Köln/Graz (SID) Beim vorletzten Länderspiel vor der WM will und muss Alfred Gislason viel experimentieren. Der Bundestrainer hat mehrere Baustellen, aber nur wenig Zeit.
Der WM-Countdown läuft – und Alfred Gislasons Checkliste ist lang. Eigentlich zu lang, um seine Mannschaft pünktlich in Turnierform zu bringen. „Es ist viel zu wenig Zeit“, räumte der Bundestrainer der deutschen Handballer ein, bevor er am 5. Januar mit noch vielen Problemen und Fragezeichen im Gepäck in den Flieger in Richtung Graz kletterte.
Exakt eine Woche vor dem Start des Mega-Turniers in Ägypten will und muss der Isländer beim ersten von zwei verbleibenden Härtetests gegen Österreich am Mittwoch (6. Januar, 13.45 Uhr/ZDF) viel experimentieren. Nach all dem Corona-Trubel der vergangenen Tage richtet sich der Fokus im DHB-Team in den beiden EM-Qualifikationsspielen nun auf den Sport. „Wir müssen die Zeit so gut wie möglich nutzen“, forderte Kapitän Uwe Gensheimer.
Wo es am meisten Nachholbedarf gibt? „Das größte Kopfzerbrechen bereitet mir die Abwehr“, sagte Gislason dem SID. Kein Wunder: Nach den freiwilligen Absagen der Kieler Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler bricht das Prunkstück der deutschen Mannschaft weg, andere müssen in die Bresche springen.
Ihre Namen: Johannes Golla und Sebastian Firnhaber. Das Bundesliga-Duo aus Flensburg und Erlangen dürfte in Gislasons 6:0-Abwehr die tragenden Säulen bilden. Die ersten Trainingseinheiten im Castello Düsseldorf machten dem DHB-Coach Mut: „Das ist schon sehr gut gelaufen“, lobte er.
Wie gut das neu zusammengestellte Team nach den Absagen von insgesamt sieben Stammkräften aber tatsächlich harmoniert, dürften erst die Partien gegen das Nachbarland am Mittwoch (06. Januar) in Graz und am Sonntag (10. Januar) in Köln sowie die ersten WM-Partien gegen die Außenseiter Uruguay und Kap Verde zeigen.
„Uns bleiben zur Vorbereitung vier Spiele, bis das Endspiel in der Gruppe gegen Ungarn ansteht“, sagte auch Gislason, der aus den ersten Einheiten „optimistischer raus als rein“ ging. Ohnehin gibt es ja auch noch sorgenfreie Positionen wie die des Torhüters. Dort sei man mit 1A-Lösung Andreas Wolff sowie Johannes Bitter und Silvio Heinevetter „weltklasse“ besetzt.
Neben der Abwehr, mit der Gislason in Rekordzeit noch weitere Deckungsvarianten einstudieren will, steht die Offensive groß auf seiner Liste. Unter seinem Vorgänger Christian Prokop haperte es vor allem im Positionsangriff, auf der Rückraummitte sollen nun Philipp Weber, Paul Drux, Youngster Juri Knorr oder Marian Michalczik, der wegen einer Augenverletzung nicht mit nach Österreich reiste, für die nötige Kreativität sorgen.
Das Personalpuzzle vor seinem ersten Turnier als DHB-Coach ist eine bislang nie dagewesene Challenge in Gislasons jahrzehntelanger Trainerkarriere – aber eine, die ihn anspornt: „Langweilig wird es nicht, aber ich freue mich auf die Aufgabe. Dieser Job macht einfach Spaß.“
Corona macht diese „Riesenherausforderung“ nicht gerade leichter. Um die Risiken des Österreich-Kurztrips zu minimieren, reiste die DHB-Bubble mit einer Chartermaschine von Düsseldorf in die Steiermark. Die in der Bundesliga geäußerten Corona-Sorgen blendet das Team möglichst aus. „Wir haben das Thema ad acta gelegt“, sagte Gensheimer.
Wie gefährlich die Situation aber weiterhin ist, zeigt das Beispiel Tschechien. Dort infizierte sich Nationaltrainer Daniel Kubes, in der Bundesliga für die HSG Nordhorn-Lingen verantwortlich, und kann das Team somit nicht wie geplant auf die WM vorbereiten. „Ich muss gestehen, dass ich krank bin. Um ehrlich zu sein, ist mein primäres Ziel, gesund zu werden“, sagte der Coach auf der Webseite des tschechischen Verbandes.
Die DHB-Spitze glaubt derweil weiter fest an das Konzept der Ägypter, Bob Hanning wies die von Erlangens Aufsichtsratschef Carsten Bissel geäußerten Vorwürfe („Die Blase ist ein Witz“) zurück. „Ich weiß nicht, woher wir die Arroganz nehmen, dass wir das alles besser können als andere Länder. Damit tue ich mich sehr schwer“, sagte der DHB-Vizepräsident im rbb.
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Am 12. Januar wird die deutsche Mannschaft von Düsseldorf nach Ägypten fliegen. In der WM-Vorrunde treffen Gensheimer und Co. auf Uruguay (15. Januar), Kap Verde (17. Januar) und Ungarn (19. Januar). Zur WM-Vorbereitung, die am 3. Januar in Neuss startet, zählen noch zwei Länderspiele gegen Österreich. Die Partien der EM-Qualifikation finden am 6. Januar in Graz sowie am 10. Januar in Köln statt.
Für die WM durften die Teams erstmals 20 statt wie bisher 16 Spieler nominieren. Von diesen 20 Spielern werden weiterhin 16 auf dem Spielberichtsbogen eingetragen, die Trainer können aber anders als zuletzt für jedes Spiel aus dem 20er-Kader die Aufstellung neu bestimmen.
Zudem haben Gislason und Co. während des Turniers die Möglichkeit, insgesamt fünf Wechsel mit Spielern aus dem erweiterten Kader vorzunehmen. Spieler mit einem positiven Corona-Befund werden nicht auf dieses Kontingent angerechnet. Bisher waren nur drei solcher Wechsel möglich.
Mit Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler, Finn Lemke und Steffen Weinhold (alle coronabedingt) sowie Fabian Wiede (Verletzung) hatten zuletzt fünf Leistungsträger freiwillig auf ihre WM-Teilnahme verzichtet. Zudem mussten Franz Semper, Tim Suton (beide Kreuzbandriss) und Sebastian Heymann (Trainingsrückstand nach Kreuzband-Operation) absagen.
Das WM-Aufgebot der deutschen Handball-Nationalmannschaft:
Tor: Andreas Wolff (KS Vive Kielce/POL), Johannes Bitter (TVB Stuttgart), Silvio Heinevetter (MT Melsungen)
Linksaußen: Uwe Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen), Marcel Schiller (Frisch Auf Göppingen)
Rückraum links: Julius Kühn (MT Melsungen), Paul Drux (Füchse Berlin), Fabian Böhm (TSV Hannover-Burgdorf), Christian Dissinger (RK Vardar Skopje)
Rückraum Mitte: Philipp Weber (SC DHfK Leipzig), Juri Knorr (TSV GWD Minden), Marian Michalczik (Füchse Berlin)
Rückraum rechts: Kai Häfner (MT Melsungen), David Schmidt (Bergischer HC), Antonio Metzner (HC Erlangen)
Rechtsaußen: Tobias Reichmann (MT Melsungen), Timo Kastening (MT Melsungen)
Kreis: Jannik Kohlbacher (Rhein-Neckar Löwen), Johannes Golla (SG Flensburg-Handewitt), Sebastian Firnhaber (HC Erlangen)