Köln/Budapest (SID) Sebastian Coe will Nachfolger von Thomas Bach werden und rührt schon mal kräftig die Werbetrommel – obwohl das IOC sich Diskretion wünscht.
Im gesetzten Alter von 68 Jahren gibt der frühere Mittelstreckler Sebastian Coe nochmal Vollgas. Erst stellte der Brite in Budapest ein millionenschweres Leichtathletik-Event vor, dann flog er weiter nach Indien – zu „informellen Gesprächen“ mit keinen geringeren als Premierminister Narendra Modi und Sportminister Mansukh Mandaviya.
Offiziell natürlich in seiner Rolle als Präsident von World Athletics, doch Coe will bekanntlich noch höher hinaus: an die Spitze des IOC. Und wie in seinen besten Zeiten als Läufer schlägt der Olympiasieger von 1980 und 1984 dabei ein höllisches Tempo an.
Coe macht Wahlkampf, das ist ziemlich offenkundig, obwohl sich das Internationale Olympische Komitee allzu lautes Trommeln von den Nachfolgekandidaten für Thomas Bach verbittet. Coe aber, der Grenzgänger unter den Spitzenfunktionären, operiert am Rande des Erlaubten, solange er keine Wahlvideos veröffentlicht, keine öffentlichen Versammlungen organisiert und nicht an öffentlichen Debatten teilnimmt. Das Hinterzimmer macht es möglich.
Themen setzt der Lord, einst ein Verbündeter Bachs und mittlerweile dessen Widerpart, dennoch. Etwa in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP am vergangenen Wochenende, in dem er einen Komplex anschnitt, bei dem das IOC zuletzt keine gute Figur abgab: In der Genderdebatte um die algerische Boxerin Imane Khelif wolle er, wenn er denn im kommenden März in Griechenland zum zehnten IOC-Präsident gewählt wird, mit „klaren Richtlinien“ den Frauensport „schützen“. Seiner Meinung nach sollte das IOC „die Vordenkerrolle und die Führung“ übernehmen, betonte er – und gab damit zu verstehen, dass dies seiner Auffassung nach derzeit nicht der Fall sei.
Überhaupt schoss Coe immer wieder Pfeile in Richtung des zwei Jahre älteren Bach. So brauche es etwa eine Exekutive, „die auf die Mitglieder eingeht, und ein Präsidentenbüro, das mit allen Interessenvertretern verbunden ist„, sagte er. Derzeit macht Bachs Exekutive die Regeln, die Mitglieder nicken die großen Entscheidungen – meist ohne nennenswerte Kritik oder Gegenstimmen – ab.
Dass Coe Kontakte knüpft in Indien, einem mächtigen Emporkömmling auf der Sportbühne mit dem klaren Ziel, die Olympischen Spiele 2036 auszurichten, darf als weiterer Beleg seiner Machtambitionen verstanden werden.
Der Brite allerdings ist schon als WA-Präsident in der IOC-Familie mehrfach angeeckt, unter anderem in der Russland-Frage, beim Thema Preisgelder oder mit dem Umsetzen der Testosteron-Regel. Die anderen sechs Bewerber bieten weniger Reibung.
Neben Coe treten aus den Weltverbänden der Franzose David Lappartient (51/Radsport), der Japaner Morinari Watanabe (65/Turnen) und der Schwede Johan Eliasch (62/Ski) an. Beworben haben sich zudem Prinz Faisal al-Hussein (61) aus dem jordanischen Königshaus, der spanische IOC-Vizepräsident Juan Antonio Samaranch (65) und die von Bach protegierte Kirsty Coventry (41) aus Simbabwe als einzige Frau.
Ihr großer Wahlkampftag kommt am 30. Januar, wenn sich die Bewerber in Lausanne in einer – natürlich – nicht-öffentlichen Sitzung vorstellen. Coe, der als IOC-Präsident unter anderem auf eine Ausweitung des Alterslimits in seinem Fall angewiesen wäre, müsste da eigentlich nicht mehr erscheinen. Sein Programm ist bekannt.