Paris (SID) Der Wunschtraum Wembley wird wahr: Borussia Dortmund besteht die Prüfung in Paris und zieht ins Champions-League-Finale ein.
Mats Hummels sprintete in die Kurve, zu den Fans, die das Pfosten-Glück kaum fassen konnten. Der Wunschtraum aller Dortmunder Borussen war wahr geworden: Wembley! Das Finale der Champions League! Mit Leidenschaft, Teamgeist und jeder Menge Dusel hatte der BVB im Hexenkessel von Paris ein 1:0 (0:0) erkämpft. Hummels köpfte den deutschen Vizemeister ins Glück, schon das Hinspiel hatten die Dortmunder 1:0 gegen Paris St. Germain gewonnen. Jetzt hoffen sie auf die Final-Revanche gegen Bayern München.
„Unbeschreiblich. Keiner hat mit uns gerechnet. Wir haben sehr viel leiden müssen. Jetzt das Finale. Morgen fragt keiner, wie. Da steht nur der Name Borussia Dortmund“, sagte Marco Reus und forderte: „Jetzt müssen wir den Titel holen. Sonst wär es scheiße.“ Matchwinner Hummels blickte bereits voraus: „In Wembley wird es auch ein Kampf mit der Atmosphäre, aber wir glauben alle dran.“
Am 1. Juni greift die Borussia somit in der Londoner Kathedrale des Fußballsports gegen den FC Bayern oder Real Madrid zum dritten Mal nach dem Henkelpott. 1997 lupfte sie der heutige Sport-Geschäftsführer Lars Ricken gegen Juventus Turin ins Glück, 2013 verloren Hummels und Marco Reus gegen die Bayern in Wembley auf traumatische Weise. Der deutsche Rekordmeister geht am Mittwoch (21.00 Uhr/DAZN) mit einem 2:2 ins Rückspiel in Madrid.
Die BVB-Mannschaft erhebt sich auf wundersame Weise immer dann zur Bestleistung, wenn sie im Europapokal besonders gefordert wird – das steht wiederum in krassem Kontrast zu den erratischen Bundesliga-Leistungen. Dort haben sich die Dortmunder mit Ach und Krach erneut für die Königsklasse qualifiziert, in der Champions League erlöste sie Hummels mit seinem Kopfballtor (50.). Warren Zaire-Emery hatte für Paris drei Minuten zuvor den Pfosten getroffen, das tat später auch Nuno Mendes (61.).
Die PSG-Ultras drohten dem BVB ein Inferno an. „Unser legendäres Stadion wird ein Vulkan sein, der unsere Spieler entflammt und unsere Gegner in Angst und Schrecken versetzt“, hatte das „Collectif Ultras Paris“ in seinem Aufruf geschrieben. Ganz so schlimm wurde es nicht – doch die Stimmung war auch dank einer Choreographie über drei Tribünen grandios. Die 2000 Dortmund-Fans waren zum Großteil am Spieltag angereist, sie sangen sich im Schatten des Eiffelturms warm.
BVB-Trainer Edin Terzic drehte das Rad zurück. Er rotierte alle zehn Feldspieler in die Mannschaft, die er in der Bundesliga gegen den FC Augsburg geschont hatte. „Man muss solche Spiele genießen“, trug Hummels den Kollegen auf: „Und seine Chance ergreifen.“ Sportdirektor Sebastian Kehl sagte, er sehe „das Feuer in den Augen„.
Eine der von Hummels identifizierten „Hauptaufgaben“ war es, im Verbund Kylian Mbappé zu stoppen. Der Superstürmer trug die gesamte Last des Hunderte Millionen Euro schweren Pariser Katar-Projektes, das sich stets vergeblich nach dem größten aller Pokale streckt. Mbappe, der wohl zu Real Madrid wechseln wird, kam über die linke Seite – weil im Gegensatz zur Vorwoche Goncalo Ramos als echter Neuner spielte.
Ein erster Mbappe-Abschluss blieb harmlos (7.). PSG machte Druck, entfachte aber nicht den vom BVB befürchteten Ansturm, sondern dosierte das Risiko. Es wurde allerdings deutlich: Viele Ballverluste im Mittelfeld würde sich Dortmund nicht leisten dürfen.
Der BVB wählte aber einen ganz anderen Ansatz als seine Angsthasen-Taktik aus dem Gruppenspiel im Prinzenpark (0:2) – er spielte selbst engagiert nach vorne. Zudem kam Mbappe selten in potenziell gefährliche Positionen, auch deshalb hatte sein Bewacher Julian Ryerson Muße, mit nach vorne zu gehen. Sein Schuss ans Außennetz (19.) war die bis dahin beste Gelegenheit.
Der BVB war in Sachen Leidenschaft und Kampf besser, PSG musste also versuchen, seine Klasse auszuspielen, was nicht gelang. Es blieb die Hoffnung auf „Heldenfußball“ über Mbappé, der von Hummels wunderbar abgegrätscht wurde (35.), oder Ousmane Dembele. Zunächst aber hatte Torhüter Gianluigi Donnarumma nach dem folgenden Dortmunder Konter gegen Karim Adeyemi zu parieren.
PSG wollte nach der Pause stürmen, ließ aber bei einem Eckball ausgerechnet den besten Dortmunder Kopfballspieler frei stehen: Hummels. Der Routinier war 2013 in Wembley Sekundenbruchteile vor dem Bayern-Siegtor durch Arjen Robben am Ball vorbeigegrätscht.
Auch Marco Reus, der am Dienstag zur 55. Minute ins Spiel kam, stand vor elf Jahren in seiner ersten BVB-Saison auf dem Platz. Kehl war noch Spieler, Ricken Teil des legendären Rahmenprogramms. Sie alle bekommen ihre zweite Chance.