Wie denken junge Menschen? Warum engagieren sie sich im Sportverein? Mit Dr. Christoph Schleer, Director Research & Consulting bei der SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH, Mitautor der Sinus-Jugendstudie 2024, und Carolin Giffhorn, ehrenamtliches Vorstandsmitglied bei der Deutschen Sportjugend mit dem Schwerpunkt „Junges Engagement“, sprach Dominik Bardow
Frau Giffhorn, Herr Schleer, um provokant anzufangen: Gibt es noch junges Engagement? Es gibt ja Debatten um Leistungskultur und Verantwortungsbewusstsein der jungen Generation.
Schleer: Natürlich gibt es nach wie vor Jugendliche, die sich gerne engagieren. Denken Sie nur einmal an die Fridays-For-Future-Bewegung. Aber auch im Bereich Sport gibt es viele Jugendliche, die sich einbringen wollen. Frau Giffhorn wird das bestätigen können.
Giffhorn: Wir als Deutsche Sportjugend sehen, dass sich junge Engagierte einbringen wollen, auf vielfältige Weise. Als Trainerinnen und Trainer, für Social Media, bei Veranstaltungen mithelfen oder Vorstandsämter übernehmen, auch auf Landes- oder Bundesebene. Es ist traurig, wenn die Generation Z so dargestellt wird, als ob wir keine Leistung bringen, uns nicht engagieren wollten.
Was meint man denn mit jungem Engagement? Bis wann ist man noch jung? Sind Sie jung?
Giffhorn: Ich bin Jahrgang 1997 und gehöre also – Herr Schleer, Sie können mich korrigieren – zur Randgruppe der Gen Z. Die Sportjugend definiert junge Menschen nach dem Sozialgesetzbuch, wo Menschen bis 26 als jung gelten. Natürlich setzen sich auch Ältere für Kinder- und Jugendsport ein. Mit 27 gehöre ich sozusagen auch nicht mehr dazu und engagiere mich trotzdem weiterhin.
Wie ist das bei Ihnen, Herr Schleer, welche Generationen fühlen Sie sich zugehörig?
Schleer: Frau Giffhorn hat sich auf jeden Fall richtig eingeordnet. Ich bin Jahrgang 1981 und gehöre damit der Generation Y an. Immerhin darf ich mich in der Forschung mit der jungen Generation beschäftigen. Das hält jung.
Wo Sie Ihre Forschung ansprechen: Ihre SINUS-Studie untersucht ja die heutige Jugend mittels qualitativer Interviews und wertet sie aus. Einige Erkenntnisse für 2024 waren schon in den Medien zu lesen. Was ist denn speziell in Bezug auf Sport und Engagement herausgekommen? Warum engagieren sich junge Leute im Sport, warum tun sie es nicht?
Schleer: Gemeinschaft zu erleben und soziale Teilhabe zu finden, sind für viele Jugendliche die wichtigsten Gründe für ein Engagement. Sich zu engagieren bedeutet immer auch, Freundschaften zu schließen, sozialen Anschluss zu finden und sich zugehörig zu fühlen. Im Vereinsleben geht es nicht ausschließlich um den Sport selbst, Vieles findet auch abseits des Sports statt: Ausflüge, Weihnachtsfeier, Zeltlager. Ein weiterer Grund, sich zu engagieren, ist das Bedürfnis, etwas mitzugestalten, Gehör zu finden, etwas bewegen zu können. Häufig besteht auch der Wunsch voranzugehen, Verantwortung zu übernehmen und eigene Ideen einzubringen. All das motiviert und erhöht das Selbstwertgefühl. Schließlich bedeutet ein Engagement auch Abwechslung vom Alltag. Sich zu engagieren, verleiht dem Alltag Struktur, abseits von Schule oder Studium.
Kann Frau Giffhorn das bestätigen? Was hören Sie aus der Praxis von den U-27-Jährigen?
Giffhorn: Ich stimme Herrn Schleer zu, darin finde ich mich selbst auch wieder. Bei mir persönlich war ein weiterer Aspekt, dass ich dem Verein etwas zurückgeben wollte. Wenn ich junge Engagierte frage, warum engagiert ihr euch, kommt meistens eine Antwort: Ich wurde persönlich angesprochen, das hat sich interessant angehört und dann war ich dabei. Dazu braucht es aber Strukturen, die Engagement unterstützen. Und hier unterstützen wir als Deutsche Sportjugend unsere Mitgliedsorganisationen.
Wie tun Sie das?
Giffhorn: Wir haben gemeinsam mit den Mitgliedsorganisationen Ideen und Konzepte zur Engagementförderung entwickelt. Wichtig sind hier zugangsoffene, niedrigschwellige Einstiege, wo es nicht darum geht, regelmäßig ein Training zu leiten, sondern sich projektbezogen zu engagieren. Die Deutsche Sportjugend hat hier beispielsweise das Format der „Juniorteams“ entwickelt, und das sogenannte „Frankfurter Modell“, mit denen Engagement im Verein und Verband besser strukturiert werden kann.
Wieder ein Vorurteil: Der Jugend wird vorgeworfen, sie hätten keine Lust auf Verantwortung, auf Strukturen. Oder merken Sie nur, dass Strukturen oft verhindern, dass man selbst Verantwortung erhält?
Schleer: Natürlich gibt es auch Jugendliche, die Desinteresse äußern und Zweifel daran haben, dass man in Vereinen wirklich etwas mitgestalten kann. Aber häufig schwingt dabei noch etwas anderes mit: ein geringes Selbstzutrauen aufgrund fehlender Erfahrungswerte. Viele haben Berührungsängste, fragen sich: Was kommt da auf mich zu? Bin ich den Aufgaben gewachsen? Das ist mit ein Grund, warum wir niedrigschwellige Angebote brauchen. Angebote, die es Jugendlichen ermöglichen, in verantwortungsvollere Aufgaben hineinzuwachsen.
Man hört von Ehrenamtlichen oft: Ich wurde überfallen und angefleht, habe mich erweichen lassen. Andererseits haben viele keine Lust, nur den Assistenten zu geben. Wie geht es besser?
Giffhorn: Es kann herausfordernd sein, beim Engagement am Ball zu bleiben. Da ist es wichtig, dass jemand Freiwillige auffangen und motivieren kann, als Mentor dafür sorgt, dass Engagement kein Negativerlebnis wird, dass niemand verbrannt wird. Was passiert nach der ersten Ansprache? Lasse ich Leute einfach machen? Gibt es ein Onboarding? Informiere ich über Möglichkeiten zur Weiterbildung oder frage: Fühlst du dich noch wohl oder haben wir eine andere Aufgabe für dich? Oft ziehen junge Menschen zwar weg für die Ausbildung, aber könnten digital weiterhin mithelfen. Social Media, Homepage, Finanzbuchhaltung, dafür braucht man ja nicht unbedingt vor Ort sein.
Das klingt nicht so, als erführen junge Menschen immer Wertschätzung für ihr Engagement.
Giffhorn: Es ist noch nicht bei allen Vereinen angekommen, dass Wertschätzung enorm wichtig ist für Engagierte, auch nicht in der Politik, in dem man für sie Bürokratie abbaut. Ich bin zum Beispiel aus meiner Heimatregion weggezogen und engagiere mich trotzdem bei meinem Verein dort, weil es eben geht.
Mentoring und Onboarding müsste im Verein die ältere Generation übernehmen, aber die versteht oft nicht, wie die Jugend tickt, was sie will. Können Sie es ihr erklären, Herr Schleer?
Schleer: Aktuell erleben wir viele Jugendliche, die verstärkt nach Zugehörigkeit, Halt und Orientierung suchen. Die Krisen der vergangenen Jahre haben auch bei Jugendlichen zu einem Unsicherheitsempfinden geführt. Daher geht es den meisten weniger darum, möglichst viel zu erleben, auszubrechen und Grenzen zu überwinden, sondern vielmehr darum, anzukommen und einen Platz im Leben zu finden. Und dazu kann auch das Vereinsleben beitragen.
Stichwort Sinnsuche. Früher haben sich Leute oft aus Solidarität und Pflichtgefühl im Verein engagiert. Ist Ehrenamt vielleicht ein veraltetes Wort? Ehre sagt heute vielen gar nichts mehr.
Schleer: Sinnhaftigkeit und Impact, also etwas Positives bewirken können, macht ein Engagement attraktiv. Außerdem bringt ehrenamtliches Engagement Menschen zusammen, die ähnliche Werte und Interessen teilen. Diese Gemeinschaft schafft ein Gefühl von Zusammenhalt, eine Umgebung, in der man sich wohlfühlt.
Giffhorn: Meist kommt man ja über Freundschaften ins Ehrenamt, die dadurch gestärkt werden. Aber ich glaube, dass Engagement nicht die Wertschätzung erfährt, die es bräuchte. Wie kann Engagement im Bildungsbereich und auch im Berufsleben mehr anerkennt werden? Damit junge Menschen als Schüler und Schülerinnen, Auszubildene, Studierende oder Berufsanfänger und -anfängerinnen auch Zeit dafür haben. Es ist manchmal nicht damit getan, abends kurz was zu machen, die Trainingszeiten sind nicht alle nach 18 Uhr, gerade im Nachwuchs. Wie flexibel sind wir da auch als Gesellschaft?
Klingt, als bräuchte es kein Rebranding mit Hashtag auf Englisch, „#HonorOffice“, sondern inhaltliche Verbesserungen. Sie glauben, es bräuchte mehr Entgegenkommen von Schulen, Arbeitgebern, Gesellschaft, bei Zeitaufwand, Papierkram und Kosten für das Engagement?
Giffhorn: Aktuell sind bestimmte Ehrenamtsformen sehr privilegiert. Manche Positionen können aktuell nur bestimmte Personen innehaben. Ein Beispiel auf Bundesebene: Termine und Veranstaltungen sind hier meistens mitten am Tag oder am Wochenende. Da brauchst du eine Freistellung von deinem Arbeitgeber, deiner Schule oder deinem Studium oder du nimmst Urlaub. Nur können sich das eben nicht alle junge Menschen leisten.
Schleer: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Viele, die sich mit 16, 17, 18 engagieren, dann aber zu studieren beginnen, legen ihr Ehrenamt aus finanziellen Gründen nieder. Der Grund: Zur Finanzierung ihres Studiums müssen sie Geld verdienen. Zeit für das Ehrenamt bleibt dann leider nicht mehr.
Es heißt es ja oft, die Jugend hätte viel Zeit. Das stimmt wohl nicht mehr. Apropos Studium: Engagieren sich mehrheitlich Leute aus sozial stärkeren Milieus mit Bildungshintergrund?
Giffhorn: Meine persönliche Wahrnehmung ist, je höher das Engagement angesiedelt ist, auf Vereins-, Kommunal-. Landes- und Bundesebene, desto besser ausgebildet sind die Personen und desto höher ist das sozioökonomische Niveau. Deswegen brauchen wir Engagementformen, die niedrigschwellig sind. Wobei im Verein die Vielfalt unter den Engagierten größer sein kann.
Sie sprechen davon, Engagement mehr anzuerkennen, ihm Zeit und Raum zu gewähren. Doch wir leben in Zeiten, wo die Wirtschaft schwächelt, Haushalte zusammengestrichen werden, oft an Sozialem und Bildung gespart wird, was den Sport trifft. Wird am falschen Ende gespart?
Giffhorn: Natürlich sagen wir, dass an der falschen Stelle gespart wird, denn die jungen Menschen sind jetzt da und sollen noch in 20 Jahren da sein. Sie sind die Zukunft und die Zukunft ist jetzt. Wenn wir davon reden, dass wir Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland durchführen wollen, dann sind die jungen Menschen heute diejenigen, die dort antreten, betreuen und organisieren sollen. Sport ist ein Ort der Teilhabe, Demokratieförderung. Junge Menschen erleben Persönlichkeitsentwicklung, entwickeln Zukunftskompetenzen – es kann doch nicht sinnvoll sein, an solchen Orten zu sparen, an denen junge Menschen ihre Freizeit dazu nutzen, um andere zu unterstützen.
Schleer: Das sehen übrigens auch die Jugendlichen selbst so. Wir wollten in einer Untersuchung wissen: Was nehmen die Jugendlichen im Bereich Sport an Ungerechtigkeiten wahr? Und ein Aspekt war tatsächlich: Die Förderung ist nicht fair genug. Statt diejenigen stärker zu fördern, die leistungsmäßig hinterherhinken, wird nach Meinung der Jugendlichen viel zu früh zwischen Besseren und Schlechteren ausgesiebt.
Was wäre Ihnen zum Abschluss wichtig, was man mitnehmen sollte, wenn man an Sport, Jugend und Engagement denkt?
Giffhorn: Ich hätte zwei Punkte. Einmal danke an alle jungen Engagierten. Das kann man nicht häufig genug sagen. Also: Danke, danke, danke, weitermachen und sich nicht unterkriegen lassen! Das zweite ist, dass wir mehr Wertschätzung brauchen, mehr Kommunikation auf allen Ebenen, um junge Menschen zum Engagement zu motivieren, und Rahmenbedingungen, die ihnen das ermöglichen.
Schleer: Ich kann kaum etwas hinzufügen. Weniger fehlt es an Engagement-Angeboten als an der Wertschätzung für diejenigen, die ein Ehrenamt übernehmen. Außerdem sollte mehr über die Engagement-Möglichkeiten informiert werden – auch, um dem Vorbehalt entgegenzutreten, dass Vereinsstrukturen immer verstaubt seien.
Quelle: www.lsb-berlin.de/