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November 2024

Sport-Informations-Dienst (SID)

Düsseldorf (SID) Deutschlands Handballer gehen 17 Jahre nach dem WM-Titel erneut im eigenen Land auf Medaillen-Jagd. Dem EM-Auftaktspiel gegen die Schweiz kommt herausragende Bedeutung zu.

Alfred Gislason strahlte. Heim-EM, Turnier-Start, Weltrekord-Kulisse – der Bundestrainer und seine Handballer hätten am liebsten sofort mit ihrer Medaillen-Jagd losgelegt. „Die Stimmung ist gut, die Vorfreude riesig“, sagte Gislason nach dem Abschlusstraining in der Fußball-Arena in Düsseldorf. Seine Augen leuchteten.

„Ich freue mich riesig, das zu erleben, wenn die Ränge morgen voll besetzt sind“, so Gislason am Dienstagnachmittag. Beim Blick auf die noch leeren Sitzplätze erahnte die DHB-Auswahl, was sie gegen die Schweiz erwartet. „Ich glaube, es wird überwältigend, wenn wir hier einlaufen und die Nationalhymne gespielt wird“, sagte Kapitän Johannes Golla. Die außergewöhnliche Atmosphäre, meinte Gislason, werde „die Mannschaft beflügeln und nach vorn pushen“.

Nicht bloß emotional hat die knifflige Aufgabe am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF und Dyn) gegen die Schweiz herausragenden Charakter. Gislason und sein Team wollen mit einem Auftaktsieg vor 53.000 Fans in Düsseldorf und Millionen vor den Fernsehern die „Welle“ erwischen und eine Handball-Euphorie im Land auslösen. Ähnlich wie 2007, als das goldene Wintermärchen gelang. „Zu Hause ist vieles möglich. Wenn so eine Stimmung und Euphorie aufkommt wie damals, können wir wirklich träumen“, sagte Gislason im ZDF: „Aber der Weg ist ziemlich steinig.“

Vor der ersten Europameisterschaft auf deutschem Boden werden nicht nur beim DHB-Coach Hoffnungen auf einen erneuten Höhenflug geweckt. „Ich bin der Meinung, dass du groß träumen musst. Du kannst nicht nach den Sternen greifen, wenn du denkst, der Himmel ist die Grenze“, sagte Torhüter Andreas Wolff in der ARD und fand damit die perfekten Worte für die Sehnsucht einer ganzen Sportart. 17 Jahre nach dem legendären Gold-Triumph von Köln ist es an der Zeit für eine neue Handball-Sternstunde vor heimischem Publikum.

„Mein Ziel ist es ganz klar, dass wir eine fantastische Heim-EM spielen, die optimalerweise im EM-Titel gipfelt“, sagte Wolff, einer von vier verbliebenen 2016-Europameistern im deutsche Team. Und selbst beim bislang so beherrschten Verband war es am Tag vor dem EM-Auftakt mit der Zurückhaltung vorbei. „Das Ziel Halbfinale steht fest, da brauchen wir nicht drumherum reden“, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann dem SID: „Das muss unser Anspruch sein. Bei einer Heim-EM erst recht. Unsere Mannschaft macht einen guten Eindruck, ich freue mich auf ein tolles Handball-Fest.“

Damit die Euphorie nicht schnell Ernüchterung weicht, gilt Gislasons volle Konzentration dem wegweisenden Duell mit der Schweiz. Das Team um die 40 Jahre alte Bundesliga-Ikone Andy Schmid, das mit etlichen Deutschland-Legionären wie Magdeburgs Torhüter Nikola Portner gespickt ist, soll bloß nicht zum Partycrasher werden. „Wir gehen in jedes Spiel bei diesem Heimturnier, um es zu gewinnen“, sagte Gislason selbstbewusst, die Schweiz sei allerdings der „schwerstmögliche Gegner“ zum Auftakt. Auch Wolff warnte: „Die Schweiz ist alles andere als ein Selbstläufer.“

Heiner Brand, Alt-Bundestrainer und Baumeister des Wintermärchens 2007, traut dem DHB-Team den Sprung aufs Treppchen zu. „Das Halbfinale sollte sicherlich drin sein“, sagte er bei handball-world: „Eine Medaille wäre noch besser und würde uns sehr gut tun. Gerade, weil unsere sogenannten Konkurrenzsportarten wie Basketball oder Eishockey zuletzt gut abgeschnitten haben.“

Nationalspieler Timo Kastening sieht die deutschen Basketball-Weltmeister als gutes Vorbild für das mit fünf Turnierdebütanten gespickte DHB-Team. „Das war absolut genial. Dieser Teamzusammenhalt, diese Lockerheit, diese Geilheit auf Erfolg wollen wir adaptieren“, sagte der Rechtsaußen: „Ich glaube, uns stehen alle Türen offen.“

Chancen, Modus, Favoriten: Fragen und Antworten zur Handball-EM

Handball-Deutschland fiebert der ersten EM auf deutschem Boden entgegen. Wie sind die deutschen Chancen? Wer ist Favorit? Und wo können die Spiele verfolgt werden? Der SID hat Wissenswertes zu dem bevorstehenden Turnier zusammengestellt.

Was steht an?

Die 16. Auflage der Handball-Europameisterschaft bietet ein Novum: Sie findet erstmals in Deutschland statt. Spielorte sind Mannheim, München, Berlin (jeweils nur Vorrunde), Hamburg (Hauptrunde) und Köln (Haupt- und Finalrunde). Der Eröffnungsspieltag am nächsten Mittwoch steigt im Düsseldorfer Fußballstadion, wo beim deutschen Auftaktspiel gegen die Schweiz am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF und Dyn) mit mehr als 50.000 Zuschauern ein Weltrekord für ein Handballspiel aufgestellt wird. Das deutsche Team trägt seine weiteren EM-Spiele in Berlin und Köln aus. Insgesamt werden rund eine Million Fans in den Arenen erwartet – so viele wie noch nie bei einer EM.

Wie ist die Stimmung im DHB-Team?

Voller Vorfreude – aber auch etwas gedämpft. Die Verletzung von Patrick Groetzki bei der geglückten EM-Generalprobe war zweifellos ein Rückschlag. Der Rechtsaußen, bei dem eine alte Fußverletzung wieder aufbrach, fehlt der DHB-Auswahl nicht nur auf, sondern vor allem neben dem Feld mit seiner gewaltigen Erfahrung von 172 Länderspielen. Sportlich machte Gislasons Team in den Portugal-Tests aber einen guten Eindruck. Offensiv läuft der DHB-Motor bereits auf Hochtouren, in der Abwehr gab es dagegen noch Abstimmungsschwierigkeiten – gleichwohl vom ersten Test (31:30) zum zweiten (35:31) ein Aufwärtstrend zu erkennen war. Zudem ist die Konstanz über 60 Minuten ein Problem, an dem die Mannschaft schon lange arbeitet.

Wie stehen die deutschen Chancen?

Auf eine offizielle Zielsetzung verzichtet der Verband bewusst. Bundestrainer Gislason und seine mit fünf Turnier-Debütanten gespickte Mannschaft dürften aber auf eine Halbfinal-Teilnahme schielen – und geträumt werden darf ohnehin. Torhüter Andreas Wolff sagte am Freitag: „Das Ziel ist natürlich ganz klar, Europameister zu werden.“ Als größter Trumpf gelten dabei die Zuschauer. Getragen von der beeindruckenden Atmosphäre des Heim-Publikums wie etwa beim Wintermärchen 2007 soll es bei einer EM erstmals seit dem Titelgewinn 2016 wieder unter die besten vier gehen. Ein dritter EM-Triumph nach 2004 und 2016 wäre eine kleine Sensation.

Wer sind die deutschen Schlüsselspieler? 

Wolff im Tor ist nicht nur erfahren und weiß, wie man Titel gewinnt. Der 2016er-Europameister ist seit Jahren der unumstrittene Rückhalt der deutschen Mannschaft. Gerade rechtzeitig meldete er sich für das Turnier nach einem überstandenen Bandscheibenvorfall fit. In der Defensive hängt außerdem viel vom Innenblock aus Kapitän Johannes Golla und Julian Köster ab, beide wiesen am eigenen Kreis bereits ihre Weltklasse nach. In der Offensive ist Juri Knorr der Dreh- und Angelpunkt. Bei der Vorjahres-WM wurde der heute 23-Jährige dank seiner Zuckerpässe und Zaubertore zum besten Nachwuchsspieler gewählt.

Wie ist der Modus?

Die Vorrunde wird in sechs Vierergruppen ausgetragen. Die ersten beiden Mannschaften jeder Gruppe ziehen in die Hauptrunde ein, in der es dann zwei Sechsergruppen gibt. Die beiden bestplatzierten Teams der beiden Hauptrundengruppen erreichen das Halbfinale, die Drittplatzierten spielen den fünften Platz aus. Alle Finalspiele werden in Köln ausgetragen, um die Medaillen geht es am 28. Januar.

Wer sind die Favoriten?

Über allen steht Weltmeister Dänemark, der seine Vorrundenspiele in München austrägt und ohne Probleme wohl auch mit seinem zweiten Anzug ganz vorne mitmischen würde. Dahinter folgt Olympiasieger und Rekord-Weltmeister Frankreich. Das Team um den alternden Star Nikola Karabatic, der vor seiner letzten EM steht, ist neben der Schweiz und Nordmazedonien dritter deutscher Vorrundengegner und spielt wie Deutschland zunächst in Düsseldorf und Berlin. Auch Titelverteidiger Schweden, der EM-Zweite Spanien (beide Vorrunde in Mannheim) sowie Norwegen (Berlin) und die talentierten Isländer (München) gehören zu den Kandidaten für das Halbfinale.

Wo werden die EM-Spiele übertragen?

Ganz im Gegensatz zur Frauen-EM im Dezember dürfen sich Handball-Fans in Deutschland auf ein umfangreiches Bewegtbild-Angebot freuen. ARD und ZDF übertragen alle deutschen EM-Auftritte live im linearen Fernsehen, außerdem gibt es mehrere Partien ohne deutsche Beteiligung im kostenlosen Livestream der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet zu sehen. Und wer damit nicht genug hat, kann sämtliche 65 EM-Partien live und auf Abruf im Netz bei Dyn verfolgen. Der Streamingdienst ist seit Sommer auch Medienpartner der Handball-Bundesliga und zeigt mindestens 31 EM-Spiele exklusiv. Ein Jahresabo kostet monatlich 12,50 Euro, ein Monatsabo 14,50 Euro.

Was noch zu sagen wäre…

„Das Ziel ist natürlich ganz klar, Europameister zu werden. Wer antritt und nicht Europameister werden möchte, hat seinen Beruf verfehlt.“ (Nationaltorhüter Andreas Wolff zur deutschen Zielsetzung)