München (SID) Felix Neureuther tut sich schwer, seinen Kreuzbandriss anderen Faktoren als seinem Fahrfehler zuzuschreiben. „Ich weiß nicht genau, ob es wirklich am Material gelegen hat“, sagt der deutsche Skistar. Aber, betont er, mit den neuen Riesenslalom-Ski sei sein Job „definitiv wieder gefährlicher“ geworden.
Wie Neureuther haben sich in diesem Winter Olympiasieger Carlo Janka (Schweiz) und Benedikt Staubitzer (Mittenwald) beim Riesenslalomtraining das Kreuzband gerissen. Es sei zwar „noch viel zu früh“, einen Zusammenhang zwischen den Verletzungen und den neuen Ski herzustellen, sagt Charly Waibel im SID-Gespräch. Um eine derartige Entwicklung vorauszusagen, habe man jedoch „kein Prophet“ sein müssen.
Waibel war deutscher Männer-Cheftrainer, jetzt arbeitet er als „Bundestrainer Wissenschaft/Material“ für den Deutschen Skiverband. Er saß in der Arbeitsgruppe des Weltverbandes FIS, die sich mit möglichen Auswirkungen der Material-Neuerung befasste. „Wenn man sich das Video vom Felix anschaut“, sagt er, „sieht man den Mechanismus, den man aus früheren Zeiten kennt.“
Früher, das heißt: vor der vorletzten Umstellung vor fünf Jahren hin zu etwas geraderen, schlankeren Ski. Mit dieser sollte die Zahl der Knieverletzungen verringert werden. Die Folge waren weitverbreitete Rückenprobleme. Deshalb ging die FIS nun wieder einen Schritt zurück. Der Radius der Riesenslalom-Ski wurde von 35 auf 30 m verringert, sprich: Der Ski bekam wieder mehr Taillierung. Die Skischaufel ist zudem breiter geworden (maximal 103 statt 98 mm), der Ski etwas kürzer (1,93 statt 1,95 Meter).
Er sei „besorgt“ ob der Umstellung, sagt DSV-Cheftrainer Mathias Berthold. Er wolle „den Teufel nicht an die Wand malen“, aber die Verunsicherung bei den Athleten vor dem ersten Riesenslalom der Saison Anfang Dezember in Beaver Creek (USA) sei groß. Dabei machten die neuen Latten „brutal viel Spaß“, sagt Berthold, das Skigefühl sei „richtig geil“. Das war ein weiterer Grund für die Umstellung: dass auch junge Athleten wieder leichter zum Riesenslalom finden sollten.
Fahren sie dort jetzt in eine Verletzungsfalle? „Wir müssen uns damit abfinden, dass es den alpinen Skisport nicht ohne Verletzungen gibt“, sagt Waibel. Über Veränderungen beim Material sei dies „nicht zu lösen“. Er sieht andere Wege: Flüssig gesetzte Kurse, aktiven Schutz des Kniegelenks mit weiterentwickelten Orthesen.
Neureuther versucht derweil, seinen Olympia-Traum ohne Kreuzband am Leben zu halten. Dass das möglich ist, hat etwa Hilde Gerg bewiesen. „Die Gesamtsituation war bei mir ähnlich“, berichtete die Olympiasiegerin in der tz: „Ich war richtig gut in Form, ein Großereignis stand vor der Tür, und dann ist es passiert.“ Im Dezember 2002 war das, Gerg wollte trotzdem „unbedingt schauen, ob es nicht doch irgendwie klappen kann mit der WM“ 2003 in St. Moritz.
Das tat es, wenngleich Gerg dort keine Medaille gewann. Die WM-Teilnahme sei möglich gewesen, weil sie sich „einen isolierten Riss“ zugezogen habe, „ansonsten wurde das Knie nicht in Mitleidenschaft gezogen“. Verstärkter Muskelaufbau habe das Gelenk stabilisiert, das Ski-Gefühl sei allerdings nicht so wie vorher gewesen. Dennoch: „Ich habe es keinen Moment bereut.“
Gerg holte die notwendige OP damals zum Saisonende nach und gewann später noch vier Weltcup-Rennen sowie Team-Gold bei der WM 2005 – übrigens mit Neureuther.