026 werden dem Sport insgesamt 130 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. Alleine 40 Millionen Euro werden in den Jahren 2022 und 2023 für den Abbau des Staus in der Vereinssportstättenbauförderung zur Verfügung gestellt.“

Warum wurde für die Jahre 2022 und 2023 der Schwerpunkt auf die Förderung des Vereinssportstättenbaus gelegt?
Elvira Menzer-Haasis: „Seit Jahren gibt es einen Antrags- und Ausbezahlungsstau bei der Förderung des Vereinssportstättenbaus. Vereine mussten lange auf den Förderanteil des Landes warten. Im steten und intensiven Austausch mit der Landespolitik konnten wir hier erfolgreich um Verständnis für die Situation unserer Sportvereine werben und finanzielle Spielräume schaffen. In den beiden Jahren wird mit je 20 Millionen Euro der Abbau vorangetrieben.“

Der Solidarpakt wurde noch mit der alten Landesregierung abgeschlossen. Nach der Landtagswahl im März gibt es neue Ansprechpartner. Hat sich dadurch etwas in der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Ministerien verändert?
Elvira Menzer-Haasis: „Verdientermaßen wird der Sport im Landtag fraktionsübergreifend geschätzt und die Leistungen der Sportvereine werden im Bereich der Daseinsvorsorge bei der Landesregierung als bedeutsam bewertet. Insofern arbeiten wir mit den für uns relevanten Ministerien vertrauensvoll und konstruktiv zusammen. Wir treffen auch bei den neuen Ansprechpartner:innen auf offene Ohren und können unsere Perspektiven verdeutlichen – unsere Verlässlichkeit haben wir hinlänglich bewiesen.“

Der Sport ist autonom, braucht aber die Unterstützung durch die Politik. Wie schwierig ist es die richtige Nähe, aber auch nötige Distanz zu wahren?
Elvira Menzer-Haasis: „Politik und staatlich geförderte Institutionen verbindet seit jeher ein besonderes Verhältnis. Beide Seiten verfolgen ihre Zielsetzungen, das geht verständlicherweise nicht immer reibungslos zumal es gilt, die Autonomie des Sports zu wahren. Fachliche und oft auch persönliche Nähe, aber Distanz in der jeweiligen Rolle lautet mein Credo. Gute Politik nutzt Fördermittel gegenüber abhängig Geförderten jedoch nicht als Druckmittel, sondern sucht den inhaltlichen Diskurs.“

Welche Auswirkungen wird der Wechsel der Ansprechpartner auf Bundesebene für den Sport im Land haben?
Elvira Menzer-Haasis: „Mit einer neuen Bundesregierung geht womöglich auch eine neue Spitzensportpolitik einher. Viele Bundesfördermittel zum Beispiel für die Olympiastützpunkte, die Bundesstützpunktleiter etc. kommen unmittelbar in Baden-Württemberg an. Die Schnittstellen sind vielfältig, weshalb der DOSB und wir hier wachsam und proaktiv arbeiten müssen. Gespannt sein darf man auf die Sichtweise einer neuen Regierung in Berlin, wie sie sich zu Sportgroßveranstaltungen in Deutschland positioniert.“

Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen den Sportverbänden auf Bundes- und Landesebene aus?
Elvira Menzer-Haasis: „Innerhalb des DOSB arbeiten die drei Säulen – Landessportbünde, Spitzenverbände und Verbände mit besonderen Aufgaben – zunächst jeder für sich. Klar ist aber auch, dass sie – wie zuletzt in der schwierigen Situation des DOSB – immer im permanenten Austausch miteinander sein müssen. Es gibt genügend Themenfelder, die alle Säulen gleichermaßen betreffen. Wichtig ist mir stets im Blick zu bewahren, dass jegliche Dachverbände keinen Selbstzweck verfolgen, sondern zur Bündelung von Mitgliederinteressen gegründet wurden. In einer immer komplexeren Gesellschaft drohen sich mehr und mehr Partikularinteressen breit zu machen. Konkurrenz und Solidarität gilt es dabei im Blick zu behalten! Als LSVBW wollen wir eine verbindende Klammer auf Bundes- und Landesebene sein!“

Im Sommer haben die Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio stattgefunden. Wie zufrieden waren Sie mit dem Abschneiden der baden-württembergischen Athletinnen und Athleten?
Elvira Menzer-Haasis: „Wir wissen die Ergebnisse nach einer schwierigen Vorbereitung richtig einzuordnen und sind sehr stolz auf unsere Athlet:innen. Nicht nur auf die, die mit Edelmetall um den Hals heimgekehrt sind, sondern auf alle, die während dieser besonderen Zeit unentwegt das Ziel verfolgt haben, ihre Bestleistungen abzurufen um sich den Traum einer olympischen oder paralympischen Medaille zu erfüllen.“

In welchen Bereichen muss nachgebessert werden?
Elvira Menzer-Haasis: „Ein Anliegen von mir ist die gesellschaftliche Legitimation des Spitzensports. Die Bedeutung und die Vorbildwirkung des Spitzensports sollten von der Gesellschaft wieder mehr anerkannt werden. Dafür gilt es auf allen Ebenen zu werben, Leistung muss belohnt werden. Dabei gilt es auch die Umfeldbedingungen der Athlet:innen und Trainer:innen stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Das bedeutet, dass auch Bereiche außerhalb des direkten sportspezifischen Trainings wie die Betreuung an den Olympia-Stützpunkten oder auch eine Duale Karriere weiter optimiert werden.“

Im ablaufenden Jahr wurden mehrere Studien zur Prävention sexueller Gewalt veröffentlicht. Was unternimmt der LSVBW in diesem Bereich?
Elvira Menzer-Haasis:Der Sport muss ein sicherer Ort für alle sein. Deshalb werbe ich eindringlich dafür, dieses sensible Thema bei Sportvereinen und -verbänden weiter präventiv aufzugreifen. Neben Beratungen finden zahlreiche Sensibilisierungen beziehungsweise Qualifizierungsmaßnahmen im Freizeit- und Breitensport vor Ort statt. Auch in den Trainer- und Übungsleiterausbildungen sowie in den Einführungsseminaren der Freiwilligendienste im Sport steht eine Sensibilisierungseinheit im Curriculum. Der LSVBW setzt sich für eine Kultur des Hinsehens und Aktiv-Werdens auf allen Ebenen ein.“

Der LSVBW, die Sportbünde und die Sportjugenden rücken in Kampagnen die traditionellen Werte des Sports wie Fairplay, Gemeinschaft und Zusammenhalt in den Mittelpunkt. Ist dies nicht ein Kampf gegen Auswüchse von Kommerzialisierung im eigenen System?
Elvira Menzer-Haasis:Zunächst zeigen Kampagnen, welche Potenziale der Sport tatsächlich hat! Meines Erachtens schließen sich Innovation und Tradition gegenseitig nicht aus, wenn die Zukunft wertebasiert gestaltet wird. Dass die Kommerzialisierung in der Gesellschaft themenübergreifend an der Grenze angelangt ist, spüren die meisten von uns ganz persönlich. Deutlich wird es derzeit im Bereich des Klimaschutzes erkennbar. Für den Sport wünsche ich mir deshalb Maß und Mitte bei der Gestaltung des Fortschritts!“

Quelle: www.lsvbw.de