Köln (SID) Hockey-Weltmeister Timur Oruz beendet seine Nationalmannschaftslaufbahn – nur fünf Monate vor dem Karriere-Highlight Olympia in Paris. Warum tut er das?
Sieben Sekunden stehen noch auf der Uhr in diesem Olympischen Viertelfinale von Rio. Timur Oruz schnappt sich an der Mittellinie den Ball. Der Modellathlet spurtet los, er schlägt die perfekte Flanke und Mitspieler Florian Fuchs drückt den Ball über die Linie. 3:2. 1,7 Sekunden vor dem Ende. Das deutsche Hockey-Team, fünf Minuten zuvor noch mit 0:2 zurück, steht plötzlich doch im Halbfinale – und bejubelt eines der ganz großen Comebacks in der Olympia-Geschichte.
„Das war emotional das krasseste Spiel meiner Karriere. Es war historisch“, sagt Oruz, der sich mit dem DHB-Team Tage später die Bronzemedaille sichert, heute über diesen magischen Moment. Es wird sein größter Olympiamoment bleiben. Denn Oruz verzichtet bei den Spielen in Paris auf seine Chance auf den ganz großen Wurf.
Keine Formschwäche, keine Verletzung, auch nicht die Diabetes-Erkrankung, von der sich Oruz seit seiner Kindheit nicht bremsen lässt – nein, die berufliche Zukunft ist der Grund für das Ende seiner Nationalmannschaftskarriere. Oruz will sich auf sein Startup-Projekt konzentrieren. Eine der „schwersten Entscheidungen“ seines Lebens, wie der Krefelder dem SID sagt: „Auch weil die Spiele in Paris das Potenzial haben, die genialsten Spiele überhaupt zu werden.“
Olympia ist in der Randsportart Hockey das mit Abstand wichtigste Event. Dass ein Nationalspieler, ein Stammspieler obendrein, so kurz vor den Spielen seine Karriere beendet, ist ungewöhnlich. Zumal Deutschland, auch dank des 29 Jahre alten Mittelfeldmotors inzwischen amtierender Weltmeister, mit guten Goldchancen nach Frankreich reist.
„Der Zeitpunkt ist natürlich sehr ungewöhnlich“, weiß auch Oruz – und legt den Finger in die Wunde: „Auf der anderen Seite zeigt das vielleicht auch, dass es einfach nicht attraktiv genug ist, eine Randsportart wie Hockey zu betreiben.“
Die im Spitzenhockey übliche Kombination aus professionellen Trainingsumfängen und weitgehend amateurhafter Bezahlung, sie lässt sich in der Tat nur schwer mit dem Berufsleben in Einklang bringen. Nicht wenige Topspieler beenden im besten Alter ihre internationale Karriere.
Oruz, der in der Bundesliga noch weiterspielen will, hat deswegen zuvor lange studiert. Medizin. Doch weil auch das nicht so richtig funktionierte, die Uni sich quer stellte, folgte vergangenes Jahr der Perspektivwechsel. Die Gelegenheit, die sich nun bietet, und über die Oruz (noch) nicht genauer sprechen darf, sei „einmalig – auch wenn sie durch die Sportlerbrille vermeintlich ein halbes Jahr zu früh kommt“.
Das sieht der Bundestrainer ähnlich: „Wir verlieren einen Antreiber, der alles aus seinem Körper und seiner Karriere herausgeholt hat“, sagt Andre Henning über den physisch enorm starken Oruz, der mit Rot-Weiss Köln unter anderem vier Deutsche Meistertitel feierte. Und nun – nach 115 Länderspielen – ganz plötzlich Schluss macht.