Palma de Mallorca (SID) Radprofi John Degenkolb wagt in Belgien den Neuanfang. Beim Team Lotto-Soudal will der Ex-Roubaix-Sieger an alte Erfolge anknüpfen – und zurück auf die große Bühne Tour de France.
Es gab kein Entkommen. Dem nasskalten Ritual, das war John Degenkolb schnell klar, würde er sich stellen müssen. „Ich wusste schon, was auf mich zukommt, als sie sagten, dass ich mein Telefon mal auf den Tisch legen soll“, sagte der deutsche Radprofi im Trainingslager seines neuen Teams Lotto-Soudal auf Mallorca: „Also wurde ich in den Pool geschmissen. Aber es war cool.“
Die Anekdote aus den ersten Tagen bei den Belgiern verrät einiges über das offenbar intakte Gefüge und die gute Stimmung in der Mannschaft. Degenkolbs Lachen, mit dem er seine Erzählung schmückte, ließ einen Blick in sein eigenes Innenleben zu.
Nach drei Jahren und einer aus mehreren Gründen enttäuschenden letzten Saison bei Trek-Segafredo wirkte Degenkolb gelöst, locker und bereit für einen Neustart. „Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas ändern möchte“, sagte Degenkolb: „Hier habe ich die Chance dazu. Die Chemie hat von Anfang an gestimmt.“
Dass der 30-Jährige diese Chance nach nur einem Sieg 2019 erhalten hat, hat er seinem nach wie vor exzellenten Ruf als Klassikerjäger zu verdanken. 2015 gewann Degenkolb die Monumente Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix, dann stoppte der fürchterliche Trainingsunfall Anfang 2016 die Erfolgsgeschichte. Seither blieb der Tour-Etappensieg 2018 auf dem berühmten Kopfsteinpflaster in Nordfrankreich der einzige große Triumph.
Lotto-Soudal, seit Jahren geprägt von starken Sprintern wie einst Andre Greipel oder derzeit Caleb Ewan, suchte für die Zukunft Verstärkung für die in der Heimat so wichtigen Klassiker. Fündig wurde die Equipe bei Degenkolb – und Philippe Gilbert.
Der tapfere „Phil“, der Tour-Etappen gar mit gebrochener Kniescheibe zu Ende fährt, wenn er nicht gerade die Flandern-Rundfahrt bestimmt oder um WM-Titel kämpft, ist in Belgien aufgrund seiner Erfolge und offensiven Fahrweise der derzeit wohl beliebteste aktive Fahrer. Für Degenkolb war er in den ersten Wochen auch ein Mentor.
Beim ersten Mannschaftstreffen im Oktober nahm Gilbert den Deutschen zur Seite. „Er sagte mir: ‚Wir werden zusammen wieder dorthin kommen, dass du dein Selbstvertrauen zurückbekommst und wieder große Rennen gewinnen kannst'“, erzählte Degenkolb: „Das war für mich ein Top-Einstieg. Er ist ein Top-Typ auf dem Rad, aber auch abseits von der Strecke.“
Dass es auf der Strecke zu Konflikten und sich überschneidenden Interessen kommt, glaubt Degenkolb nicht. „Ich sehe überhaupt keine Probleme darin, auch zusammen in die Klassiker zu gehen“, sagte er.
Klassiker wie Paris-Roubaix oder die Flandern-Rundfahrt hat Degenkolb im Rennkalender fett markiert. Weit oben auf seiner Liste steht aber auch die Tour de France, für die er 2019 nicht nominiert worden war. „Eine große Enttäuschung“ sei das gewesen, sagte Degenkolb. Eine, die sich bei Lotto-Soudal nicht wiederholen soll.