Stuttgart (SID) Über Stuttgart nach Tokio: Heimvorteil und Teamgeist sollen die deutschen Kunstturner bei den Weltmeisterschaften in der Schleyer-Halle zu den Olympischen Spielen 2020 tragen. Für dieses Ziel liegt der Fokus ganz auf dem dafür entscheidenden Mannschaftswettbewerb.
WM-Botschafter Fabian Hambüchen liebäugelte sogar kurzfristig mit einem Comeback, selbst für Trainingssessionen werden mittlerweile Eintrittskarten verkauft und die deutschen Kunstturner platzen fast vor Vorfreude: Die am Freitag beginnenden Weltmeisterschaften in Stuttgart (04. bis 13. Oktober) sollen die olympische Kernsportart ein Jahr vor Tokio 2020 wieder mehr in den Fokus rücken.
„Die Schleyer-Halle wird voll sein und natürlich hoffe ich, dass die WM einen Boom in Deutschland erzeugt“, sagte die deutsche Rekordmeisterin Elisabeth Seitz dem SID. Spätestens nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Routinier Marcel Nguyen ist die Stuttgarter Lokalmatadorin nicht nur aus Sicht des Deutschen Turner-Bundes (DTB) am ehesten in der Lage, für das Turnteam Deutschland eine Medaille zu gewinnen.
Das Hauptziel für beide deutsche Riegen ist indes ein anderes: Mindestens jeweils Platz zwölf und damit die Olympia-Qualifikation als Team wird angestrebt. WM-Titel wie der von Olympiasieger Hambüchen am Reck vor zwölf Jahren an gleicher Stelle sind vorerst unerreichbar geworden. Seitz würde trotzdem gern zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: „Mit einer tollen Stufenbarren-Übung würde ich dem Team helfen, vielleicht aber auch ins Finale kommen.“
Während es sich Teamchefin Ulla Koch angesichts der Leistungsdichte in ihrer Mannschaft sogar leisten konnte, die ehemalige Schwebebalken-Weltmeisterin Pauline Schäfer nur als Reservistin zu nominieren, ist die personelle Lage bei den Männern deutlich angespannter. Nicht nur der Nguyen-Ausfall schmerzt, unklar ist zudem, ob Teamkapitän Lukas Dauser nach Mittelhandbruch und Innenbandanriss im Fuß rechtzeitig in Form kommt.
„Der Druck ist da, die Moral aber auch. Vor einer Weltmeisterschaft ist es immer stressig“, sagte Cheftrainer Andreas Hirsch, der nur zu gerne zum fünften Mal in Folge seine Mannschaft zu Olympia führen würde. Vielleicht arbeitet die Zeit für seine Schützlinge: Während die deutschen Turnerinnen bereits am ersten Wettkampftag an die Geräte müssen, starten die Männer erst am Sonntag (6. Oktober).
Auch abseits der Wettkämpfe will der DTB in Stuttgart die Gelegenheit nutzen, auf die vielfältigen Angebote der rund 20.000 deutschen Turnvereine mit mehr als fünf Millionen Mitgliedern publikumswirksam hinzuweisen. In der Hanns-Martin-Schleyer-Halle gibt es eine großzügige Kinderbewegungswelt, auf dem Stuttgarter Schlossplatz locken die Salto Challenge und die Gymnastics Warrior Competition.
„Auch auf diese Weise möchten wir die Faszination des Turnens nachhaltig präsentieren“, erklärte DTB-Präsident Alfons Hölzl. Dazu soll auch die spektakuläre Turnshow „Salto mondiale“ beitragen. Aber auch der Feierspaß für das WM-Publikum kommt nicht zu kurz: Auf dem beliebten Volksfest Cannstatter Wasen ist das Sonja-Merz-Zelt zehn Tage lang das „Home of Gymnastics“.
Dort dürfte sich Simone Biles allerdings kaum blicken lassen. Die Mehrkampf-Olympiasiegerin und Rekord-Weltmeisterin aus den USA könnte in Stuttgart stattdessen gleich zweimal Turngeschichte schreiben: Ihr „Triple Double“, ein Doppelsalto rückwärts gehockt mit drei Schrauben, dürfte nach erfolgreicher WM-Premiere Aufnahme ins Regelwerk finden. Und noch nie holte eine Turnerin bei einer WM alle sechs zu vergebenden Titel.
Doch zumindest Seitz kennt ungeachtet der sportlichen Überlegenheit der US-Amerikanerin keinen Neid: „Simone springt einfach höher und weiter als wir alle. Was sie zeigt, erzeugt viel Aufmerksamkeit und gibt dem Turnen weltweit einen Schub.“