Die Diskussionen über die Zukunft des Spitzensports in Deutschland und seine Strukturen sind im vollen Gange. Baden-Württemberg geht seinen eigenen Weg, wie in einem Gespräch zwischen Sven Rees, Leistungssportdirektor Leichtathletik Baden-Württemberg, Tim Lamsfuß, Leiter Olympia-Stützpunkt Stuttgart, und Uli Derad, Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes Baden-Württemberg, deutlich wird.
Herr Rees, bei der U20-Leichtathletik-EM in Jerusalem hat Deutschland mit 23 Medaillen, darunter achtmal Gold, den ersten Platz im Medaillenspiegel belegt. Bei der WM in Budapest gab es keine Medaille. Wie ist das zu erklären?
Sven Rees: Das Niveau bei einer U20-EM ist sicher nicht vergleichbar mit dem einer WM bei den Aktiven. Aber beim Nachwuchs sind wir als Landesverband noch viel näher an den Athleten und ihren Trainern dran. Zwischen der U20 bis in die Weltspitze haben wir im Anschlussbereich in Deutschland zu viele Störfaktoren.
Das sind aus Ihrer Sicht?
Rees: Am meisten Störpotenzial ist durch die verschiedenen Trainertypen gegeben – Bundestrainer, Bundesstützpunkttrainer, Landestrainer, Verbandstrainer, Heimtrainer, Kompetenzteamtrainer. Bei dieser Fülle an Trainern verliert der Athlet leicht die Orientierung. Wer ist der eigentliche Trainer, der den Weg vorgibt? Und was ist überhaupt der Weg? Das Nächste ist, dass sich diese Trainer nicht als Förderpartner verstehen, sondern häufig eher als Konkurrenten. Wenn sich nicht alle hinter das gemeinsame Ziel stellen, diesen Athleten oder diese Athletin an das Weltniveau zu führen, sondern Konkurrenz zwischen Bundes- und Landestrainer, Landes- und Heimtrainer oder Bundes- und Heimtrainer stattfindet, dann wird dieser junge Mann oder diese junge Frau dieses Ziel nicht erreichen können.
Gehört es nicht zu den elementaren Aufgabe von Trainern, Athleten besser zu machen?
Rees: Klar ist es ein Ziel. Aber wenn wir uns die Voraussetzungen anschauen, unter denen ein Bundestrainer angestellt ist, ich denke dabei an Vierjahresverträge, Kettenverträge und so weiter, dann ist er zum Erfolg verdammt. Dieser Erfolg wird aber bei Bundestrainern mit Disziplinverantwortung nicht ausreichend bemessen an der Entwicklung der Disziplingruppen, sondern am persönlichen Erfolg mit Athleten. In dem Moment, an dem der Lebensunterhalt dieser Trainer abhängig wird von der Performance von Athleten, ist man nicht mehr Förderpartner.
Sondern?
Rees: Man steht in Konkurrenz zu den Kollegen. Deshalb versucht man die bestmöglichen Athleten in die eigene Trainingsgruppe zu holen, weil nur diese Konstellation langfristig den eigenen Lebensunterhalt sichert. Die Anstellungsvoraussetzungen bei bundesfinanzierten Trainern sind einfach so, dass häufig nicht nach der individuell besten Lösung für den Athleten, sondern eher für den Trainer gesucht wird.
Uli Derad: Dies ist bezeichnend für die gesamte Situation im deutschen Spitzensport. Ein Problem stellt das Potenzialanalysesystem (PotAS; die Redaktion) dar aufgrund von Gleichmacherei der Strukturen. Sollen Potenziale bemessen werden, müssen schon die sportartspezifischen Besonderheiten berücksichtigt werden. Denn wie soll das anders funktionieren? Strukturen in der Rhythmischen Sportgymnastik müssen ganz anders sein wie in der Leichtathletik oder wie in Spielsportarten.
Man hört heraus, dass Sie in PotAS kein Potenzial sehen?
Derad: Ich finde, dass man das mal auf den Prüfstand stellen muss. Nehmen wir doch einfach drei Vorhersagen: Die Leichtathletik wurde als potentialreichste Sportart eingestuft – das Ergebnis hat man in Budapest gesehen. Gleichzeitig hat man Basketball kein Potenzial attestiert. Auch die Rhythmische Sportgymnastik rangiert ziemlich am Ende. Beide waren in den vergangenen Wochen bei Weltmeisterschaften mit dem Titel bei den Männern oder fünf Goldmedaillen durch Darja Varfolomeev sehr erfolgreich. Da ist es doch berechtigt, nicht nur das Analysesystem infrage zu stellen, sondern auch die gesamte Struktur. Ich frage provokant: Sind wir überhaupt auf dem richtigen Weg?
Rees: Die deutsche Leichtathletik ist nicht allein verantwortlich für diese Entwicklung. PotAS steht den Bedürfnissen des Sports – Flexibilität, Variabilität, Mitteleinsatz – völlig entgegen. Jeder Verband unterhält sich fast ausschließlich über Kennziffern und was man ausfüllen muss, damit man am Ende ein finanzielles Auskommen hat. Über Training unterhält sich niemand mehr.
Entsprechend fallen die Resultate aus.
Rees: In Budapest hat man gesehen, welche physischen Voraussetzung bei vielen internationalen Athleten im Gegensatz zu vielen Deutschen vorhanden sind, dann muss man sagen, dass wir wissenschaftlich zwar in der Lage sind viel zu beschreiben, aber wir setzen viel zu wenig davon um. Wir waren über Jahrzehnte erfolgreich mit Konzepten, die werden im Moment von älteren deutschen Trainern im Ausland umgesetzt. Plötzlich werfen Inder weit mit dem Speer. Es gibt viele ehemalige deutsche Trainer, die im Ausland erfolgreich sind. Die Frage ist: Warum gehen sie ins Ausland? Warum kann man nicht Fachwissen und Know-how in Deutschland konservieren und an die nächste Generation weitergeben? Warum geht man nicht auch mal nach außen und schaut, wo wissen andere vielleicht mehr als wir? Wo können wir Input organisieren?
Welche Antwort haben Sie?
Rees: Weil man, ich übertreibe, 48 Stunden am Tag am Schreibtisch sitzen und Fragebögen ausfüllen muss, damit irgendjemand bemessen kann, wie viel Geld man bekommt. Das alles hat mit Sport und Leistungssport überhaupt nichts zu tun.
Was könnte helfen?
Derad: Nehmen wir die USA als Beispiel. Wenn man sich die Medaillengewinner mal anschaut, dann trainieren dort sehr viele. Da gibt es eine unheimlich große Konkurrenz unter den Colleges. Da gibt es keinen zentralen Plan, wer was zu tun und wer was zu lassen hat. Das sind alles internationale Trainingsgruppen. Es geht um Zulassen, nicht um Verhindern.
In einer davon, an der Uni in Austin, trainiert Zehnkämpfer Leo Neugebauer aus Leinfelden-Echterdingen.
Rees: Für Leo war es der absolut korrekte Weg. Er hat in Austin das gefunden, was er gesucht hat mit der Betreuung, mit den kurzen Wegen zwischen Studium und Training. Das passt für ihn. Das passt aber nicht für alle.
Lamsfuß: Der nächste findet vielleicht sein Glück im Trainingszentrum Papendal in den Niederlanden. Oder er findet es am Olympia-Stützpunkt Stuttgart oder Rhein-Neckar. Wir müssen uns davon lösen, dass es die einzige Lösung im Leistungssport gibt.
Derad: Es sind immer individuelle Lösungen, weil wir mit Menschen arbeiten. Der Versuch über ein Potenzialanalysesystem Strukturen in alle Sportarten zu bringen, negiert, dass jeder Mensch anders ist. 20 Athleten nehmen 20 verschiedene Entwicklungen. Das repräsentiert unser aktuelles Sportsystem null. Eine Darja Varfolomeev mit ihren 15 Jahren benötigt eine andere Betreuung als Leo Neugebauer mit 22 Jahren.
Das Trainingszentrum in Papandal wurde schon angesprochen. Dies gilt in der Diskussion als Nonplusultra. Ist es das?
Derad: Wir schauen immer zu den anderen. Wir schauen, was England macht, wir schauen, was Frankreich macht, wir schauen, was Holland macht. Aber wir leben in Deutschland. Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr pluralistisch ist, die sehr individualisiert ist. Lass uns doch innerhalb unserer gesellschaftlichen Möglichkeiten agieren. Und nicht immer abkupfern, was woanders funktioniert. Das wiederum funktioniert ja nicht, wie wir tagtäglich feststellen. Lass uns die vorhandenen Möglichkeiten nutzen.
Rees: Die ja so schlecht nicht sind, wir nutzen diese vorhandenen Ressourcen nur nicht ausreichend. Im Gegensatz zu ausländischen Athleten. Hürden-Olympiasieger Hansle Parchment aus Jamaika hat sich in Stuttgart auf die WM vorbereitet und Silber gewonnen, Alina Rotaru-Kottmann trainiert seit acht Jahren in Stuttgart, trainiert bei einem Coach des VfB Stuttgart und holt Bronze – für Rumänien. Auch Schweizer und Kubaner haben über mehrere Jahre am Stützpunkt trainiert. In Mannheim ist es der Kugelstoßer Bob Bertemes aus Luxemburg.
Lamsfuß: Dafür gab’s immer wieder vom deutschen Sport einen auf die Mütze mit dem Hinweis: Ein Bundesstützpunkt ist keine internationale Trainingsstätte.
Rees: Völlig vergessen wird dabei, dass die Athleten voneinander profitieren. Vergessen dürfen wir auch nicht, dass die deutschen Topathleten in ihren Vereinen gar nicht mehr auftauchen. Wir müssen die Frage stellen: Wie ist denn der Link zwischen dem Landesverband, dem Bundesstützpunkt und den Vereinen?
Wie lautet Ihre Antwort?
Derad: Man muss das gar nicht so kompliziert machen. Momentan wird ja auch diskutiert, dass die Vereine, die Leistungssportorientiert sind, fehlen. Das mag sein. Dann lass uns aber daran arbeiten, dass es die gibt. Lass uns wieder Möglichkeiten schaffen, dass sie es tun wollen und können. Das Thema Ganztag kommt auf uns zu. Ich kann den Begriff Bewegungsräume nicht mehr hören. Wir sind Sportverbände. Lass uns Sporträume schaffen. Wir haben in den Sportvereinen in Baden-Württemberg den seit Jahren höchsten Organisationsgrad bei den Kindern und Jugendlichen. Wir haben auch tolle Zahlen bei „Jugend trainiert für Olympia und Paralympics“. Jetzt gilt es das zu transportieren, zu motivieren, Möglichkeiten zu schaffen. Aber dann dürfen die Kinder und Jugendlichen den Vereinen und ihren Trainern nicht gleich wieder weggenommen werden, denn dann entsteht vor Ort nichts. Wir brauchen die Stadtmeister genauso wie die Bezirksmeister wie die Landesmeister.
Rees: Ein konkretes Beispiel. Im Stützpunktkonzept des DOSB gibt es ein Schaubild, in dem der DOSB im Zentrum allen Handelns steht. Ganz weit außen kreisen die Athleten. Dies zeigt deutlich, dass die Athleten ganz weit weg sind vom Machtzentrum des Sports sind. In Baden-Württemberg haben wir dies, zumindest in der Leichtathletik, umgedreht. Für uns steht das direkte Umfeld – Athlet, Trainer, Eltern, Verein, Trainingsgruppe – im Mittelpunkt. Wenn man dann noch Vertrauen organisieren kann von diesem direkten Umfeld in die Landesorganisation oder die Bundesorganisation, dann hat man gewonnen. Nur dann ist Beratung möglich. Sport muss Vertrauen zu den Unterstützern drumherum herstellen. Nur wenn wir das verstehen, können wir anfangen zu beraten. Zum Glück haben wir in Baden-Württemberg das nötige Vertrauen zu und von den allermeisten. Wir werden gefragt. Aber schon in der nächsten Etappe findet das zu wenig statt.
Warum scheitert es da?
Derad: Die zentralen Prinzipien in unserer Gesellschaft sind Subsidiarität und Föderalismus. Das wird aber als störend empfunden. Wenn man dies aber hinterfragt, ist dies eine Stärke. Die Steuerung von Föderalismus ist, zugegeben, extrem anstrengend. Es geht aber. Über Verhandlungssysteme und über echte Partnerschaft. Über diese Teilsysteme gilt es einen Mehrwert zu schaffen. Torsten Burmester als Vorsitzender des DOSB hat schön gesagt: „Wir sind nicht effizient genug, uns fehlt Innovation.“ Warum denn? Wir müssen das Wissen in diesen kleinen Teilsystemen und in den kleinen Einheiten, also den Trainingsgruppen mit ihren Trainern, erhalten und weitergeben. Denn dort entsteht Innovation. Momentan wird dies eher verhindert.
Wird Innovation durch Bürokratie kaputtgemacht?
Derad: Durch Bürokratie und durch Machtanspruch.
Rees: Wie soll ein Trainer, der für eine Gruppe verantwortlich ist, kreativ und innovativ werden, wenn er permanent den Druck von übergeordneten Positionen empfindet. Wir sind im Moment dermaßen zentralistisch und hierarchisch organisiert, dass wir das, was uns über Jahrzehnte stark gemacht wie Kreativität, Wandlungsfähigkeit und Innovation, kaputtmachen. Dies klappt regional noch, aber zentral können wir es nicht mehr.
Derad: Ich nehme als Beispiel Werner Späth. Der Leichtathletiktrainer aus Sindelfingen hat als nicht hauptberuflicher Trainer seit 1972 sieben Athletinnen zu Olympischen Spielen geführt. Er wollte meines Wissens nie hauptberuflicher Trainer sein, weil er die Freiheitsgrade liebt. Auch das gilt es einfach zu akzeptieren und zuzulassen. Man muss die vielen Weg akzeptieren, zulassen und gezielt unterstützen. Das geht, da muss man fair sein, nur mit der Möglichkeit eines flexiblen Mitteleinsatzes. Und mit Vertrauen. Heterogene Systeme zu steuern ist mit das Anspruchsvollste, was es gibt. Aber lass uns, im Sinne des Erfolges, damit anfangen.
Wir reden über das Stützpunktsystem mit Bundesstützpunkten, Landesstützpunkten. Welche Rolle spielen die Olympia-Stützpunkte in der Leichtathletik?
Lamsfuß: Das unterscheidet sich von Stützpunkt zu Stützpunkt, von Region zu Region. Sie sollen dort unterstützen, wo das Sportfachliche endet. Es kommt immer darauf an, wie man vor Ort zusammenarbeitet. Es gibt Leute, die können alles alleine machen und niemanden brauchen. Es gibt Leute, die brauchen einen großen, gut funktionierenden Bundesstützpunkt, die brauchen einen Olympia-Stützpunkt, der die Bedarfe befriedigen kann. Es gibt Leute, die trainieren im Ausland, die brauchen den Olympia-Stützpunkt gar nicht. Es gibt Leute, die trainieren in Deutschland und brauchen den Olympia-Stützpunkt punktuell, andere wiederum brauchen den OSP täglich. Das ist aber auch gut so, dass es so ist. Unsere Aufgabe ist es, dass wir einfach eine Infrastruktur in hoher Qualität zur Verfügung stellen. Dann sollen die Leute, die denken, dass dies ihnen einen Mehrwert und sie persönlich weiterbringt, nutzen.
Derad: Ich bin der Meinung, dass den Olympia-Stützpunkten zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Da hat sich meine Sichtweise in den letzten zehn Jahren verändert. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie aufgrund der faktischen Kraft mit ihren Serviceangeboten die Möglichkeit haben ein Umfeld zu schaffen, das seinesgleichen sucht. Das bedeutet Nähe – Nähe zu den Sportlern, Nähe zu den Sportarten, Nähe zu den Sportstätten, Nähe insgesamt mit gegenseitigem Vertrauen. Und es bedeutet auch die Akzeptanz. Verbands- und vereinsübergreifend werden dort alle Schnittstelleninfos gebündelt. Dann kann ein Olympia-Stützpunkt sportartübergreifend viel bewegen.
Lamsfuß: Der Olympia-Stützpunkt ist eine Organisation, die zuarbeitet. Ein Leichtathlet muss immer leichtathletisches Training machen. Wenn er besser werden will, kommt irgendwann der Punkt, wo er sich zum Beispiel im Bereich Athletik oder Diagnostik durch Unterstützung punktuell weiterentwickeln kann.
Derad: Letztendlich können die Olympia-Stützpunkte den Sportarten unheimlich viel Ballast abnehmen. Etwa in der Organisation und im koordinativen und verwaltungstechnischen Bereich. Sodass sich die Trainer darauf konzentrieren können, was sie tun müssen. Dann können die Olympia-Stützpunkte mit ihrer Strahlkraft in die Region und in die Vereine inspirierend wirken. Nicht nur für Landeskaderathleten, sondern auch für Vereine. Er kann diese beraten. Auch für Schulen und Schulsportwettbewerbe. Wir praktizieren dies hinter den Kulissen mit zusätzlichen Landesmitteln mehr und mehr. Das gilt es zu intensivieren, dass das Geld da hinkommt, wo es gebraucht wird, nämlich bei den kleinen Einheiten. Die setzen sich aus Athleten oder Athletin sowie Trainer und Trainerin zusammen.
Rees: Eine Trennung des gesamten Systems macht auch keinen Sinn. Einen Campus, wie wir ihn in Stuttgart haben, hat das weiterentwickelt. Das war für mich zum Beispiel im Kraft-Kompetenz-Center auch ein Lernprozess. Am Anfang war ich entsetzt, dass da mehrere Sportarten nebeneinander trainieren. Man hat ja so einen sportartbewahrenden Impuls. Da hatte Tim viel Geduld. Mittlerweile herrscht dort eine tolle Atmosphäre. An einem Standort muss alles ineinanderlaufen. Vorbilder müssen mit dem Nachwuchs zusammenkommen, damit sie sehen, wie so eine Übung ausschaut. Oder was tut der alles für den Erfolg? Das bietet das Umfeld mit OSP und Bundesstützpunkten.
Derad: Es geht um gegenseitige Akzeptanz, die man sich tagtäglich erarbeiten muss. Es ist ein tagtäglicher gegenseitiger Austausch, der befruchtend ist. Ab und zu sind ja auch mal ausländische Athleten aus Jamaika oder der Schweiz da. Die sind von der Atmosphäre und den Möglichkeiten begeistert. Ich kann auch nicht mehr hören, wenn vom olympischen und paralympischen Trainingszentren gesprochen wird. Wir haben ein Trainingszentrum. Wenn wir wirklich Inklusion wollen, dann sehen und erleben wir dies in der Halle tagtäglich. Da gibt es die gegenseitige Akzeptanz. Da wird nicht unterschieden.
Lamsfuß: Jetzt stelle man sich mal vor, wir hätten am Olympia-Stützpunkt sportartübergreifend freie, flexible Mittel zur Verfügung. Wie man das auch immer organisiert, könnten sich die Sportarten treffen und besprechen, wer welche Schwierigkeiten hat und wie man sich gegenseitig helfen kann. Dann bewegen wir uns in eine Richtung, in der wir auch eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens schaffen. Natürlich ist es richtig, wenn wir am Olympia-Stützpunkt eine Leistungsdiagnostik mit einem internationalen Topathleten machen – und dann sehen, was der drauf hat. Dieses Wissen bringt uns doch alle weiter.
Rees: Noch schöner wäre natürlich, wenn man jemanden hat, der hier groß geworden ist und über diese Leistungsfähigkeit verfügt. Das muss das Ziel sein. Auf dem Weg dahin hilft uns jeder Topathlet, der uns signalisiert, was man braucht um international konkurrenzfähig zu sein.
Derad: Es schadet auch nicht, dass neben Frisch Auf Göppingen auch mal Spieler des TVB Stuttgart oder Nachwuchsspieler des VfB Stuttgart trainieren. Ganz im Gegenteil.
Jeder kann vom anderen lernen
Derad: Und es schafft Respekt. Wenn ich an die Rhythmische Sportgymnastik oder auch Turnen denke, dann ist schon erstaunlich, welche Umfänge diese jungen Menschen absolvieren. Hut ab. Die Disziplin, die dazugehört. Ich nenne diese beiden Sportarten nur mal plakativ, da gibt es noch viele andere. Wir sollten uns davon lösen, nur von Bundes- oder Landesmitteln abhängig zu sein, sondern wir müssen unabhängiger werden. Dafür auch ein Dank an die Städte Stuttgart, Freiburg, Heidelberg und Mannheim und alle weiteren, die unseren Sport unterstützen. Ohne die wäre das alles so nicht möglich. Dies über vertikale Strukturen kaputtzumachen und zu gefährden, das ist für mich komplett unverständlich. Zumal Deutschland über einen starken wirtschaftlichen Föderalismus groß geworden ist. Das sollten wir uns wieder einmal ins Gedächtnis rufen.
So wie den Wettkampf unter den Athleten sollte es doch auch einen Konkurrenzkampf unter den Standorten geben.
Derad: Wir als Landessportverband Baden-Württemberg haben kein Problem damit, wenn es Konkurrenz zwischen Stuttgart und Rhein-Neckar oder Rhein-Neckar und Schwarzwald-Freiburg gibt. Es muss nur eine gemeinsame Konkurrenz sein. Sich gegenseitig hochschaukeln ist nichts Böses. Die gefährden sich ja nicht.
Lamsfuß: Eine gesunde Konkurrenz ist doch gut. Wenn es um Spitzensport geht, kann es nicht um eine Standardisierung und um Mindeststandards für die Olympia-Stützpunkte gehen und damit um Vergleichbarkeit. Wenn wir von Spitzenleistung sprechen, dann geht das nur, wenn jeder sagt: Ich will der Beste werden. Ich will das als OSP sein. Ich will das als Bundesstützpunkt sein. Der Athlet will der beste Athlet sein. Es geht doch nur so. Aber das ist ja fast verpönt.
Quelle: www.lsvbw.de