Nach den Olympischen Spielen ist vor den Paralympics. Vom 28. August bis 8. September kämpfen Menschen mit Handicap in Paris um Medaillen. Aus Baden-Württemberg ist unter anderen Merle Menje am Start. „SPORT in BW“ stellt die Leichtathletin vor.
So gesehen ist Merle Menje schon ein alter Hase. Wenn die Rollstuhlfahrerin Ende August bei den Paralympischen Spielen in Paris an den Start gehen wird, ist sie gerade einmal 20 Jahre alt. Und doch ist das schon ihre zweite Teilnahme. Trotzdem sagt sie: „Im Vergleich zu den anderen bin ich noch relativ jung und verfüge noch nicht über so unfassbar viel Erfahrung.“
Um in diesem Bereich aufzuholen, war sie im Mai nach Kobe (Japan) zu den Para-Leichtathletik-Weltmeisterschaften geflogen. Zurück kam die junge Athletin, die für den Stadt-Turnverein (StTV) Singen startet, mit viel Rückenwind. Denn bei allen drei Starts hat sie eine Medaille gewonnen – Gold über 800 Meter, Silber über 5000 Meter und Bronze über 1500 Meter. Doch nicht nur deswegen sagt Menje: „Die WM war ein wichtiger Schritt Richtung Paralympics.“ Nicht erst seit ihren beeindruckenden WM-Auftritten hat Menje vom internationalen Para-Verband den Titel „german wunderkind“ erhalten. „Grundsätzlich ehrt mich dies schon sehr und ist etwas Besonderes“, wehrt sie ab, „aber ich würde mich nie als Wunderkind bezeichnen, denn es hat ja nichts mit einem Wunder zu tun, sondern da steckt ganz ganz viel Arbeit, jahrelanges Training und Disziplin dahinter.“
Merle Menje kam mit einer Spina bifiba zur Welt. „Das bedeutet, dass ich mit einem offenen Rücken zur Welt kam und die Nerven sozusagen, die fürs Laufen zuständig sind, entweder durchtrennt, kaputt oder gar nicht vorhanden sind“, erklärt sie, „daher kommt die inkomplette Querschnittlähmung.“ Bis zu ihrem siebten Lebensjahr konnte sie noch einige Schritte gehen, seitdem nutzt sie ständig den Rollstuhl. „Ich habe mehr Freiheit“, sagt sie und sorgt damit für ein
wenig Verwunderung. Umgehend erklärt sie: „Auf diese Art konnte ich mit meinen gleichaltrigen Freundinnen und Freunden mithalten.“
Für ihren Sport, bei dem sie in der Klasse T54 startet, kniet sie in ihrem Rennrollstuhl. „Am Anfang hat mir in der gebückten Haltung im Rollstuhl schon der Rücken weh getan, weil meine Muskulatur noch nicht so gestärkt war. Mittlerweile finde ich es nicht mehr unbequem.“ Sie muss dies auch, denn ihr Spektrum reicht von 800 Meter bis Marathon. „Bei uns Rollstuhlsportlern ist das eher üblich als bei Läufern, denn von der Belastung können wir das eher bewältigen als
Läufer“, erklärt sie, „zumal die klassischen Marathons für uns wichtig sind, denn da sind wir am ehesten gleichberechtigt und bekommen am meisten Prämien.“ Und ergänzt: „Eigentlich ist das traurig, aber eben Realität.“ Außerdem startet sie auch im Winter im Langlauf-Sprint.
“Merle ist sehr ehrgeizig“, erzählt Winfried Skowronek, der sie einige Zeit in der Leichtathletikgruppe beim StTV Singen betreut hat, „das hat man schon gemerkt, als sie mit sieben Jahren bei uns im Verein angefangen hat. Ich hatte den Eindruck, dass sie einen Masterplan im Kopf hat. Sie wusste ganz genau, was
sie wollte.“ Bundestrainerin Marion Peters attestiert Menje „sehr großes Talent gepaart mit Fleiß und Ehrgeiz“. Deshalb folgte auch der Wechsel zu Paul Odermatt. Der Schweizer schrieb ihr die Trainingspläne, die sie meist allein umgesetzt hat. „Anders war das mit der Schule nicht vereinbar“, berichtet Menje. Seit bestandenem Abitur vor einem Jahr trainiert sie regelmäßig in Odermatts Gruppe.
Und was bringt die Zukunft? „Bis Paris, so mein Plan, wollte ich nur Sport machen und das ein oder andere Praktikum, um eine Ahnung für die Richtung zu bekommen, was ich genau machen möchte.“ Ein wenig ist sie von diesem Plan abgewichen, hat bereits ein Französisch-Teilzeit-Fernstudium begonnen. „Da ich grundsätzlich gerne mit Kindern arbeite, habe ich den Wunsch, Pädagogik zu studieren“, sagt sie. Berufswunsch: Grundschullehrerin. Nach den Paralympics wird sie nach Freiburg umziehen, um am Olympiastützpunkt Freiburg-Schwarzwald einen Bundesfreiwilligendienst zu absolvieren. Zunächst aber stehen erst noch die Paralympics in Paris an. „Paralympische Spiele sind noch einmal ein ganz anderes Event als Weltmeisterschaften, das ist das Größte, etwas Einmaliges“, erklärt sie, „da läuft alles noch einmal ganz anders ab. Es fängt damit an, dass man zusammen in einem Dorf lebt.“ Und sportlich? „Natürlich gibt es dieses Jahr mehr Erwartungshaltung wie vor Tokio, weil ich in den vergangenen Jahren konstant meine Leistungen gebracht habe.“ Vor drei Jahren war Merle Menje zweimal Vierte geworden. In ihre Rennen geht sie mit dem Wissen, dass sie gut trainiert und alles gemacht hat, was sie im Vorfeld machen konnte. Dazu kommen noch die positiven Erfahrungen von den Weltmeisterschaften in Kobe. Deshalb lautet ihr Fazit: „Dann wird das schon gut.“
Quelle: www.lsvbw.de