Angelique Kerber hat für den ersten deutschen Wimbledon-Sieg seit Steffi Graf gesorgt. Durch den Erfolg steigt sie in den elitären Kreis deutscher Tennis-Legenden auf.
Die Spuren ihrer langen Party-Nacht waren Angelique Kerber äußerlich kaum anzusehen. Obwohl die erste deutsche Wimbledonsiegerin seit 1996 bis zum Morgengrauen mit Freunden und Verwandten im Londoner Vergnügungsviertel Soho gefeiert hatte, strahlte sie am nächsten Tag wieder vor Glück. Im leichten Sommerkleid erschien Kerber auf der Tennis-Anlage, ausgiebig stöberte sie im Kleiderfundus des Turnierveranstalters. Es galt, eine elegante Abendgarderobe für das traditionelle „Dinner der Champions“ am Sonntagabend auszusuchen.
Boris Becker hatte nach Kerbers Sturm auf den Tennis-Olymp am Vortag gleich mal einen Bauantrag für sein altes „Wohnzimmer“ auf dem Centre Court gestellt. „Vielleicht sollten wir es etwas vergrößern“, schrieb die deutsche Tennis-Ikone bei Twitter. Schließlich müssten er, Steffi Graf und Michael Stich es ja nun mit der neuen Wimbledonsiegerin aus Kiel teilen. Es könnte also ein wenig eng werden an diesem fast mythisch verklärten Ort im Süden von London.
Von allen Seiten erreichten Kerber nach ihrem Finalerfolg gegen Serena Williams die Glückwünsche und Gratulationen. Als sie mit dem silbernen Siegerpokal in den Händen und einem funkelnden Strahlen in den Augen durch das Klubhaus des altehrwürdigen „All England Lawn Tennis Club“ schritt, warteten dort bereits die britischen Herzoginnen Meghan und Kate sowie IOC-Präsident Thomas Bach. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sendete umgehend eine Grußbotschaft und gratulierte zu einer „begeisternden Leistung“.
Von ihrem großen Idol Steffi Graf, die sie 22 Jahre nach deren siebtem und letzten Wimbledon-Sieg nun beerbte, erhielt die 30-Jährige derweil eine persönliche Nachricht aufs Handy. „Es ist immer wieder schön, wenn zwischen den 200 Glückwunschen auch einer von Steffi dabei ist“, sagte Kerber.
Durch ihren Triumph beim ältesten und wichtigsten Turnier der Welt ist Kerber in den elitären Kreis der deutschen Tennis-Legenden aufgerückt. Ihr 6:3, 6:3-Sieg gegen die große Serena Williams gehört nun zu den wichtigen Momenten der deutschen Tennis-Historie. Becker und Graf rangieren zwar weiter in einer eigenen Liga, doch auch Kerber ist nun eine der wichtigen Figuren ihres Sports. Mit den Australian Open, den US Open und eben Wimbledon hat sie nun drei der vier Grand-Slam-Titel gewonnen. Sie ist die herausragende deutsche Spielerin ihrer Generation.
Der Sieg sticht bei alledem jedoch noch einmal kilometerweit heraus: Wimbledon sei das „Turnier der Turniere“, hier zu gewinnen der „Traum der Träume“, befand Kerber wenige Stunden nach ihrem Match. Als kleines Kind hatte sie im heimischen Wohnzimmer gebannt vor dem Fernseher die großen Siege ihres Idols Steffi Graf verfolgt. Am Samstag durfte sie selbst den silbernen Pokal in die Höhe stemmen. „Wimbledon war immer das Turnier, das ich unbedingt gewinnen wollte“, sagte sie: „Ich habe meinen Lebenstraum erreicht.“
Nachdem auch der letzte Return der 23-maligen Grand-Slam-Gewinnerin Williams im Netz gelandet war, war Kerber wie vom Blitz getroffen auf den „heiligen Rasen“ des Centre Courts gesunken. Erst auf die Knie, dann auf den Rücken. Sofort schossen ihr die Freudentränen in die Augen. „Ich weiß auch nicht, irgendwie lande ich jedes Mal auf dem Boden“, scherzte sie später. Nach großen Triumphen gibt sich Kerber ihren Gefühlen einfach hin.
Im Match zuvor hatte sie diese noch gezielt unterdrückt. Sie sei sehr angespannt gewesen, berichtete sie hinterher, habe aber versucht, „die Nervosität loszulassen“. Immer, wenn die Emotionen in ihr hochzukochen drohten, atmete Kerber tief durch, führte kleine Selbstgespräche. Es funktionierte. Fehler machte fast nur die ungewohnt fahrige Williams. Kerber spielte „Kerber-Tennis“: Rennen, Kämpfen und in den richtigen Momenten aus der Defensive heraus attackieren.
Nach 65 regelrecht einseitigen Minuten war Kerber am Ziel. Den anschließenden Marathon mit über 30 TV-Interviews und Pressekonferenzen absolvierte sie in einer Trance des Glücks. Nach dem ausgefallenen WM-Sommer durch das frühe Aus der Fußball-Nationalmannschaft hat sie doch noch ein Kapitel deutsche Sport-Geschichte geschrieben. „Ich weiß, dass Deutschland mitgefiebert hat“, sagte sie: „Das hat mir sehr geholfen.“
2,28 Millionen sahen bei der TV-Übertragung im ZDF zu. Das sind zwar nicht einmal im Ansatz so viele wie in den „goldenen Zeiten“ von Becker, Graf und Stich Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre. Für heutige Verhältnisse ist es dennoch ein kleiner Erfolg. Kerber hat mit ihren Siegen dafür gesorgt, dass Tennis überhaupt wieder auf der Karte der deutschen Sportlandschaft aufgetaucht ist. Und gehört darum nun zum Kreis der Großen.