München (SID) Am 3. September startete die DFB-Auswahl in München die Vorbereitung auf das brisante Duell mit Weltmeister Frankreich. Für Bundestrainer Joachim Löw ist es eine Woche der Wahrheit, die Spieler wollen unbedingt Wiedergutmachung für das WM-Debakel.
Joachim Löw stieg um 11.30 Uhr mit schwarzer Lederjacke lächelnd aus einer dunklen DFB-Limousine und demonstrierte gleich einmal die versprochene Fannähe. Mit einem Hallo begrüßte der Bundestrainer die wenigen Anhänger vor dem Park Hilton Hotel in München und erfüllte geduldig jeden Autogrammwunsch. Auch die viel kritisierten Nationalspieler zeigten sich volksnah. Es waren vor dem Seiteneingang der noblen Herberge am Englischen Garten nur kleine Gesten – nun werden von Löw und seinen Stars nach dem WM-Debakel von Russland weitaus größere Taten gefordert.
Beim ausgerufenen Neustart mit den Länderspielen gegen Weltmeister Frankreich am Donnerstag (20.45 Uhr/ZDF) in der neuen Nations League und drei Tage darauf in Sinsheim gegen Peru (20.45 Uhr/RTL) steht der 58-Jährige unter „besonderer Beobachtung und unter besonderem Druck„, wie er im Rahmen seiner großen WM-Analyse selbst betont hatte. Er würde sogar „auf Bewährung“ arbeiten, heißt es beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) hinter vorgehaltener Hand.
Doch der Bundestrainer ist überzeugt, den tief gefallenen Weltmeister von 2014 wieder in die Spur zu bekommen. Bevor er am Montagnachmittag sein Team zum ersten Training auf dem Bayern-Campus versammelte, sagte er bestimmt: „Ich bin sicher, dass wir das hinbekommen.“
Löw baut dabei auf eine Trotzreaktion seiner Russland-Verlierer. Und die gelobten beim ersten Treffen unisono Besserung und Wiedergutmachung. „Es ist eine gute Chance, einiges geradezurücken, auch wenn man gegen Frankreich nicht im Vorbeigehen gewinnt. Trotzdem wollen wir zeigen, dass wir eine Weltklassemannschaft sind“, sagte Leon Goretzka, einer von sieben Profis von Bayern München im 22-köpfigen Kader.
„Wir stehen in der Verantwortung. Das ist eine Chance für uns. Alle haben wieder richtig Lust. Wir können direkt zeigen, dass wir immer noch Deutschland sind und uns vor Frankreich nicht verstecken müssen“, betonte Julian Draxler, forderte aber auch in aller Deutlichkeit, „Eigeninteressen hintanzustellen„. Man müsse „intern einiges aufarbeiten„.
Drei Tage mit nur drei Trainingseinheiten hat Löw Zeit, das Desaster aufzuarbeiten, taktisch die nötigen Schritte einzuleiten und aus den Spielern das „Jetzt-erst-recht-Gefühl herauszukitzeln„. Es müssten „Ergebnisse“ geliefert werden, stellte DFB-Präsident Reinhard Grindel klar. Das sei „das A und O„, sagte Thomas Müller, „daran wird man gemessen.“
Einen spielerischen Offenbarungseid wie bei der WM werden sich die Nationalmannschaft und auch Löw kaum leisten können. Zwar genießt der Bundestrainer zumindest öffentlich das Vertrauen der Liga und des DFB. Die Kritik der Fans wird trotz Löws fast zweistündiger Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch erst dann verstummen, wenn der entthronte Weltmeister wieder überzeugt. Zumal in der Nations League, in der neben Frankreich auch die Niederlande Gegner des DFB-Teams sein wird, auch ein Abstieg möglich ist.
Dass ausgerechnet nun der Weltmeister, der mit allen Stars anreist, zum Aufbaugegner werden soll, entbehrt nicht einer gewissen Brisanz. Löw sprach dennoch von einem „top Auftaktgegner in dieser Situation. Ich bin überzeugt von unserer Klasse„.
Nach dem Verzicht auf den Kölner Jonas Hector, der sich nach stressigem Saisonstart „derzeit nicht auf höchstem Level fühlt“ (Löw) , müssen es neben den Neulingen Kai Havertz, Thilo Kehrer und Nico Schulz immerhin noch 16 Spieler aus dem WM-Aufgebot richten. Dazu kommt Rückkehrer Leroy Sane, der, geht es nach Löw, für die Zukunft des deutschen Fußballs stehen soll. Bei Manchester City hatte der Jungstar am Wochenende jedoch wegen angeblich mangelnder Arbeitseinstellung nur auf der Tribüne gesessen.
„Wir haben etwas wiedergutzumachen. Die, die dabei sind, sind total motiviert„, versprach Kapitän Manuel Neuer den über 60.000 Fans, die am Donnerstag in der Allianz Arena erwartet werden. Ein Sieg wäre, so Müller, „ein Riesenschritt in die Richtung, die große Niederlage vom Sommer auszuwetzen„. Derzeit sei die Mannschaft gegen die allseitige Kritik noch „ohne Waffen„. Oder, wie Timo Werner feststellte: „Wir sind jetzt nicht mehr die Gejagten, sondern die Jäger.“
FRAGEN und ANTWORTEN zur NATIONS LEAGUE
Am 6. September startet die Nations League, unter anderem mit dem Duell zwischen der deutschen Nationalmannschaft und Weltmeister Frankreich (20.45 Uhr/ZDF) in München. In der von der Europäischen Fußball-Union (UEFA) gegründeten Nationenliga wird von 2019 an ein weiterer Titelgewinner neben EM und WM ermittelt. Die SID beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.
Was ist die Idee hinter der Nations League?
Die Nations League war eine Herzensangelegenheit des ehemaligen UEFA-Präsidenten Michel Platini. Sein Ansatz: Immer Wettbewerb, keine müden Tests mehr. Die Nationenliga ist ein Ligensystem aller europäischen Nationalmannschaften mit Auf- und Abstieg, am Ende wird sogar ein Pokal ausgespielt – und es gibt einen Qualifikationsanreiz bis hinunter zu den kleinsten Nationen.
Wie ist das Format?
Die 55 UEFA-Mitglieder wurden gemäß ihrer Stärke in vier Ligen (A bis D) eingeteilt. Innerhalb dieser Divisionen gibt es vier Gruppen mit je drei oder vier Mannschaften. In Hin- und Rückspielen werden Auf- und Absteiger ermittelt. Die vier Gruppensieger der Top-Division A (mit Deutschland) qualifizieren sich für das Finalturnier vom 5. bis 9. Juni 2019, bei dem der erste Titelträger ermittelt wird (Austragungsort: Italien, Polen oder Portugal; Entscheidung im Dezember).
Mit wem bekommt es die DFL-Elf zu tun?
Deutschland spielt in Gruppe 1 der Top-Liga A gegen Frankreich und die Niederlande. Nach dem Auftakt gegen den Weltmeister in München tritt die Nationalmannschaft am 13. Oktober in Amsterdam gegen Oranje an. Drei Tage später (16. Oktober) steht in St. Denis das Rückspiel gegen Les Bleus an, zum Abschluss am 19. November empfängt das DFB-Team in Gelsenkirchen die Elftal. ARD und ZDF übertragen. Der Gruppensieger nimmt am Finalturnier teil, der Letzte steigt in Liga B ab.
Wie sind die Reaktionen?
„Wir nehmen die Nations League sehr ernst“, sagte Joachim Löw. Nach dem WM-Desaster kommt der Nationenliga für den Bundestrainer große Bedeutung zu, Kapitän Manuel Neuer meinte: „Wir haben etwas gutzumachen.“ Anfangs war der Deutsche Fußball-Bund (DFB) einer der wenigen Gegner der Einführung, nun sagt DFB-Präsident Reinhard Grindel: „Der zentrale Unterschied zu früher ist: Es geht richtig um etwas.“ Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge ist da kritischer: „Keiner braucht die Nations League.“ Dortmunds Hans-Joachim Watzke meinte: „Wir haben genug Wettbewerbe.“
Was wird aus den bisherigen Testspielen?
Ihre Zahl wird kleiner, ganz wegfallen werden sie nicht. Deutschland testet drei Tage nach dem Frankreich-Spiel in Sinsheim gegen Peru und am 15. November in Leipzig gegen Russland. Und auch vor großen Turnieren wird es weiterhin Länderspiele zum Experimentieren geben.
Was wird aus den Qualifikationsspielen?
Sie bleiben weitgehend bestehen. Der Beginn der EM-Qualifikation wird jedoch von September in den März (bis November) 2019 verschoben, Grundlage für die Auslosung ist die Rangliste der Nations League. Die jeweils zehn Gruppensieger und -zweiten qualifizieren sich. Die letzten vier Tickets werden über Play-offs im März 2020 an die vier besten, noch nicht qualifizierten Teams aus jeder Nations-League-Division vergeben.
Steigt die Belastung für die Profis?
Nein. Die Nations League besetzt nur Termine, an denen bislang normale Länderspiele stattfanden.