Minsk (SID) Die Europaspiele haben den großen Teil der deutschen Athleten um Timo Boll begeistert. Die Probleme des Multisport-Events sind jedoch nicht zu übersehen. Wenn das Format eine Zukunft besitzen soll, müssen Veränderungen her.
Timo Boll und seine Kollegen strahlten um die Wette, als auch die letzten Olympia-Tickets gelöst waren. Durch die beiden Teamerfolge holten die Tischtennis-Asse bei den Europaspielen die wohl wichtigsten Goldmedaillen des gesamten deutschen Teams. Denn obwohl es in Minsk auch in anderen Sportarten Titel zu bejubeln gab, kamen diese nicht an die Bedeutung im Tischtennis heran.
„Deshalb sind wir ja auch in Top-Besetzung angetreten. Jetzt bleiben uns zusätzliche Termine erspart“, sagte Boll angesichts der Planungssicherheit bis zu den Sommerspielen 2020. Zuvor hatten auch die Frauen ihren Titel im Mannschaftswettbewerb erfolgreich verteidigt und damit wie die Männer die maximale Anzahl an Startplätzen für Tokio 2020 gesichert: Je zwei Spieler im Einzel, das Mixed sowie beide Teams werden in Japan vertreten sein.
Athleten aus den 14 weiteren Sportarten in der weißrussischen Hauptstadt dürften neidisch auf die Qualifikationsmöglichkeiten im Tischtennis geblickt haben. Sportlich waren die Gräben zwischen den Sportarten wie schon bei der Europaspiel-Premiere in Baku riesig – es ist das nach wie vor größte Problem des Multisport-Events, das am 30. Juni zu Ende ging.
„Der Anspruch muss sein, die Athleten aus der ersten Reihe hier zu haben. Momentan haben die Spiele noch nicht die Wertigkeit“, sagte die deutsche Delegationsleiterin Uschi Schmitz, die der Veranstaltung des Europäischen Olympischen Komitees (EOC) aber auch nach ihrer zweiten Auflage eine Chance geben will: „Es braucht einfach Zeit, bis sich so ein neues Format etabliert.“
Tatsächlich? Die Konkurrenzveranstaltung European Championships begeisterte bereits bei ihrer Premiere in Berlin und Glasgow Massen. Während es dort in Kernsportarten um EM-Titel ging, war das Wirrwarr in Minsk kaum mehr zu überblicken. Die Leichtathleten trugen ihre Wettkämpfe auf magerem C-Niveau in einem skurrilen Format aus, die Kanuten und Judoka kämpften um EM-Medaillen und die Tischtennisspieler um direkte Olympia-Tickets.
„Die Öffentlichkeit kann es ja gar nicht verstehen“, sagte Schmitz. Die internationalen Verbände müssten „an einen Tisch“, forderte die Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), damit „einiges reformiert“ werden könnte. In erster Linie muss das Niveau auf ein Level gebracht werden.
Der Reiz am millionenschweren Sportfest, das alle vier Jahre und ein Jahr vor den Olympischen Spielen ausgetragen wird, schlägt sich fast ausschließlich in den Qualifikationschancen für Olympia nieder. „So, wie es im Tischtennis gehandhabt wurde, ist es perfekt“, sagte Schmitz. Jeder Sieger löste dort ein Ticket für die Olympischen Spiele. Ansonsten waren lediglich im Karate, Schießen sowie Bogenschießen Startplätze direkt zu ergattern.
Das könne geändert werden, glaubt Schmitz: „Wenn man an den richtigen Stellen ansetzt und sie weiterentwickelt, kann ich mir vorstellen, dass man das Format langfristig als wichtige Olympia-Qualifikation etablieren kann.“ Zugleich weiß die Chefin de Mission, dass das „wirklich schwierig“ sei. Die Verbände müssten in einem ersten Schritt ihr Schlüsse ziehen.
Auch der DOSB will sich mit etwas Abstand zu der Veranstaltung erneut äußern. Das erste sportliche Fazit fiel durchwachsen aus. „Wir hätten sicherlich gerne die ein oder andere Medaille mehr gehabt“, sagte Schmitz. Vor allem im Judo (nur einmal Bronze) blieb das Team weit hinter den Erwartungen zurück, die Kanuten wiederum holten gleich sechs Mal Edelmetall – und das, obwohl ihr Saisonhöhepunkt noch bevorsteht.
Die Organisation, das hoben alle Beteiligten hervor, ließ keine Wünsche offen. Boll lobte die „super freundlichen“ Menschen, Olympiasieger Sebastian Brendel hatte „nichts zu meckern“ und für dessen Kanu-Kollegen Ronald Rauhe sprang sogar „der Funke von Olympischen Spielen“ über. Die sportliche Relevanz hinkte den Ansprüchen jedoch weit hinterher.