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April 2024

Landessportbünde

Welche Bedeutung haben Sportvereine im Land? Wie kommen mehr Kinder und Jugendliche in die Vereine? Im Doppel-Interview mit „Sport in BW“ haben sich Sportministerin Theresa Schopper und LSVBW-Präsident zu den Herausforderungen im Sport ausgetauscht.

Frau Ministerin Schopper, Sie sind seit zwei Jahren im Amt. Seit etwa einem Jahr ist Jürgen Scholz als LSVBW-Präsident Ihr Gesprächspartner aus dem Sport. Was verbindet Sie beide?

Theresa Schopper: Wir beide versuchen eher unaufgeregt die Sache vom Kern her zu betrachten, um lösungsorientiert einen Knopf dran zu bringen. Von daher haben wir eine gute und sehr gelassene, aber trotzdem sehr intensive Zusammenarbeit.

Jürgen Scholz: Das kann ich nur bestätigen. Der LSVBW und ich persönlich fühlen uns sehr wohl mit Ministerin Schopper an der Spitze und dem gesamten Kultusministerium. Diese partnerschaftliche Zusammenarbeit steht bei allen denkbaren unterschiedlichen Positionen über allem. Gemeinsam für den Sport und die Menschen etwas zu erreichen, das verbindet uns. Da sind Sie, Frau Ministerin, mit beiden Beinen auf dem Boden. Dafür ein großes Lob.

Welche Bedeu­tung haben Sport­ver­eine in Ihren Augen für das gesell­schaft­li­che Leben in den Städ­ten und Gemeinden?

Schopper: Sportvereine sind immens wichtig für das Leben vor Ort. Es ist für den sozialen Zusammenhalt von großer Bedeutung, dass es bei den Mitgliedszahlen nach Corona wieder deutliche Zuwächse gibt. Das zeigt: Sportvereine sind eine wichtige Institution im Leben vieler Menschen, vor allem auch vieler Kinder. Neben Training und Wettkämpfen sind sie für viele auch ein Stück Lebensinhalt.

Scholz: Die Sportvereine bilden letztlich die Gesellschaft ab. Die Vereine haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie mit den Krisen – 2015/2016 die Flüchtlingsbewegung, dann Corona, Energie und jetzt wieder Integrationsaufgaben – sehr gut bewältigen. Sie tun unglaublich viel dafür, die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in den Sport zu integrieren. Das ist auch wichtig.

Können die Sportvereine den Ansturm bewältigen?

Schopper: Viele sagen mir, dass wegen der Pandemie Übungsleiter und Trainer fehlen. Diese Herausforderung ist groß.

Sie haben gerade die Kinder und Jugendlichen angesprochen. In der Sportministerkonferenz wurde Mitte Mai auf Betreiben von Baden-Württemberg ein Beschluss zum Kinder- und Jugendsport beschlossen. Mit welchem Inhalt?

Schopper: Die Sportministerkonferenz möchte die Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendsports noch enger begleiten. Hierzu werden wir als Baden-Württemberg gemeinsam mit der Deutschen Sportjugend eine Arbeitsgruppe einrichten, die sich den Belangen des Kinder- und Jugendsports in den Vereinen, aber auch in der Schule und im Ganztag annimmt. Gerade im Zusammenhang mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung sehe ich große Chancen, den Sport möglichst verbindlich zu verankern.

Wie einfach ist das?

Schopper: Das ist herausfordernd. Die Arbeit in den Sportvereinen wird oftmals von vielen Ehrenamtlichen übernommen. Die Fußballtrainer meiner Kinder waren davor auch acht Stunden bei der Arbeit und sind dann erst auf den Fußballplatz gekommen. Insofern begann der Vereinssport bisher meist nach der Schule. Zukünftig brauchen wir noch mehr eine gute fachliche, strukturelle und zeitliche Verzahnung, auch mit hauptberuflichem Personal im Sport.

Dies hört sich in der Theorie gut an, wie wird dies in der Realität umgesetzt werden?

Schopper: Zumindest von unserer Seite, aber auch sicherlich von Seiten der Städte und Gemeinden und der Schulen ist eine große Offenheit vorhanden, dass wir außerschulische Partner noch mehr einbinden. Aber klar, es gibt viele Details, die wir noch untereinander klären müssen. Entscheidend ist aber: Wenn wir alle das wollen, kriegen wir es auch hin.

Sie sehen das also als Chance?

Schopper: Unbedingt. Wir könnten zum Beispiel an einem „Tag des Sports“ in den Schulen möglichst viele Sportarten vorstellen. Nicht nur die medial besonders präsenten. Ich finde es wichtig, wenn Kinder mit möglichst vielen Sportarten in Kontakt kommen, auch mit Trendsportarten. Mit unserem Projekt „Schau mal, was ich kann!“ zielen wir ja auch genau darauf ab.

Wenn Sie sagen, dass die Ganztagesthemen 2026 kommen, dann gibt es einen Impuls, wo man fragt: Ist es eine Herausforderung? Oder ist es eine Belastung?

Scholz: Wir werden immer vor Ort unterschiedliche Lösungen erarbeiten müssen, dann kann der Sport insgesamt gewinnen. Das ist das, was wir im Sport wollen. Dann kommen tatsächlich Kinder in Bewegung, die sonst nie einen Zugang zum Sport gehabt hätten.

Schopper: Meine Hoffnung ist auch, dass Sport wieder etwas Selbstverständliches wird. Ganztag hört sich immer an, als drehe sich in der Schule den ganzen Tag alles um Mathe, Deutsch und noch ein bisschen Heimat- und Sachkunde und dann fangen wir wieder von vorne an. So soll der Ganztag nicht sein. Sport oder Bewegung zu haben ist nicht nur sinnvoll, damit Kinder motorische Fähigkeiten ausprägen. Danach können sie sich auch wieder besser und anders fokussieren und lernen. Sport macht also nicht nur Freude, sondern er sorgt auch dafür, dass man wieder Power für Neues hat.

Dann kommen Sie Ihrer Forderung, und dies ist auch im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, nach der täglichen Sport- und Bewegungsstunde sehr nahe.

Schopper: Ich finde das sehr wichtig. Norwegen ist für mich dabei ein Vorbild. Dort ist der Sport beeindruckend gut integriert. Es ist vielleicht nicht in allen Details vergleichbar, aber man kann sich abschauen, wie Sport und Natur miteinander verbunden werden. Wenn ich sehe, wie viele junge Leute aus einem Land mit etwa fünfeinhalb Millionen Einwohnern Medaillen bei diversen internationalen Meisterschaften gewinnen, und das sowohl im Wintersport beim Biathlon und Langlauf, als auch in anderen Sportarten wie Handball oder Leichtathletik, dann fasziniert mich das. Die Norweger haben einen anderen Zugang zu Bewegung. Das zahlt sich aus, auch gesundheitlich.

Woran scheitert’s?

Schopper: Für Sportangebote über den Sportunterricht nach Kontingentstundentafel hinaus haben wir nicht die nötige Anzahl von Sportlehrkräften und Deputaten. Deshalb kann die Ganztagesbetreuung hier eine Chance sein. Mittels Kooperationen, die auch bezahlt werden, können wir zu einer besseren Abdeckung kommen.

Scholz: Eigentlich sollten wir viel früher anknüpfen. Nämlich bereits im Kindergarten. Von der Erfahrung heraus weiß ich, dass es viele Kindergärten mit Bewegungsräumen und Angeboten gibt. Diese Angebote sollte man in der Schule fortsetzen. Wenn man den Anspruch auf Bildung und Betreuung ab 2026 als Chance nimmt, und das sollten wir tun, dann kann man Kinder zur Bewegung und zum Sport führen. Dazu muss der Sportunterricht auch attraktiver werden.

Schopper: Die Bildungspläne geben das her. Sie sind hier eindeutig. Im Fach Sport geht es um die Vermittlung von Handlungskompetenz im Kontext von Bewegung, Spiel und Sport – und unsere Sportlehrkräfte machen tolle Arbeit. Aber klar: Auch hier können wir noch innovativer werden, beispielsweise wenn es darum geht, die richtige Sportart für die jeweilige Person zu finden.

Scholz: Wenn ich mich an meine Schulzeit zurückerinnere, dann an unglaublich engagierte Sportlehrer, die es tatsächlich geschafft haben, dass wir einen Salto gelernt haben und den am Schluss die ganze Klasse ohne Hilfestellung auch machen konnte. Der Lehrer hat das didaktisch so toll gemacht, dass keiner an Turnen gedacht hat. Das zeichnet auch eine Schule aus, denn unter normalen Umständen hätte ich nie einen Salto gelernt.

Schopper: Es ist wichtig, dass wir das Thema Sport und Bewegung mehr perspektivisch gestalten. Ehrlicherweise kann man auch hier wieder von den Norwegern lernen. Die beginnen relativ spät, erst mit 13, 14 Jahren, mit Wettkämpfen und vermeiden so, dass die Kinder vor allem auf Tabellen oder Ergebnislisten schauen und sich vergleichen. So steht der Bewegungsaspekt deutlich mehr im Vordergrund. Und wir sollten auch mehr auf die ganz Kleinen schauen. Wenn man den Bewegungsdrang von Kindern im Kindergarten sieht, ist das ja offensichtlich. Gerade in dieser frühen Entwicklungsphase wird die Motorik, also rennen, springen, rollen, hangeln, klettern, ausgebildet. Das sind die Grundlagen für späteres Sporttreiben.

Scholz: Viele Erzieherinnen klagen, dass sich Kinder nicht mehr bewegen können. Sie haben nicht gelernt, auf der Straße zu spielen.

Schopper: Auch in dieser Hinsicht ist der Ganztag eine Möglichkeit. Denn neben der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zielt er auch darauf ab, die Kinder zu fördern, die zuhause nicht so viel Unterstützung bekommen – sei es in Mathe, Deutsch oder eben bei Sport und Bewegung.

Scholz: Sie waren doch gerade mit dem Landtagsauschuss Kultus, Jugend und Sport in Kanada. Was haben Sie denn da gesehen?

Schopper: Mein Eindruck ist, dass wir mit unseren Vereinsstrukturen wesentlich besser aufgestellt sind. Man merkt dort, dass viel über Freiwilligkeit und Spenden geht. Wir haben uns eine Sporthalle angeschaut, in der niederschwellige Angebote für Kinder gemacht werden, aber das nehmen relativ wenige Kinder wahr. Ansonsten dreht sich bei den Kanadiern sehr viel um Eishockey.

Wird vor dem Start in den Ganztag angesichts des Mangels an ausgebildeten Sportlehrern ein Programm für Lehrer anderer Fachrichtungen aufgelegt, um ihnen Wissen zum bewegten Lernen mit auf den Weg zu geben?

Schopper: Unterricht in der Sporthalle ist nicht mit dem im Klassenzimmer vergleichbar. Daher können sich Grundschullehrkräfte, die keine Sportlehrer sind, fortbilden und zertifizieren lassen. Darüber hinaus gibt es für alle neuen Grundschulleitungen im Rahmen ihrer Einführungsqualifikation ein verpflichtendes Modul für die Bedeutung von Sport und Bewegung. Dabei geht es auch um Rhythmisierung und bewegtes Lernen, aber auch um außerunterrichtliche Sportangebote wie die Bundesjugendspiele, „Jugend trainiert“ sowie die Kooperationsmöglichkeiten der Schulen mit Sportvereinen.

Gemeinsam mit Ihren Sportministerkollegen sind Sie darüber eingekommen, dass auch Kindern aus einkommensschwachen Haushalten die Mitgliedschaft in einem Sportverein ermöglicht werden muss. Es soll sogar mit Nachdruck dafür gesorgt werden, dass dies künftig gesichert werde. Welche Ideen haben Sie dies zu erreichen?

Schopper: Das ist nicht ganz einfach. Denn so ein Sportverein ist zunächst einmal eine „Komm-Struktur“, also ein Ort, wo man hingehen muss. Das ist für viele weniger eine Frage des Einkommens, sondern der Organisation und des Trauens. Das muss gelernt werden. In puncto finanzieller Unterstützung sind vor allem auch die Städte und Gemeinden gefragt, und das macht ja auch Sinn – schließlich kennt man in den Rathäusern die Situation vor Ort viel besser und ist näher dran als eine Landesregierung. Und hier gibt es ja auch schon viel Beispielhaftes.

Scholz: Es gibt ja das Bildungs- und Teilhabepaket, es gibt die Sozialpässe vor Ort. Trotzdem haben wir eine virtuelle Barriere in den Köpfen der Menschen, die gar nicht um alle Möglichkeiten wissen. Es wäre für Vereine aber auch durchaus eine Aufgabe zum Beispiel für Kinder bis zu sechs Jahren die Teilhabe umsonst zu stellen. Denn über die Kinder motivierst du die Eltern. Die Botschaft, dass man den Kindern einen Zugang verschafft, der sich nicht an finanziellen Gegebenheiten orientiert, wäre gut. Aber da bin ich ganz bei Ihnen, dass dies keine Aufgabe des Landes, sondern der Städte und Kommunen sowie der Vereine ist.

Viele Menschen kann man für den Sport auch über Meisterschaften begeistern. Wie zeitgemäß sind unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit noch solche Sportgroßveranstaltungen wie Olympische Spiele?

Schopper: Ich muss gestehen: Ich bin ein Olympia-Fan. Früher bin ich schon mal aus meiner Studenten-WG verwiesen worden, als ich mir bei den Spielen 1984 in Los Angeles fast alles reingezogen habe. Bei so einem Ereignis finde ich alles interessant. Selbst das Dressurreiten, von dem ich nun wahrlich nichts verstehe, hat mich begeistert. Nachdem der Fernseher Tag und Nacht lief, hat man mir geraten, ich solle doch in der zweiten Woche nach Hause fahren.

Ist das Interesse abgeebbt?

Schopper: Ich schaue nach wie vor gerne, gehe auch sehr gerne zu den Sportveranstaltungen. Ich finde es toll, mit welcher Begeisterung die Sportler unterstützt werden. Wir haben grundsätzlich ein sehr faires Publikum. Das haben wir wieder bei den European Championships in München, aber auch in Stuttgart bei der Turn-WM gesehen. Egal, wer geturnt hat, jeder wurde unterstützt. Das ist genau das, was ich an Sportveranstaltungen toll finde und warum sie Werbung für den Sport machen und dafür begeistern.

Also sollte sich Deutschland um Olympische Spiele bewerben?

Schopper: Hier läuft ja ein Prozess beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Ich sage es mal so: Das wird nicht einfach, die Anforderungen sind hoch, die Kosten auch – und es ist wichtig, die Bevölkerung mitzunehmen.

Scholz: Und die Sicherheitskonzepte, die man mittlerweile erfüllen muss. Die Kosten für die Sicherheit sind bei Großveranstaltungen mittlerweile einer der entscheidenden Faktoren. Großveranstaltung sind auch wichtig, weil sie Identifikation zum Sport schaffen. Ich denke, dass die Politik und wir als Sportorganisation uns einig sind, dass wir Sportgroßveranstaltungen brauchen. Nur benötigen wir neue Konzepte, die das einfach machbarer, bezahlbarer machen.

Schopper: Großveranstaltungen wie Olympische Spiele brauchen einen gesellschaftlichen Benefit, der über die reine Veranstaltung hinausgeht und sich nachhaltig auswirkt. Das können Wohnungen sein, aber auch Verbesserungen beim Öffentlichen Nahverkehr.

Scholz: Das wichtigste Stichwort haben sie genannt: Es muss ein gesellschaftlicher Benefit vorhanden sein. Nur allein wegen der Sportstätten bewirbt man sich nicht. Wenn man das insgesamt in eine notwendige Infrastruktur einbettet, die aber noch jahrelang bis zur Realisierung brauchen würde, dann durch die zusätzlichen Mittel schnell umgesetzt werden kann, dann kann man auch die Menschen dafür begeistern.

Apropos Olympische Spiele: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat die Entscheidung an die internationalen Spitzenfachverbände weitergegeben, ob russische und belarussische Athleten bei internationalen Meisterschaften starten dürfen, um sich für Paris im kommenden Jahr qualifizieren zu können. Mit Ihren Sportministerkollegen haben Sie sich mit dem Thema befasst.  

Schopper: Wir stehen weiter einhellig hinter dem Startverbot und dem Ausschluss. Wir haben aber ein Dilemma, weil das IOC die Weitung vorgenommen hat, dass Sportler aus Russland und Belarus unter neutraler Flagge mitmachen können. Damit wurde der Sport gespalten, denn es gibt Verbände, die sind dafür, andere sind dagegen. IOC-Präsident Thomas Bach hält sich das für die Olympischen Spiele dann ja noch offen.

Scholz: Es gibt noch eine andere Dimension. In den vergangenen eineinhalb Jahren waren die betreffenden Athleten nicht mehr dem Anti-Doping-System unterworfen.

Wir haben jetzt so viel über Sport gesprochen. Gehen Sie, Frau Ministerin Schopper, und Sie, Herr Präsident Scholz, auf eine gemeinsame, kurze, kleine Runde Sport raus an die frische Luft?

Scholz: Ich schlage vor, Frau Schopper zu mir nach Sersheim kommt, dann fahren wir gemeinsam eine Runde Fahrrad.

Schopper: Ich bin zwar für den Sport als Ministerin zuständig, aber betreibe selbst leider fast keinen mehr. Ab und zu wandern, für mehr reicht es nicht. Das ist das, was eindeutig in diesem Amt zu kurz kommt.

Quelle: www.lsvbw.de