Köln/Wimbledon (SID) Wimbledon. Wo sonst? Hier, im Südwesten Londons, wo alles begann, soll es irgendwann auch zu Ende gehen. „Ich würde mir wünschen, dass ich hier auf dem Friedhof begraben werde. Nicht in Deutschland. Am liebsten hier.“
Also Wimbledon, und nicht München oder Monte Carlo. Und schon gar nicht Leimen. Wenn Boris Becker zum 50. Geburtstag Bilanz „der ersten Hälfte des Lebens“ zieht und vorausblickt, ist er längst am Ende seiner Reise angekommen. Und steht doch wieder am Anfang.
Auch wenn Boris Franz Becker am 22. November 1967 in Leimen zur Welt kam, die Zeitrechnung seiner Landsleute beginnt erst gut 17 Jahre später. Becker selbst bezeichnet den 7. Juli 1985, an dem er als bis heute jüngster Wimbledonsieger in die Sportgeschichte einging, als seinen zweiten Geburtstag.
Sein einstiger Mentor Ion Tiriac sagte in einem sehenswerten Porträt in der ARD („Boris Becker – der Spieler“) sogar: „Boris Becker wurde nicht in Leimen geboren. Er wurde in London geboren, an diesem Tag. Und ganz Deutschland hat ihn adoptiert.“
10 Millionen, 12 Millionen, 14 Millionen Menschen sahen Becker seit seinem ersten Wimbledonsieg im Finale gegen Kevin Curren beim Tennisspielen zu. Einschaltquoten, die längst nur noch der Fußball erreicht. Sie teilten sein Leiden, seine Freude und Trauer. Sie feierten Beckers Siege in London, Melbourne und New York. In Hartford, Göteborg und Stuttgart.
Von Häme nach seinen seltenen Niederlagen war keine Spur – außer vielleicht bei den wenigen Anhängern seines Erzrivalen Michael Stich. Allerdings gab Becker dazu auch keinen Anlass. Selbst in den dunkelsten Momenten auf dem Court war Becker ein fairer Verlierer, beispielhaft, wie er seinen Bezwinger Stich nach dem Wimbledonfinale 1991 in die Arme nahm.
Die Spuren seiner Hingabe, seiner Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit waren damals offensichtlich – und sind es noch immer. Was früher aufgeschürfte Knie und blutige Füße waren, sind heute ein Hüftschaden und ein zerstörtes Sprunggelenk.
„Boris muss jetzt für seinen Einsatz als Profi bezahlen“, sagt Günther Bosch im Interview mit dem SID. Der heute 80-Jährige hat Becker 1985 als Trainer bei dessen „persönlicher Mondlandung“ in Wimbledon begleitet. „Diese Art zu springen und zu hechten, die kam ja von seinem inneren Drang, jeden Ball noch zu erreichen, egal wie aussichtslos es erschien.“
Becker hat sich nie geschont, ging immer in die Offensive. Und heute? 30 Jahre in der Öffentlichkeit sind „anstrengend, und es ist ein Preis, denn ich nach wie vor zahle“, sagte Becker dem SID. Nachdem er als Erfolgscoach des Serben Novak Djokovic seinen Ruf als ausgewiesener Tennisfachmann auch in Deutschland zurückerlangt hatte, stürzte im Sommer der Himmel über ihm ein. Pleite! Gebrochen! Einsam! Die Bilder und Schlagzeilen im Jahr 2017 zeigten einen tief gefallenen Helden.
Der Boulevard goss kübelweise Spott über seinen einstigen Liebling, so wie es Becker nicht einmal nach seinem Ausrutscher in der Besenkammer am Abend seines letzten Tennismatches 1999 in Wimbledon erlebt hatte. Becker selbst spricht von „Rufmord, versuchtem Totschlag“. Vom Versuch, „einen Menschen und dessen Lebenswerk zu zerstören“.
Seine Privatinsolvenz leugnet er nicht mehr, sieht in ihr aber nicht das Ende aller Tage, sondern die Chance auf einen neuen Anfang. Mit 50 Jahren sagt Becker, sei er „zum ersten Mal zum Mann geworden“. Er könne alles hinter sich lassen, was ihn in den letzten 18 Jahren – in seinem zweiten Leben – belastet hat.
„Ich habe die unglaubliche Chance, die restlichen Jahrzehnte so zu gestalten, wie ich es gerne hätte“, sagt Becker. Nicht als der 17-jährige Leimener, und schon gar nicht als „Euer Boris“. Aber noch immer in Wimbledon. Wo sonst?