Göteborg (SID Isabell Werth musste die ganze Routine und Erfahrung einer sechsmaligen Olympiasiegerin in die Waagschale werfen, um Sönke Rothenberger in der EM-Kür von Göteborg auf Distanz zu halten. Die Frage ist, wie und ob ihr das auch 2018 noch gelingt.
Natürlich hat sie ihn auf dem Schirm gehabt, was für eine Frage. „Sönke stand ganz oben auf meiner Liste“, sagte Isabell Werth, bei der EM in Göteborg mit drei Goldmedaillen dekoriert, nach diesem so unglaublich knappen Sieg in der Kür. Die Zukunft ist jetzt, sie hat in Göteborg begonnen, und niemand weiß das besser als die Frau, die bis zu diesem Tag alle als unschlagbar eingestuft hatten.
Das ist sie nun nicht mehr, obwohl sie es bei der EM noch war. Rothenberger und sein „Flugzeug“ Cosmo trieben Werth und Weihegold dermaßen vor sich her, dass die sechsmalige Olympiasiegerin bis zur Bekanntgabe ihrer Wertung fast wie versteinert im Sattel sitzen blieb und dann – für sie eher untypisch – ihre Freude laut herausschrie. Rothenberger nahm es sportlich: „Für mich ist es eine Silbermedaille mit goldenem Rand.“
Das war sogar noch untertrieben, denn Rothenbergers Silber war schon fast zur Hälfte mit Gold überzogen. Als der 22-Jährige mit seinem gerade mal zehnjährigen Wallach Cosmo das Viereck verließ, schickten die Wertungsrichter dem Duo 90,614 Prozentpunkte hinterher – Werth wusste, dass ihr als letzter Starterin kein Spielraum für Fehler blieb. „Weihe und ich waren uns dessen bewusst“, sagte sie anschließend: „Kein Fehler, nicht der allerkleinste.“
Und sie lieferte, natürlich tat sie das, wie immer, wenn sie gefordert ist, brachte sie Höchstleistung. Weihegold tanzte wie nie zuvor durch das Viereck, aus verstärktem Galopp heraus wechselte sie ohne sichtbare Verzögerung in die Pirouette, die Piaff-Passage nannte Bundestrainerin Monica Theodorescu „Dressur in Vollendung“. Und doch war der Vorsprung am Ende knapper als gedacht: 90,982 Punkte gab es für die nun 17-malige Europameisterin, und wie groß die Anspannung wirklich war, davon zeugten Isabell Werths Tränen bei der Siegerehrung.
Sie wird sich etwas einfallen lassen (müssen), um über die WM 2018 in Tryon/North Carolina und die EM 2019 in Rotterdam bis zu Olympia 2020 in Tokio ganz oben zu bleiben. Die schwarze Stute Weihegold, das hat Isabell Werth zuletzt mehrfach betont, ist an der äußeren Grenze ihres Leistungsvermögens angekommen. „Sie war schon in Aachen fast bei 100 Prozent, und hier hat sie wirklich alles gegeben“, sagte Werth in Göteborg. Rothenberger und Cosmo sind dagegen gerade erst in die Goldspur eingebogen und nehmen allmählich richtig Fahrt auf.
Aber noch hat Isabell Werth ja diesen einen ganz großen Trumpf in der Hand – vielleicht. Bella Rose, die vierbeinige Göttin der Dressur, ist seit der WM 2014 in Caen wegen einer rätselhaften Verletzung am Huf nicht mehr in Erscheinung getreten. Offiziell in Rente geschickt hat Werth ihre mittlerweile 13 Jahre alte Wunderstute aber nie. Ab sofort wird sie ein Pferd von dieser Qualität brauchen. Immerhin gilt es, ein Flugzeug abzuhängen.