Edmonton/Berlin (SID) Bester Scorer in der besten Eishockeyliga der Welt – Leon Draisaitl ist mit gerade einmal 24 Jahren ganz oben angekommen. Jetzt fehlt ihm nur noch der Stanley Cup zum großen Glück.
Bei seiner Torpremiere war Leon Draisaitl noch nicht der eiskalte Vollstrecker, sondern ein leicht tollpatschiger Rookie. Nach seinem „eher so reingeschlitterten“ ersten Treffer in der Eishockey-Profiliga NHL war er seinem damaligen Kapitän Andrew Ference derart ungelenk in die Arme gesprungen, dass beide zusammen aufs Eis fielen. „Keine Frage“, hatte der damals 18-Jährige anschließend gesagt, „das Jubeln muss ich noch üben.“
Draisaitl bekam seitdem reichlich Gelegenheit zum Üben. Allein in dieser Saison erzielte der Nationalspieler für die Edmonton Oilers bis zum Corona-Stopp sagenhafte 43 Tore und 67 Vorlagen – und die 110 Punkte hievten ihn nun auf den Olymp. Am 26. Mai, an dem die NHL einen erweiterten Play-off-Modus zur Rettung der Saison vorstellte, wurde Draisaitl als erster deutsche Profi zum Scorer-König der besten Eishockeyliga der Welt ausgerufen.
Der Stürmer nahm die besondere Auszeichnung ähnlich gelassen zur Kenntnis, wie er mittlerweile seine vielen Tore feiert. „Natürlich fühle ich mich durch die Art Ross Trophy sehr geehrt“, sagte der 24-Jährige dem Sport-Informations-Dienst (SID), „doch im Mittelpunkt steht für mich immer das Team.“
Diese Bescheidenheit rechtfertigt den Spitznamen „Eis-Nowitzki“, mit dem ihm die heimische Presse oft mit Dirk Nowitzki vergleicht. Genau wie der inzwischen zurückgetretene Basketballstar wird Draisaitl in Nordamerika vor allem deshalb verehrt, weil er ohne Allüren abliefert. Das beeindruckt sogar „The Great One“.
„Leon kombiniert Talent mit der richtigen Einstellung. Er hat das nötige Arbeitsethos“, schwärmte Eishockey-Ikone Wayne Gretzky. Genau deshalb werde der junge Deutsche „jedes Jahr noch stärker“, ergänzte der Kanadier, auch wenn Draisaitl schon „von Anfang an herausragend“ gewesen sei.
Das ist ein bisschen geflunkert von Gretzky, denn Draisaitl, der früh als „German Gretzky“ hochgejubelt wurde, hatte einige Anpassungsprobleme in der NHL. 2014 an Nummer drei gedraftet, erfüllte das Ausnahmetalent die Erwartungen der Oilers zunächst nicht. Nach 37 NHL-Spielen schickte ihn der fünfmalige Stanley-Cup-Gewinner zurück zu den Junioren. Der „Abstieg“ tat Draisaitl gut, mit noch mehr Fleiß und Ehrgeiz arbeitete er erfolgreich an seinen Defiziten.
Inzwischen ist er der wohl kompletteste Center der Liga. „Ich sage es schon seit Jahren: Leon ist ein wunderbarer Spieler. Es ist schön, dass er endlich auch die Anerkennung bekommt“, sagte Edmontons Kapitän Connor McDavid, der sich ohne Neid mit Platz zwei in der Scorer-Wertung hinter seinem kongenialen Partner begnügte. Auch bei der MVP-Auszeichnung zum wichtigsten Spieler der Saison dürfte Draisaitl die Nase vorn haben.
Für das deutsche Eishockey ist Draisaitl Gold wert, auch deshalb gratulierte die Verbandsführung geschlossen zum Aufstieg in die Riege der ganz Großen mit Gretzky, Sidney Crosby, Alexander Owetschkin, Peter Forsberg oder Jaromir Jagr. Bundestrainer Toni Söderholm sprach von einem „beeindruckenden Schritt“, für Verbandspräsident Franz Reindl besitzt Draisaitls Meilenstein „eine überragende Strahlkraft mit Vorbildcharakter“.
Der gebürtige Kölner würde aber jede persönliche Auszeichnung gegen seinen großen Traum vom Stanley-Cup-Triumph eintauschen. Die Chance auf den großen Coup in dieser Saison besteht weiterhin, Edmonton gehört zu den 24 Teams, die in erweiterten Play-offs den Champion ermitteln sollen. Die Oilers können sich im Best-of-five-Duell gegen die Chicago Blackhawks das Achtelfinal-Ticket sichern.
Wann und wo genau der Spielbetrieb fortgesetzt wird, ist noch offen. Eine Rückkehr ins normale Teamtraining wird es nicht vor dem 1. Juli geben. Die NHL ruht wegen der Corona-Pandemie seit dem 12. März, seitdem, so berichtete Draisaitl, habe er „irgendwie die Zeit totgeschlagen“. Und Ende Mai den NHL-Olymp bestiegen.