Saarbrücken (SID) Wie viel Kraft in Joachim Deckarm steckt, lässt bereits sein Händedruck erahnen. Der Handball-Weltmeister von 1978 ist trotz seines tragischen Unfalls vor 35 Jahren immer ein Sportler, vor allem aber ein großer Kämpfer geblieben. Am 19. Januar verneigte sich nicht nur Handball-Deutschland vor einem seiner Größten, als „Jo“ Deckarm in seiner Heimat Saarbrücken seinen 60. Geburtstag feierte.
Beim Empfang zu Ehren des Jubilars waren unter den 120 Gästen auch viele Weltmeister von 1978. Deckarms guter Freund Heiner Brand war als Laudator natürlich auch dabei. „Die Art und Weise, wie Jo sein schweres Schicksal meistert, ist toll. Er versprüht eine Lebensfreude, mit der er ein perfektes Vorbild nicht nur für Sportler, sondern für alle Menschen in vergleichbarer Situation darstellt. Ich wünsche ihm, dass er den Weg der letzten 35 Jahre weitergeht“, sagte Brand dem SID.
Was sich Deckarm selbst zum runden Geburtstag wünscht? „Viel Zuwendung“, sagt er im SID-Gespräch, „aber die werde ich wohl auch bekommen. Da dürften schon viele Leute auf mich zukommen. Und darauf freue ich mich sehr.“ Das Sprechen fällt ihm zwar schwer, doch seine Augen glänzen, als er in seinem Buch „Teamgeist – Die zwei Leben des Joachim Deckarm“ blättert.
Aus seinem ersten Leben wurde der 104-malige Nationalspieler am 30. März 1979 jäh gerissen, mitten im Europapokalspiel des VfL Gummersbach bei Banyasz Tatabanya in Ungarn. Nach einem Zusammenstoß mit Lajos Panovics stürzte Deckarm ungebremst mit dem Kopf auf den nur mit einer dünnen PVC-Schicht belegten Betonboden. Spieler und Betreuer tragen ihn vom Feld, Deckarm fällt ins Koma.
„Das war das Schlimmste, was ich in meiner Karriere erlebt habe. Den Unfall habe ich bis heute eigentlich nie so richtig verdaut“, erinnert sich Brand, der die fürchterlichen Ereignisse hautnah miterlebte. Erst nach 131 Tagen wacht Deckarm, der „beste Handballer aller Zeiten“ (Vlado Stenzel), als neuer Mensch auf. Ein hilfsbedürftiger Mensch, der alle Fähigkeiten neu erlernen muss – gehen, sprechen, essen.
Mit unbändigem Willen und dem Motto „Ich kann, ich will, ich muss“ kämpfte er sich danach ins Leben, sein zweites Leben, zurück – und überraschte sich damit rückblickend selbst: „Dass ich so eine Kraft haben würde, das wusste ich auch nicht. Aber das ist wohl meine Einstellung.“ Als „besonderer Kämpfer“ wurde er im Mai 2013 in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen. Die gleichnamige Ausstellung gastiert zu Deckarms Ehren seit seinem Geburtstag in der saarländischen Hauptstadt.
„Jo hat die Situation sehr gut gemeistert, obwohl er mit Sicherheit viel durchgemacht hat. Deshalb wünsche ich ihm weiterhin viel Glück – und viel Gesundheit insbesondere. Ich denke, das kann er am besten brauchen“, sagte Bundestrainer Martin Heuberger dem SID.
Seinen Humor hat Deckarm, der seit 2002 in einer Einrichtung für betreutes Wohnen nahe der Saarbrücker Fußgängerzone lebt, trotz dieser unfassbaren Herausforderungen nicht verloren. Auf die Frage, was er sich für seinen Geburtstag vorgenommen habe, antwortet Deckarm: „Morgens aufstehen, ein bisschen feiern, und abends wieder ins Bett gehen. Ins eigene Bett.“ Es folgt ein lautes, herzliches Lachen, das ansteckt.
Das Apartment, in dem der frühere Mathematik- und Sportstudent lebt, erinnert an einen Fitnessraum. Eine Massagebank steht unter dem Fenster, neben der Küchenzeile ein Fahrrad-Ergometer. Sporttreiben ist großer Bestandteil seines Lebens: Neben Gymnastik, Krafttraining und Schwimmen steht einmal pro Woche sogar Klettern auf dem Programm. „Ich trainiere noch genau so viel wie früher, vielleicht eine andere Art Training“, sagt Deckarm. Denn den Rollstuhl, in dem er bei der Begrüßung sitzt, würde Deckarm gerne zur Seite stellen. Wieder ohne Hilfe laufen zu können, „das ist immer noch ein Ziel“.