sid

Dezember 2024

Landessportbünde

Das Jahr 2021 war für Beachvolleyballerin Karla Borger sportlich und sportpolitisch ein spannendes. Sie ist die neue Präsidentin von Athleten Deutschland. Sport in BW sprach mit ihr unter anderem über die Stimme der Athleten.

 

Frau Borger, Sie sind seit Oktober Präsidentin von Athleten Deutschland, der unabhängigen, bundesweiten Athletenvertretung. Welche Themen beschäftigen Sie und Ihre Mitstreiter derzeit?

Karla Borger: „Momentan liegt der Fokus auf dem Aufbau des Zentrums für Safe Sport, hier sind wir auch schon sehr weit gekommen und die ersten Schritte sind in die Wege geleitet. Es geht darum, eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt zu schaffen. Eine Machbarkeitsstudie, die hierzu in Auftrag gegeben wurde, zeigt nun auch den dringenden Bedarf. Unser Verein hat zudem ein 21-seitiges Dokument erarbeitet, wir machen darin Vorschläge zu einer Nationalen Integritätsagentur und einem unabhängigen Melde-, Untersuchungs- und Sanktionsmechanismus. Wir skizzieren darin ein ganzheitliches und aufeinander abgestimmtes Integritätssystem, das Präventionsmaßnahmen überprüfbar umsetzt und Missstände im Sport konsequent aufklärt. Auch die Gleichstellung von Mann und Frau liegt mir persönlich sehr am Herzen, hier geht es vor allem um die Themen Medienpräsenz, Verdienstmöglichkeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Leistungssport aber auch um das Wissen rund um zyklusbasiertes Training. Viele große Aufgaben.“

Das sind in der Tat große Themen und viel Arbeit. Was brachte Sie dazu, zu kandidieren? Was treibt Sie an?

Karla Borger: „Ich gehöre dem Verein schon seit seiner Gründung 2017 an und habe schon an dem ein oder anderen „Projekt“ innerhalb des Vereins mitgewirkt. Zudem kenne ich Max [Anm. d. Red.: Max Hartung, Gründungspräsident] schon ziemlich lange, nicht nur im sportlichen Kontext, sondern auch privat und bewundere was er in der kurzen Zeit mit dem Verein erreicht hat.
Als dann klar war, dass das Präsidium wechselt, beziehungsweise nicht mehr zur Wahl antritt, wusste ich, dass ich mehr Verantwortung im Verein übernehmen möchte. Die Entscheidung zur Kandidatur als Präsidentin habe ich erst spontan während der Aufnahme des Bewerbungsvideos gefällt. Nach dem Motto: „Warum eigentlich nicht?“. Wichtig ist mir, das was Max, das alte Präsidium und die Geschäftsstelle angestoßen haben weiter zu verfolgen und noch mehr für die Athlet*innen in Deutschland aber auch weltweit zu erreichen.“

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich, wenn es um die Stimme von Athleten geht? Vernetzt sich Athleten Deutschland mit ähnlichen Organisationen im Ausland?

Karla Borger: „In einigen Bereichen werden wir weltweit als Vorreiter gesehen. Wir sind mittlerweile, vor allem durch unseren Beauftragten für internationale Sportpolitik, Maximilian Klein, so gut es geht auch international vernetzt. Hier kann aber in jedem Fall noch einiges passieren. Ein Austausch ist nicht immer so einfach, da die Strukturen von Land zu Land natürlich unterschiedlich sind, aber alle Athletenvertretungen eint weltweit natürlich der Wille, die Rechte von Athlet*innen einzufordern, und zu vertreten – das ist klar.“

Zurück nach Deutschland: Die Leistungssportreform brachte vor wenigen Jahren einige Veränderungen mit sich, unter anderem mehr Mitsprecherecht für Athleten. Wie wichtig ist Ihre Funktion in diesem Rahmen? Was hat sich seither getan?

Karla Borger: „Ich denke, hier gibt es immer noch sehr viel Nachholbedarf, das kenne ich aus meinem eigenen Verband, und bekomme es auch jetzt immer wieder mit. Es gibt zwar eine Idee und eigentlich vorgeschriebene Szenarien, wie Athlet*innen mehr Mitspracherecht zu Teil werden soll und kann, aber in der Umsetzung hapert es oftmals. Verbände sind es leider nicht gewohnt, Athlet*innen zu hören, sondern meist über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden. Das geht aber an der Sache vorbei. Aber ja, es sitzen immer mehr Athlet*innen an „Tischen“ wo Entscheidungen gefällt werden, meistens noch ohne großes Mitspracherecht, aber wenigstens findet vieles nicht mehr komplett hinter verschlossenen Türen statt. Es sind kleine Schritte, die wir gefühlt täglich machen, aber es ist noch ein weiter Weg und wir versuchen, die Athlet*innen in ihren Verbänden bestmöglich zu unterstützen.“

Sie selbst sind aktive Beachvolleyballerin, trainieren gemeinsam mit ihrer Partnerin Julia Sude in Stuttgart, nicht wie die meisten Ihrer Kolleg*innen in Hamburg. Was spricht für Sie gegen die Zentralisierung, gegen einen zwanghaften Wechsel an Bundesstützpunkte?

Karla Borger: „Es gibt sicher Sportarten in denen eine Zentralisierung vollkommen sinnvoll ist, zum Beispiel Rodeln, oder Bobfahren, einfach weil man sich keine Bahn in den Garten bauen kann. Für mich persönlich ist es wichtig, mich wohlzufühlen und mich selbst bestmöglich entfalten zu können, das mache ich in Stuttgart, ich lebe hier seit über 10 Jahren. Der Olympiastützpunkt hat alles, was wir brauchen, überdachte Felder im Winter, den meiner Meinung nach besten Kraftraum Deutschlands und viele weitere Vorteile. Ich bin nicht prinzipiell gegen eine Zentralisierung, aber es gilt, immer abzuwägen. Julia und ich waren in den letzten drei Jahren sportlich immer auf Augenhöhe, wenn nicht sogar in vielen Fällen ‚besser‘ als die Teams vom Bundesstützpunkt. Wir sind einfach schon lange dabei und wissen selbst am besten was wir brauchen, um unsere besten Leistungen abzurufen.“

Sie wünschen sich also Unterstützung in etwa beim Umfeldmanagement, jedoch keine strikten Vorgaben? Inwieweit ist auch in diesem Zusammenhang das Mitspracherecht der Athlet*innen wichtig?

Karla Borger: „Essentiell! Wie ich schon gesagt habe, wir Athlet*innen wissen in vielen Fällen mehr darüber, was wir brauchen, als ein Sportdirektor, der eventuell gar nicht aus der Sportart kommt und „nur“ am Schreibtisch sitzt. Ich würde nicht sagen, dass der Athlet oder die Athletin immer alles besser weiß, aber wenn man hier zusammenarbeitet und aufeinander hört kann man – denke ich – viel voneinander lernen, profitieren und am Ende vielleicht sogar bessere Ergebnisse erzielen, vor allem wenn sich die Athlet*innen wohlfühlen.“

Nach den Sommerspielen in 2021 wurde erneut analysiert – und schlussendlich von verschiedenen Seiten grundlegende Veränderungen gefordert. Wo steht der deutsche Spitzensport derzeit?

Karla Borger: „Ich denke, die ausführliche Antwort auf die Frage würde den Rahmen hier sprengen. Daher versuche ich es kurz: Wir brauchen klare Aussagen, von der Politik, den Verbänden und vielleicht auch von allen den Bürger*innen. Was wollen wir für einen Leistungssport in Deutschland? Wollen wir uns weiterhin an Medaillen messen und mit anderen Nationen vergleichen, die eine ganz andere Wertestruktur in ihrem Land haben, und alles für den Erfolg tun, inklusive Manipulationen? Oder wollen wir einen wertebasierten Sport, der vor allem auch Kinder und Jugendliche begeistert und mitreißt und im besten Fall dazu animiert, selbst aktiv zu werden? Ich denke, das gilt es zu klären und dann gemeinsam daran zu arbeiten, dieses Ziel zu erreichen.“

Seit der Leistungssportreform steht im Kern der Analyse das Potenzialanalysesystem „PotAS“. Dies entscheidet auch über die finanzielle Förderung von Sportarten im Olympiazyklus. Können Sie als Leistungssportlerin das Vorgehen nachvollziehen? Sind Konsequenzen spürbar?

Karla Borger: „Ganz ehrlich: Ich habe immer mal wieder versucht, mich mit diesem ‚System‘ auseinanderzusetzen, aber es stellt mich immer noch vor Herausforderungen. Verbände werden hinsichtlich ihrer Erfolge, ihres Erfolgspotenzials und ihrer Strukturen bewertet. Der Strukturteil besteht darin, dass die Verbände Konzepte zu ihren verschiedenen Aufgabenbereichen vorlegen müssen. Das Problem ist, dass die Umsetzung dieser Konzepte nicht überprüft wird. Ein Punkt ist zum Beispiel, ob der Verband einen Beauftragten für sexualisierte Gewalt und Missbrauch benannt hat. Es wird aber in keiner Weise die Qualifikation oder die Echtheit dieser Aussage geprüft. Scheinbar reicht es aus, einen Namen mit Telefonnummer auf der Homepage aufzuführen. Ich habe hier schon aus einigen Verbänden von Sportler*innen gehört, dass diese Nummer entweder zu einer Person gehörte, die nicht dem aufgeführten Namen entsprach, oder auch andere Personen aus dem Verband die Möglichkeit hatten, den E-Mailverkehr einzusehen. Kurz gesagt, es ist/war nicht allzu schwer, sich selbst als Verband gut zu bewerten, aber Hilfesuchende im Regen stehen zu lassen.
Die Vergabe der Gelder ist noch nicht überall final geklärt, aber es wird hier sicher Veränderungen geben, da ein großer Teil der Analyse ja auch immer noch an Medaillenerfolgen gemessen wird. Das wird die Athlet*innen aus einigen Verbänden hart treffen, sie haben beispielsweise weniger Mittel für Trainingslager zur Verfügung. Durch die neue Regierung haben wir aber jetzt die Chance, das System gemeinsam zu überdenken oder zu überarbeiten, und wir sind guter Dinge, dass wir das hinbekommen.“

Seit den DOSB-Neuwahlen im Dezember steht Thomas Weikert an der DOSB-Spitze und möchte einen Kurswechsel einläuten. Was ist aus Ihrer Sicht, aus Athlet*innensicht, nötig, damit dies gelingt?

Karla Borger: „Wir brauchen wieder mehr Vertrauen in unseren Dachverband, in den letzten Jahren und vor allem im vergangenen gab es viele Unstimmigkeiten. Ebenso sollte sich darum gekümmert werden, die Ungereimtheiten zu diversen Angelegenheiten, das alte Präsidium und den Vorstand betreffend, aufzuklären.
Aber ich möchte auch in die Zukunft schauen. Wir müssen es schaffen, dass wir Athlet*innen wieder mehr in den Fokus rücken, ohne uns gäbe es keine Verbände, Wettkämpfe und auch keine Erfolge oder Niederlagen, wir müssen mehr gehört, in Entscheidungen und Prozesse eingebunden werden, um gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Das ist mir sehr wichtig.“

Wenn Sie sich von der neuen Bundesregierung und dem neuen DOSB-Präsidium etwas wünschen könnten, was wäre das?

Karla Borger: „Dass die drei Parteien – Athlet*innen, die Bundesregierung und der DOSB – zusammenarbeiten. Im Grunde wollen wir glaube ich alle dasselbe. Wichtig wäre denke ich auch, dass nicht immer wirtschaftliche Interessen an erster Stelle stehen, sondern Werte wie Menschenrechte und Integrität.“

Das Interview führte Jennifer Baloni.

Quelle: www.lsvbw.de